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Er kicherte, antwortete aber nicht. Dann hörte ich Schritte und drehte mich um, und da stand Chav. Er schaute mich nicht an, nur Diddel, aber ich schaute ihn an. Er hatte Narben auf Brust und Schultern, und mir wurde klar, daß das lederartige seines Gesichts wahrscheinlich auch von Narben herrührte. Wenn ich es mir jetzt so überlege, verstehe ich es nicht, daß ich es nicht gleich beim ersten Mal gesehen habe: Jemand hatte ihm Schreckliches angetan. Aber so etwas war mir einfach nicht in den Sinn gekommen, da kein Erwachsener in meiner Familie Kindern körperliche Schmerzen zufügte.


Der Junge auf dem schwarzen Pferd
Nancy Springer - Der Junge auf dem schwarzen Pferd

Grace, die Pferdenärrin, ist von dem neuen Jungen in der Klasse vom ersten Augenblick an fasziniert. Seine schwarze Kleidung, die dunklen Augen, die sie an schwarzes Eis erinnern, - es ist etwas geheimnisvolles um Chav. Am Nachmittag, als sie mit ihrem Pony unterwegs ist, beobachtet sie, wie er mit zwei kleineren Kindern auf einem schwarzen Pferd durch den Wald galoppiert. Grace folgt ihnen heimlich. Es erstaunt sie sehr, als sie sieht, dass die Kinder allein in einer verlassenen Scheune hausen. Jetzt wird ihr klar, warum Chav immer so hungrig über das in Schülerkreisen nicht sehr beliebte Mittagessen in der Schule herfällt. Bis auf den letzten Krümel leert er regelmäßig seinen Teller.

In den nächsten Tagen reitet sie mit Proviantpaketen zur alten Scheune. Die Kinder schließen sie in ihr Herz und berichten: "Wir sind vom uralten Stamm der Roma. Zu Hause ist da, wo wir unseren Kopf betten." Als wenige Tage später auf dem Friedhof Gräber zerstört werden, fällt der Verdacht sofort auf die Zigeuner. Vorurteile bieten immer rasche Lösungen.

Nancy Springer hat nur vordergründig eine Pferdegeschichte geschrieben. Vielmehr geht es in dem Roman "Der Junge auf dem schwarzen Pferd" um Kinder, die von Erwachsenen schwer mißhandelt wurden. Chav und seine Geschwister sind unter falschem Namen unterwegs. Sie wurden in der Vergangenheit von ihrem Vater so oft geschlagen, dass sie nie mehr in ihr Elternhaus zurückwollen. Ihre Mutter war tatsächlich Zigeunerin und wurde vom Vater der Kinder zu Tode geprügelt. Alle drei sind stark traumatisiert und finden erst durch Grace und ihre Tante wieder Vertrauen zu ihren Mitmenschen. Doch auch Grace schleppt eine schwere Bürde mit sich herum. Sie hat ihre Eltern vor zwei Jahren bei einem Unfall verloren. "Der Junge auf dem schwarzen Pferd" ist ein anspruchsvoller Jugendroman aus keiner heilen Welt.

Lesealter ab 10 Jahren





Nancy Springer -
Der Junge auf dem schwarzen Pferd
aus dem Amerikanischen von Ursula Schmidt-Steinbach
Originaltitel: © 1994, "The Boy on a Black Horse"
1999, Frankfurt, Sauerländer Verlag, 146 S.

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-11-17

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger