Schwesterliche Rivalitäten
Sibylle Mulot - Die unschuldigen Jahre

In ihrem neuen Roman "Die unschuldigen Jahre" erzählt die heute in Frankreich lebende deutschsprachige Autorin Sibylle Mulot eine Familiengeschichte aus der Provinz. Schauplatz ist das verschlafene schwäbische Städtchen Merklingen in den fünfziger und sechziger Jahren, wobei jede andere Kleinstadt mit der im Schwäbischen häufig vorkommenden Endung -ingen, als Handlungsort ebenso denkbar wäre.

Die Familie Hülle gehört mit ihren drei Töchtern schon zu den "besseren Kreisen" in Merklingen.

Armin Hülle, der Vater, ist Professor und Vorsitzender der Prüfungskommission in seinem Fachbereich, Margarethe, seine Ehefrau, ist die Herrin und unumschränkte Herrscherin der Familie. Sie achtet sorgfältig darauf, daß der standesgemäße Kontakt von allen Mitgliedern der Familie gepflegt wird. "Punkt zwölf Uhr essen die Schwaben", sagt Margarethe. "Es hat etwas Plebejisches. Wir essen um eins."

Immerhin sind die beiden älteren Töchter, Deina und Astrid, demnächst mit ihren Lehramtsstudien fertig und Marga sucht unauffällig für sie nach den richtigen Heiratskandidaten. Wenn dann alles doch nicht so klappt, wie Marga das gerne hätte, die beiden Schwestern im Kampf um einen Mann zu erbitterten Feindinnen werden, liest sich der Roman schon sehr vergnüglich.

Die Kunst von Sibylle Mulot liegt darin, daß sie den dumpfen Muff der Provinz, das erstickende Klima der Bürgerlichkeit wunderbar einfängt und dabei die bereits sichtbaren Risse im Weltbild der Eltern deutlich hervorhebt.

"Denn darauf kam es im Leben an: Keine Extratouren! Keine Extrawürste! Keine Experimente! Der goldene Mittelweg war entscheidend" das Leben an sich war schon kompliziert genug." Für Marga ist das alles klar und wohl geordnet. "Bei alldem war die ideale Ehefrau selbstverständlich treu wie Gold, denn man konnte sehr gut ein ganzes Leben lang mit einem einzigen Mann auskommen und dabei zufrieden sein. Sie wußte, wovon sie sprach! Als Oßmann ihr damals, vor fünfzehn Jahren ... bei einem Faschingsball so auffällig den Hof gemacht hatte, hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, mit einem fremden Mann ins Bett zu gehen. Und schon in der Vorstellung war es auch nicht aufregender gewesen als sonst, also hatte sie leichten Herzens darauf verzichtet."

Mit ihren starren Regeln nimmt Marga schließlich ihren Töchtern jede Flexibilität und bringt es nicht fertig, die Familie zusammenzuhalten.

Ein Roman über die tiefen Wunden, die sich nahestehende Menschen zufügen können.


Sibylle Mulot - Die unschuldigen Jahre
1999, Zürich, Diogenes Verlag, 231 S., (HC)
2000, Zürich, Diogenes Verlag, 231 S., 8.90 € (TB)

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-Januar-27

Quelle: http://www.bookinist.de