Orpheus und Eurydike
Salman Rushdie - Der Boden unter ihren Füßen

"Musik, Liebe und Tod", so beschreibt Salman Rushdie selbst das Thema seines Romans "Der Boden unter ihren Füßen". Hält man das Buch prüfend in Händen, stimmt das ausgefallene Cover, das einer alten Single gleicht, die heute, nach dem Siegeszug der CD kein Mensch mehr auflegt, schon ein wenig auf den monumentalen Wälzer ein.

In den fünfziger Jahren begegnen sich in Bombay drei junge Menschen, die ein Leben lang nicht voneinander lassen können. Da ist zum einen der junge Ormus, bei dessen Geburt sein Zwillingsbruder tot zur Welt kommt und der aus Schmerz viele Jahre seiner Kindheit die Musik, die in ihm steckt, verschlossen hält.

Es bedarf der jungen, durchtriebenen aber wunderschönen Vina, die mit ihrer bezaubernden Stimme, seine Musik zum Klingen bringt und die Jahre später bei einem Erdbeben verschluckt werden soll. "Nichts in ihrer Umgebung war mehr sicher, der Boden zitterte ununterbrochen, die Bruchlinien setzten sich natürlich in ihr von oben bis unten fort, und in menschlichen Wesen reißen die Bruchlinien zum Schluß ebenso unweigerlich auf wie die Risse in der ächzenden Erde."

Und die Liebesgeschichte der beiden, die den Orpheus - Mythos aufgreift, wird von Rai, dem Fotografen erzählt, der sich nichts sehnlicher wünscht, als Vinas Liebe. "Mitten in der Geschichte ihres Lebens kam das Ende, sie war ein unfertiges Lied, zurückgelassen vor der Brücke, des Rechts beraubt, den Versen ihres Lebens bis zum letzten, vollendeten Reim zu folgen."

Es ist nicht irgendein Tag, an dem Vina stirbt - es ist der 14. Februar 1989. Zum einen der Tag der Liebenden, der Valentinstag, zum anderen der Tag, der für Rushdie ein symbolisches Datum ist. An diesem Tag wurde von Ayatollah Khomeini die Fatwa über ihn ausgesprochen. Sie wurde zwar im letzten Herbst durch die iranische Regierung wieder aufgehoben, doch das Kopfgeld ist zwischenzeitlich von muslimischen Gruppen auf 4,2 Millionen Dollar erhöht worden.

"Der Boden unter ihren Füßen" ist ein Roman, der sich nicht in eine kurze Rezension packen läßt. Die Poesie, die dieses Buch enthält, Rushdies überbordende Phantasie, seine profunden Kenntnisse der indischen und antiken Mythologie, seine Magie des Erzählens, die bilderreiche Sprache und nicht zu vergessen die Musik, läßt sich kaum zwischen zwei Buchdeckeln auf weniger als siebenhundert (!) Seiten bannen. Ständig hat der Leser das Gefühl, daß die Geschichten der Personen, ihr Leben, aus dem Buch herausquellen, ausufern und nicht mehr zu bremsen sind. Ein Buch, das man sich einfach gönnen muß, denn es gibt derzeit keinen vergleichbaren Romancier.




Salman Rushdie - Der Boden unter ihren Füßen
aus dem Englischen von Gisela Stege
Originaltitel: © 1999, "The Ground Beneath Her Feet"
1999, München, Kindler Verlag, 742 S.
2000, Reinbek, Rowohlt, 861 S., 10,50 Euro (TB)


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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 8.5.1999

Quelle: http://www.bookinist.de
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