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Das Literarische Quartett Marcel Reich-Ranicki - Hellmuth Karasek - Sigrid Löffler am 25.Feb 2000 im ZDF mit folgenden Titeln
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bei Bookinist besprochen
weitere Titel | Bernhard Schlink Liebesfluchten |
Hans-Ulrich Treichel Tristanakkord |
Manuel Rivas Der Bleistift des Zimmermanns | bei Bookinist besprochen |
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J.M. Coetzee Schande
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Margriet de Moor Die Verabredung |
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... lesen Sie meine Buchkritik dazu ...
1. Kapitel Für einen Mann seines Alters, zweiundfünfzig, geschieden, hat er seiner Ansicht nach das Sexproblem recht gut im Griff. Donnerstag nachmittags fährt er immer nach Green Point. Pünktlich um zwei drückt er auf den Summer am Eingang der Windsor Mansions, sagt seinen Namen und geht hinein. An der Tür von Nr. 113 wartet Soraya auf ihn. Er geht gleich ins Schlafzimmer, das angenehm riecht und in weiches Licht getaucht ist, und zieht sich aus. Soraya kommt aus dem Bad, läßt ihren Morgenmantel fallen und schlüpft neben ihm ins Bett. »Hab ich dir gefehlt?« fragt sie. »Du fehlst mir immer«, erwidert er. Er streichelt ihren honigbraunen Körper, der nicht von der Sonne gebräunt ist; er legt sie hin, küßt ihre Brüste; sie lieben sich. Soraya ist groß und schlank, hat langes schwarzes Haar und dunkle, glänzende Augen. Genaugenommen könnte er vom Alter her ihr Vater sein; aber genaugenommen kann man auch schon mit zwölf Vater sein. Er gehört seit über einem Jahr zu ihren Kunden, für ihn ist sie völlig befriedigend. In der Wüste der Woche ist der Donnerstag zur Oase voll luxe et volupté geworden. Im Bett ist Soraya nicht besonders temperamentvoll. Sie hat eigentlich ein ziemlich ruhiges Naturell, ruhig und fügsam. Ihre allgemeinen Ansichten sind überraschend sittenstreng. Touristinnen, die an öffentlichen Stränden ihre Brüste zeigen (sie sagt »Euter« dazu), stören sie; sie meint, daß man Stadtstreicher zusammentreiben und zum Straßenkehren anstellen sollte.
Nennen wir es mal die Geschichte einer Straße. Die Welt besteht wahrhaftig nicht nur aus Geschöpfen mit Augen und Händen das weiß jeder, weshalb also sollte die Hauptfigur einer Geschichte nicht auch eine Straße sein können? Blind, taub, wie wir annehmen, und ansonsten mit ein paar Eigenschaften behaftet, die uns entgehen? Ja, warum nicht?
Es ist später Abend. Es regnet. Der Regen nieselt aufs Land, er fällt auf das Dorf und rückt dann zu dem Kreisel vor, an dem die Bebauung endet und die Straße in Richtung Meer beginnt. die nach einem guten Stück durch flaches Land ein wenig ansteigt, um am Strand von Ruigrokseslag
zu enden Erst gestern nacht ist auf dieser Straße ein Auto mit einem älteren Ehepaar verunglückt. Der Alarm ging kurz nach zwölf bei der Polizei ein. Sie wußten sofort, daß es ernst war. Ein Schreckensbild, nur allzuhäufig auf dieser Straße. Auch diese Opfer haben die Fahrt nicht überlebt.
1 Er ist oben in der Galerie und hört den Amseln zu.
Carlos Sousa, der Journalist, sagte danke, als sie ihn mit einem Lächeln zum eintreten aufforderte.
Ja, danke, dachte er, während er die Treppe hinaufstieg, an der Tür jedes Hauses sollte es zwei Augen wie diese geben.
In einem Korbsessel sitzend, neben einem Tisch mit Kohlebecken, die Hand im offenen Buch, als kreisten seine
Gedanken um eine glänzende Seite, schaute Doktor Da Barca in den Garten hinaus, eingehüllt in eine Aureole winterlichen Lichts.
Das Bild wäre friedlich, würde er nicht durch die Sauerstoffmaske atmen. Der Schlauch, der ihn mit der Sauerstoffflasche verband,
hing über den weißen Blüten der Azaleen. In Sousas Augen war die Szene von einer beunruhigenden und komischen Melancholie.