Leseprobe

"Agata Perski seufzte und rutschte auf der kalten Bank hin und her, bis sie bequem saß - auch wenn's nicht lange anhalten würde. Hinter ihr wisperte jemand das Vaterunser. Die Kirche hallte wider vom Hüsteln und Flüstern und dem Geräusch, das Mäntel und Jacken machen, wenn Menschen sich zurechtsetzen.
Der weiße Flieder unter dem Kreuz duftete, sie roch es noch hier hinten, und die Pfingstrosen leuchteten tiefrot im Schein der geweihten Kerzen. Auch damals hatten Blumen auf dem Altar gestanden, am Pfingstsonntag vor einem Jahr. Fast vor einem Jahr.

Schon konnte man die Spuren kaum noch erkennen - nur, wenn man genau hinsah. Die Säule unter der Kanzel rechts vom Gang war ausgebessert worden. Das Gestühl in der Mitte war heller als das, wo sie jetzt saß. Hinten, so wie damals. Sie saß immer hinten, wenn sie in die Kirche ging. Sie wollte nicht bei den deutschen Frauen sitzen, bei diesen falschen Hennen, dachte sie, zog die Schultem hoch und drückte die Ellenbogen an den Leib. Und ihren sauer riechenden Kerlen.

"Erbarme dich unser, erbarme dich", murmelte Agata mit dem Chor der Kirchengemeinde. Und plötzlich war alles so wie damals. Die Kirchentür gab einen sehnsüchtigen Laut von sich, den sie immer machte, wenn sie behutsam geöffnet wurde. Dann ein Luftzug. Und jetzt, dachte sie, jetzt müßte EIse sich umdrehen, mit ihren dünnen Lippen und den funkelnden Brombeeraugen unter der weißgescheitelten Frisur. So hatte sie damals nach hinten geschaut, nach dieser unmöglichen Person, die noch nicht einmal zu Pfingsten pünktlich in den Gottesdienst kommen konnte. Das Kyrie war schließlich längst gesungen!

Aber Else war nicht mehr da .... "


Tod bei der Weinprobe
Anne Chaplet - Wasser zu Wein

Paul Brenner hat es sich auf dem Land in Klein-Roda gemütlich gemacht, als ihn eines Tages ein Brief erreicht, aus dem hervorgeht, daß er der Besitzer zweier Weinberge werden soll. Lange hat er seinen Großonkel Wallenstein in Wingarten nicht mehr besucht, der ihn einst groß gezogen hat, nachdem seine Eltern verunglückten. Wallenstein, der mittlerweile alt und gebrechlich ist, seine Tage im Rollstuhl verbringt, möchte ihm diese Weinberge schenken.

Doch auch am Rhein ist das Leben nicht mehr so beschaulich wie einst. Beim alljährlichen Galadinner in der "Traube", dem schönsten Gasthof weit und breit findet der bekannte Weinkenner und Gastro-Journalist Chevallier den Tod. War es wirklich ein Herzinfarkt oder handelte es sich um Gift? Immerhin wollte er sich nicht gerade löblich über die "Traube" äußern. Der Service hat ihm nicht gefallen, den Wein hielt er für gepanscht. Elisabeth und Sebastian Klar, das Wirtsehepaar, hätten durchaus Interesse am Ableben des unliebsamen Kritikers gehabt.

Oder hängt alles mit dem aufsehenerregenden Selbstmord vor einem Jahr an Pfingsten zusammen, als sich in der Kirche des Dorfes eine junge Frau mit zwei Handgranaten in die Luft sprengte und fünf weitere Menschen mit in den Tod nahm. Darunter auch Bettina, die kleine Tochter der Klars?

Kurz darauf geschieht ein weiterer Todesfall. Wieder handelt es sich um einen bekannten Weinkenner. Paul Brenner, der Zeuge bei beiden Morden war, geht mit seiner Bekannten, der Staatsanwältin aus Frankfurt, den Spuren nach. So gesund und bekömmlich, wie vom Volksmund angenommen, scheint der Rebensaft in Wingarten nicht zu sein. "Mit einem Kilo Zuckerwasser kann man schätzungsweise 46 Flaschen schlichten Tafelweins in teuere Prädikatsweine verwandeln.") Daraus ergibt sich eine nicht zu verachtende zusätzliche Gewinnspanne.

Anne Chaplet läßt in ihrem zweiten Krimi "Wasser zu Wein" in langsamem Erzähltempo die Handlungsfäden aufeinanderzulaufen und verpackt in ihre, in unterkühltem Ton erzählte Geschichte, eine Menge interessanter Informationen über eine der schönsten Nebensachen der Welt: Den Wein. Dabei spannt sie den Bogen vom Weinanbau bis zur Weinprobe. Ein Thriller, der das Herz eines jeden Weinliebhabers erwärmt - natürlich mit dem richtigen Glas Wein dazu.


Anne Chaplet - Wasser zu Wein
© 1999, München, Antje Kunstmann Verlag, 309 S., (HC)
© 2001, München, Antje Kunstmann Verlag, 346 S., 8.00 € (TB)

Lieferbedingungen


Bookinists Buchtipp zu

Anne Chaplet

Schneesterben

© 2003

Das Landleben in Klein-Roda ist für den Stadflüchter Paul Bremer immer noch ungewohnt. Erst nach und nach gewöhnt er sich daran, dass hier alles langsam und beschaulich abläuft. Und jedes noch so kleine Ereignis selbstverständlich von allen Dorfbewohnern kommentiert wird. Sei es, dass jemand erbost in den Bankautomaten gepinkelt hat, oder die junge Tamara über Nacht nicht nach Hause gekommen ist. "Wen das Landleben einfängt, den lässt es nicht mehr los, dachte Paul Bremer."

Allerdings, als ein Toter unter einer dicken Schneeschicht in einem Vorgarten aufgefunden wird, erreichen die Tuscheleien und Spekulationen auf dem Dorfplatz rasch den Siedepunkt.



°
© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999/04/06

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger