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ALTERN. DACHTE ICH, SEI ETWAS, DAS ÄLTEREN Menschen zustößt.
Kurz nachdem ich nach New York gezogen war, ging ich ins Lincoln Center zu einem Klavierkonzert von Daniel Barenboim. Ich war sehr aufgeregt. Ganz gleich wo in Melbourne ich in meinem Peugeot unterwegs gewesen war - ständig hatte ich seine Aufnahme von Beethovens Pathétique gespielt. Diese Sonate war das erste Musikstück, in das ich mich je verliebt hatte. Sie war das einzige, das ich hörte.

Musik zu hören war etwas Neues für mich. Lange Zeit in meinem Leben hielt ich es überhaupt nicht aus, Musik zu hören. Ich brauchte Stille. Jedesmal, wenn ich die Kassette aus ihrer Hülle nahm, betrachtete ich Daniel Barenboim - dunkel, nachdenklich und gutaussehend - auf dein Cover.

Unter tosendem Applaus kam Daniel Barenboim auf die Bühne. Ich war nicht die einzige, die aufgeregt war, ihn zu sehen. Das Publikum klatschte und klatschte. Ich saß da wie betäubt. Daniel Barenboim war klein, untersetzt und grau. Als der Applaus schwächer wurde, wandte ich mich zu meinem Mann und flüsterte mit zitternder Stimme "Ich dachte, er ist dunkel." - "Wir waren alle einmal dunkel", sagte mein Mann.


Bookinists Buchtipp zu


New York

von Lily Brett




Eine New Yorkerin erzählt
Lily Brett - Zu sehen

Lily Brett, eine waschechte New Yorkerin, hat bereits eine ganze Reihe Bücher und Gedichtbände veröffentlicht, doch ihr neuestes Buch "Zu sehen" ist bei weitem ihr persönlichstes.

Ihre Themen lassen sich unmittelbar an den Kapitelüberschriften ablesen: "Altern", "Meine Tochter", "Sex", "New York", "Tod" und "Liebe". Und es sind interessante Betrachtungen, die Lily Brett anstellt, denn mittlerweile ist sie über fünfzig Jahre und hat eine Menge Erfahrungen gemacht. Auch mit ihrem Körper, der jetzt endlich soviel wiegt, wie sie es sich immer vorgestellt ist nun endlich zufrieden. Der Preis dafür ist jedoch regelmäßiges Kraft-Training. Als Party-Gag am Rande kann sie mittlerweile sogar ihren Mann kurz hochstemmen. Gut, ihm gefällt das nicht so besonders, aber er wird auch nicht gefragt. A propos Mann. Es hat eine ganze Weile und einige Ehen gedauert, bis sie hier das richtige Exemplar für sich gefunden hat.

Lily Brett erzählt überaus amüsant und humorvoll über ihr Leben. Geboren wurde sie 1946 in Deutschland. Ihre Eltern haben beide den Holocaust überlebt. Nachdem sie im Ghetto von Lodz geheiratet hatten, wurden sie im KZ Auschwitz getrennt. Erst zwölf Monate später fanden sie sich wieder. Ihre Schilderungen des Schreckens, den sie in den Vernichtungslagern erlitten haben, bildet den permanenten Hintergrund von Lilys Leben. Immer wieder stellt sie sich bei ihren Erlebnissen die Frage: Ist es wirklich Leid, das ich im Augenblick erfahre, angesichts des Horrors, den meine Eltern durchlitten haben? Ohne ihren ausgeprägten Sinn für Humor und ihren starken selbstironischen Zug, wäre Lily sicher nicht diese kraftvolle Frau in der Mitte ihres Lebens geworden. Eine richtige New Yorkerin eben: ungeduldig, schnell, beweglich.

manuela haselberger




Lily Brett - Zu sehen
aus dem Amerikanischen von Anne Lösch
Originaltitel: © 1997, "In Full View"
© 2000, Frankfurt, Suhrkamp, 10.17 € (Taschenbuch)
© 1999, Deuticke Verlag, 349 S., 22.00 € (gebunden)
© 2001, München, HEYNE Verlag, 9.00 € (Taschenbuch)


Taschenbuch (HEYNE) gebundene Ausgabe Taschenbuch (Suhrkamp)



... reinlesen

Ich glaube, ich war der Meinung, Altern sei etwas, das mit anderen Leuten geschieht. Und in gewisser Weise tut es das auch. Wir sind nicht mehr die, die wir einmal waren. Ich sehe mir Fotos von mir mit zwanzig an. Mein Haar ist glattgezogen. Ich habe Eyeliner aufgetragen, zwei dicke Striche über und unter meinen Augen. Ich trage ein langes, psychedelisches Gewand und Glöckchen um Fuß- und Handgelenke.
   Wer war ich? Worüber hab ich nachgedacht? Ich muß gerunden haben, daß ich toll aussehe. Ich weiß noch, wie gut mir meine mit Flitter besetzten falschen Wimpern gefielen. Ich weiß, daß mein Vater weinte, wenn er mich ansah. Ich hatte mir kleine, schwarze Herzen auf die Wangenknochen gemalt. »Was ist aus meiner Tochter geworden?« sagte er. »Wo ist meine Tochter?«
   Wo war ich? Ich weiß es nicht. Ich war unter einer dicken Schicht Make-up, Rouge, Mascara und falschen Wimpern begraben. Und unter einer dicken Fettschicht. Fett verbarg mich wie eine behagliche Decke, wenn man davon absah, daß es überhaupt nicht behaglich war. Es umhüllte und schützte mich. Ich fühlte mich geborgen und sicher. Sicher vor wem? Wovor? Es sollte mich Jahrzehnte kosten, das herauszufinden.
   Und wer war ich auf einem anderen Foto? Ich liege lächelnd in einem Krankenhausbett. Ich trage ein weißes, viktorianisches Spitzennachthemd. Mein Haar ist in der Mitte gescheitelt. Ich halte meinen neugeborenen Sohn im Arm. Ich bin ein Bild heiterer Gelassenheit. Wer war ich? Ich war zweiundzwanzig. Und das ganze Chaos wurde (wie das mit zweiundzwanzig noch möglich ist) von Furchtlosigkeit überdeckt, von Unschuld, guter Haut, schönem Haar und der richtigen Lippenstiftfarbe.
   Heute ist mein Sohn siebenundzwanzig. Er ist eine der großen Freuden meines Lebens. Warum habe ich ihn bekommen? Warum ließ ich mir meine Spirale entfernen, um mit einundzwanzig schwanger zu werden? Damals hatte ich keine Ahnung, warum. Noch jahrelang habe ich mich gefragt, warum ich so versessen darauf war, ein Kind zu bekommen. Ich war selbst noch ein Kind.
   Ich glaube, daß es etwas mit Sabotage zu tun hatte. Ich sabotierte mich selbst. Ich war beruflich erfolgreich. Ich war Rockreporterin. Ich reiste auf der ganzen Welt umher und interviewte Rockstars: Jimi Hendrix, The Who, The Mamas and The Papas, Janis Joplin, Sonny and Cher, The Doors. Jeden, der in der Rockwelt wer war. In Australien war ich außerdem im Radio und im Fernsehen. Ich glaube, der Erfolg war zuviel für mich. Ich konnte das alles gar nicht schnell genug aufgeben. Natürlich wußte ich nicht, daß ich das tat.
   Ich war so glücklich, einen Jungen geboren zu haben. Ich war völlig hingerissen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. In unserer Familie gab es doch keine männlichen Nachkommen. Unsere Familie verlor ihre Söhne. Meine Mutter hatte im Ghetto von Lodz einen Sohn verloren, vier Brüder in Auschwitz. Und nach dem Krieg, in Melbourne, hatte sie, voll Scham, einen männlichen Fötus abgetrieben.
   In London, im Guys Hospital, konnte ich nicht schlafen. Ich blieb zwei Tage und zwei Nächte wach und betrachtete verblüfft meinen wunderschönen Sohn. Einige Tage später war ich noch verblüffter. Ich begriff, daß ich ihn mit nach Hause nehmen mußte. Ich hatte nicht weiter gedacht, als das Baby, das ich mir wünschte, auf die Welt zu bringen. Ich hatte gewiß nicht daran gedacht, es mit nach Hause zu nehmen. Was habe ich gedacht?
   Ich dachte nicht an meine Mutter. Heute glaube ich, daß meine Mutter einer der Gründe dafür war, meinen Sohn zu bekommen. Ich wollte ihr die Söhne geben, die sie verloren hatte. Ich wollte ihr ein Stück Familie zurückgeben. Ich wollte ihr die Enkelkinder geben, die jemals zu haben sie sich nicht einmal erträumt hätte, als sie fast nackt, von Typhus geschüttelt, auf dem steinhart gefrorenen Boden in Stutthof lag, wohin man sie nach Auschwitz gebracht hatte.
   Mein kleiner Junge veränderte meine Mutter. Sie verliebte sich in ihn. Und er sich in sie. Wenn sie ihn jemandem vorstellte, sagte sie »mein Sohn«. Manchmal, wenn ich dabei war, korrigierte sie sich »mein Enkel«, sagte sie dann.
   Vor zehn Jahren, als sie mit vierundsechzig an Krebs starb, wollte sie ihn bei sich haben. Und er wollte bei ihr sein. Wußte ich von der heftigen Liebe, die sich zwischen meinem Sohn und meiner Mutter entwickeln würde? Dieser Liebe, die Gräben überbrücken und Träume erfüllen sollte? Ich weiß es nicht.
   Damals wußte ich nicht viel. Als ich zum ersten Mal heiratete, wußte ich nicht, warum. Ich heiratete jemanden, den ich mit neunzehn kennengelernt hatte. Er war groß und blond. Der perfekte Arier. Später, als sein Haar nachdunkelte, färbte ich es sofort wieder hell.
   Als ich zum zweiten Mal heiratete, war ich vierunddreißig. Und ich wußte, warum ich es tat. Ich war verrückt nach ihm. Ich war verrückt nach einem Mann, den ich überhaupt nicht kannte. Ich sah ihn zum ersten Mal und war sofort in ihn verliebt. Was wußte ich? Irgend etwas. Ich bin immer noch verrückt nach ihm.
   Kürzlich fragte mich meine jüngere Tochter, wie ich mich in jemanden verlieben konnte, den ich kaum kannte. Es war eine schwierige Frage. Ich stotterte herum und redete über das, was wir unbewußt voneinander wissen und begreifen. Aber damit war sie nicht zufrieden. Und sie hatte recht. Ich wußte keine Antwort. Ich weiß auf viele Fragen keine Antwort. Ich hatte geglaubt, ich würde sie wissen. Ich dachte, daß das Alter Antworten bringt. Das tut es auch. Aber nicht alle.
   Ich habe einige Antworten. Und das sollte ich auch – ich habe mein halbes Erwachsenenleben in Analyse verbracht. Jeder, der meine Bücher kennt, weiß das. Es gab drei Analytiker. Viele gemeinsame Jahre. Es war eine sehr schwierige Zeit. Eine Zeit, die mich von anderen entfernte, die mir aber gleichzeitig mehr Einsicht in mein eigenes Leben und das anderer Menschen gab. Die meisten dieser Jahre kannte ich sonst niemanden, der in Analyse war. Als ich damit anfing, weinte meine Mutter und sagte, ich brächte Schande über die ganze Familie. Mein Vater sagte, er habe schreckliche Dinge über meinen Analytiker gehört.
   Ich habe meinen ersten Roman meiner zweiten Analytikerin gewidmet. Ich habe ein Kind nach meinem ersten Analytiker benannt, und mein nächstes Buch werde ich meiner letzten Analytikerin widmen. Die Analyse hat mich gerettet. Sie bewahrte mich davor, nur das Geringste von dem zu sein, was ich sein könnte. Es war nicht leicht. In verschiedenen Teilen der Welt bin ich viermal in der Woche frühmorgens in die Analyse gefahren. Bei Hitze und Kälte, Schneestürmen und Regenschauern. Ich bin zu Fuß gegangen, mit dem Auto und mit dem Bus gefahren. Ich habe furchtbar viel geweint. Ich habe überall geweint, wo man nur weinen kann. Im Bus, im Auto, auf der Straße.
   Aber ich schaffte es. Der bessere Teil in mir kam zum Vorschein. Der Teil in mir, der das Recht beansprucht, ein Leben zu haben. Ein Leben, ohne dafür zahlen zu müssen. Und ich bin dankbar. Ich bin überrascht von meiner großen Dankbarkeit. Ich bin für Dinge dankbar, die ich früher nicht wahrnahm oder nicht verstand. Die Dankbarkeit eröffnete mir neue Perspektiven.
   Letztes Jahr sagte ich in der Dankesrede anläßlich einer Preisverleihung, daß mein Roman Einfach so eine Hommage an die Liebe ist.

Eine Huldigung des Lebens meiner Mutter und meines Vaters, die Auschwitz überlebten. Und eine Huldigung des Umstands, daß meine Mutter und mein Vater, die in Auschwitz alle verloren, die sie liebten, ihre Liebesfähigkeit nicht verloren haben.
   Meine Mutter und mein Vater überlebten fünf Jahre im Ghetto von Lodz, bevor sie nach Auschwitz transportiert wurden, wo man sie voneinander trennte, nicht aber von ihrer Liebe zueinander. Nach dem Krieg brauchten sie sechs Monate, um sich wiederzufinden, und sie sind eine statistische Rarität – zwei Juden, die vor dem Krieg miteinander verheiratet waren und die beide überlebt haben. Ich hatte großes Gluck, inmitten dieser Liebe aufzuwachsen.

Ich schrieb die Rede, kurz nachdem ich erführ, daß ich die Auszeichnung gewonnen hatte. Ich wußte es und überraschte mich selbst damit, wie sicher ich wußte, daß es die Liebesfähigkeit meiner Eltern gewesen war, die nicht nur sie nach dem Krieg gerettet hatte, sondern auch mich. Ich brauchte Jahre, um zu begreifen, welches Glück ich hatte, diese Liebe erfahren zu dürfen. Ich habe Jahrzehnte damit zugebracht herauszufinden, was fehlte. Ich habe mir jahrzehntelang gewünscht, daß wir nicht von Toten umgeben gewesen wären, von den Nazis der Vergangenheit und der Zukunft, von Qual und Abwesenheit.
   Außerdem überrascht mich mein Gefühl, Glück zu haben. Dieses Gefühl war immer gefährlich. Also habe ich mich mit dem beschäftigt, was nicht stimmt. Sobald ich über das nachdenke, was nicht stimmt, kann ich das Unbehagen über das Gefühl, Glück zu haben, abschütteln.
   Aber ich habe es. Das Glück, mit dem Mann verheiratet zu sein, mit dem ich verheiratet bin. Das Glück, meine Kinder zu haben. Das Glück, lange genug gelebt zu haben, um sie heranwachsen zu sehen. Als sie noch kleiner waren, hatte ich große Angst zu sterben, bevor sie alt genug wären, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich rührte genaue Tagebücher über ihre Kindheit und über meine Gefühle für sie, falls ich nicht mehr da sein sollte, um sie an ihre Vergangenheit zu erinnern. Nicht, daß ich krank gewesen wäre. Ich litt nicht einmal an Erkältungen, aber ich hatte begriffen, daß der Tod die Liebe begleitet. Und das galt auch für meine Eltern. Jeder, mit dem sie verwandt gewesen waren, starb; alle, die sie geliebt hatten, starben.
   Dieses Gefühl, Glück zu haben, gestattete ich mir so selten, daß diese Momente Erinnerungswert haben. Als mein Sohn noch klein war, sagte er einmal zu seinem besten Freund in Hörweite von dessen Mutter: »Meine Mutter ist viel netter als deine.« Die andere Mutter erzählte es mir. Als ich zu lachen aufhörte, kam ich mir sehr begünstigt vor, ein Kind zu haben, das so empfand.
   Ich bin glücklich, die Bücher geschrieben zu haben, die ich schrieb. Ich habe die High School nie abgeschlossen. Ich habe meine Ausbildung weggeworfen. Und sie war nur eines der wertvollen Dinge, die ich abschüttelte. Ich war in der A-Klasse der University High School, einer Schule für hochbegabte Kinder, als ich, scheinbar aus heiterem Himmel, nichts mehr von dem verstand, was die Lehrer sagten. Ich war sechzehn.
   Die nächsten drei Jahre verbrachte ich mit dem Versuch, das letzte Jahr der High School abzuschließen. Ich konnte die Schulbücher nicht lesen. Nichts von dem, was ich las, ergab einen Sinn. Worte und Absätze tanzten über die Seiten. In einem Jahr bestand ich Französisch, Ökonomie und Englisch, im nächsten Jahr fiel ich bei allen dreien durch und bestand etwas anderes. Im übernächsten Jahr gab ich auf und ging oft ins Kino statt zu Prüfungsterminen. Es gelang mir nie, die erforderlichen Prüfungen in den richtigen Fächern in ein und demselben Jahr abzulegen.
   Rückblickend erkannte ich, daß ich eine Art Nervenzusammenbruch hatte. Damals war niemand deswegen beunruhigt. Zwar störte es meine Eltern, und sie wunderten sich, aber es gab andere Dinge, um die sie sich größere Sorgen machten: Ich war zu dick. Ich mußte abnehmen. Und so ging das Durchfallen und Durchdrehen eines begabten jungen Mädchens eigentlich unbemerkt vor sich. Kein Lehrer äußerte sich dazu. Der Ökonomielehrer meinte sogar, nachdem ich in seinem Fach zum ersten Mal durchgefallen war, es wäre ihm lieber, wenn ich nicht mehr an seinem Unterricht teilnähme. Ich würde die Klasse stören.
   Ich war geschockt und verletzt. Ich hielt mich für gut in Ökonomie. Ich war es auch, vor meinem schulischen Abstieg. Wie ich die Klasse störte, war mir unklar. Vermutlich war es mein Schwatzen. Ich habe unentwegt geschwatzt.
   Auf Klassenfotos sehe ich fröhlich aus und strahle. Wenn ich später Leute traf, die ich von der Universität oder der High School her kannte, sagten sie mir, daß sie sich an mich als jemanden erinnern, der immer fröhlich war, immer lachte. Worüber lachte ich? Warum sah ich so fröhlich aus, wenn ich so eindeutig Schwierigkeiten hatte?
   Ich gab den Versuch auf zu lernen und fand einen Posten als Journalistin. Ich hatte unglaubliches Glück, diesen Job an Land zu ziehen. Beim Vorstellungsgespräch fragte mich niemand, ob ich schreiben könne. Sie wollten wissen, ob ich ein Auto hätte. Ich sagte ja, einen rosa Variant. Ich bekam den Job. Kurz darauf schrieb ich Seite über Seite für diese Zeitung, jede Woche. Mein Auto sah ich kaum noch.
   Das Gefühl, Glück zu haben, ist mir immer noch etwas unheimlich. Ich möchte mein Glück nicht strapazieren. Also filtere und verwässere ich meine Tage mit sonderbaren Beschwerden und Wehwehchen und lasse das unbesonnene Gefühl, Glück zu haben, nur bruchstückweise einsickern.
   Heute bin ich neunundvierzig Jahre alt und kann das Glücksgefühl zulassen. Auch physisch habe ich mich verändert. Ich bin älter und ich bin schlanker. Ich wiege weniger als mit zwölf, aber ich war auch eine recht stämmige Zwölfjährige. Ich habe meinen Körper zurückgewonnen, der mir jahrelang abhanden gekommen war.
   Ich habe unangenehme Erinnerungen. Ich, mit neunzehn, als Rockreporterin beim Monterey Pop Festival in Kalifornien. Ich trage ein orange und gelb getupftes Nylonkleid. Ein weites Kleid, so geschnitten, daß es locker über die Hüften fällt. Es hat kurze Ärmel, die mir offensichtlich zu eng sind. Beim letzten Tragen waren sie noch nicht zu eng, und als ich das Kleid diesmal anzog, war ich entsetzt und deprimiert, weil mir die Ärmel ins Fleisch schnitten. Ich mache ein Interview mit Eric Burdon und versuche, die Luft einzuziehen, als ob das Atemanhalten meinen Armumfang verringern würde. Es ist heiß, und ich fühle mich miserabel.
   Eine andere Szene, im selben Jahr. Ich interviewe Sonny and Cher in ihrem Haus in Los Angeles. Cher hat kaum etwas an. Sie besteht nur aus Schultern und Taille und Beinen. Sie bewundert meine purpurnen falschen Wimpern. Sie fragt mich, wo ich sie her habe. Ich kann nicht antworten. Ich bin viel zu abgelenkt durch meine wunden Schenkel, die rot sind und brennen, weil sie ständig aneinanderreiben.
   Es war mir gelungen, meinen Körper häßlich und fast obsolet erscheinen zu lassen. Anscheinend war mein Verstand der einzige Teil von mir, den ich nutzte, und auch das hätte ich besser machen können. Ich dachte schnell und hatte ein akzeptables Sprechtempo, aber alles andere an mir war langsam. Ich ging langsam. Ich betrieb keinen Sport. Wenn ich alte Fotos von mir ansehe, möchte ich weinen. Ich sehe fürchtbar aus. Ich habe meinen Körper nie betrachtet. Wenn ich nach dem Duschen an einem Spiegel vorbeikam, habe ich in die andere Richtung gesehen. Ich habe meinen Körper nie berührt. Ich dachte, Glück zu haben, wenn jemand anders fand, daß ich mich gut anfühlte.
   Dieser verheerende Gemütszustand beruhte auf dem komplizierten Zusammenfluß von Geschichte und Familie. Todeslager, Hunger, Gier und eine schöne Mutter, die außer ihrer Schönheit alles verloren hatte. Es war ein schwer zu verdauendes Gebräu. Ich zerrte an meinen symmetrischen, attraktiven und regelmäßigen Zügen herum und quälte mich so lange, bis ich so entstellt war, daß ich nicht mehr ich, sondern jemand anders zu sein schien. Und als diese andere Person fühlte ich mich frei genug, friedvoll zu sein.
   Freiheit zu empfinden ist immer noch nicht leicht für mich. »Freiheit ist etwas, das Sie sich nie sehr lange gestattet haben«, schrieb mir mein erster Analytiker vor fünfzehn Jahren.


Sex

MEINE MUTTER SAH AUS WIE EINE MISCHUNG aus Sophia Loren und Gina Lollobrigida. Ihre Kleider waren tief ausgeschnitten, rückenfrei, schulterfrei. Im Sommer trug sie überall Bikini, am Strand, im Garten, im Haus.
   Wenn sie abends ausging, glühten ihre Augen, selbst wenn sie die Lider niederschlug. Doch all diese Reize und die Leidenschaftlichkeit wurden durch eine eigenartig zurückhaltende Persönlichkeit gezähmt. Meine Mutter konnte ihren Körper zeigen, aber außer allgemeinen Bemerkungen darüber, ob jemand dick oder dünn war, konnte sie über den Körper oder seine Funktionen nicht sprechen.
   Als ich siebzehn war und sie mir sagte, »wenn du dich selbst respektierst, werden andere es auch tun«, wußte ich, was sie mit dieser dahingeworfenen, kryptischen Bemerkung meinte.
   Aber ich hatte schon aufgehört, mich zu respektieren. Ich schlief bereits mit meinem Freund. In seinem Bett, in meinem Bett, im Bett seiner Eltern. Die Ermahnung meiner Mutter kam zu spät. Ich war schon völlig respektlos.
   Bei meinen eigenen Töchtern habe ich versucht, vorausblickender zu sein. Direkter, oder zumindest unverblümter. Wir haben schon sehr früh über den Körper, über menschliche Reproduktion und über die Liebe gesprochen.
   Meine jüngere Tochter verblüffte mich mit ihrer Ankündigung, sie wolle Justin Derrys Samen benutzen, um ein Baby zu machen. Sie war damals vier Jahre alt, ebenso wie Justin Derry. Sie erklärte ihren Wunsch damit, daß er so schöne blaue Augen hätte. Ich nahm mir vor, sie im Auge zu behalten.
   Über den Körper und seine Funktionen zu reden wurde mit dem Aufkommen von AIDS und einer ganzen Reihe sexuell übertragbarer Krankheiten noch wichtiger. Im Verlauf der Jahre haben wir viele Gespräche geführt.
   Meine jüngere Tochter ging mit siebzehn von daheim fort, um in Philadelphia das Bryn Mawr College zu besuchen. Das ist der amerikanische Weg. Die Amerikaner nennen das nicht »von daheim weggehen«. Dort heißt es »aufs College gehen«. Ich konnte es kaum anders sehen, als daß sie von daheim fortgegangen war.
   »Ihre Tochter geht auf eines der besten Colleges im ganzen Land. Hören Sie auf, so zu tun, als ob das eine Tragödie wäre«, fuhr mich ein verärgerter Nachbar an, als ich deswegen einmal besonders verdrießlich war.
   An dem Tag, an dem ich meine Tochter in dieses College brachte, versuchte ich, nicht so auszusehen, als ob das alles eine Tragödie wäre. Ich half ihr dabei, die 156 Schachteln mit dem Notwendigsten, das sie nach Philadelphia mitgenommen hatte, auszupacken. Ich fand, ich selbst sollte auch für mich eine Liste der notwendigsten Dinge durchgehen.
   »Du weißt, daß ich dich liebe«, sagte ich.
   »Natürlich weiß ich das«, sagte sie.
   »Du weißt, daß du mich jederzeit anrufen kannst«, sagte ich.
   »Ja, auch das weiß ich«, sagte sie.
   »Du kannst mir auch schreiben«, sagte ich. »Und ich schreibe dir.«
   Sie nickte.
   »Wenn du einen Brief von mir erhältst, markiere alle Fragen in dem Brief mit Leuchtstift«, sagte ich. »Wenn du dann zurückschreibst, kannst du alle Fragen beantworten.« Ich verstummte. Ich fühlte mich unbehaglich. Briefe schienen plötzlich eine so archaische und unzureichende Methode der Kommunikation zu sein.
   »Vielleicht sollte ich dir ein Fax kaufen«, sagte ich.
   »Damit du mir faxen und schreiben kannst?« sagte meine Tochter. »Ich wäre Tag und Nacht mit dem Leuchtstift beschäftigt.«
   Ich atmete tief durch und dachte an meinen Nachbarn. Ich versuchte, aus der tragischen Stimmung herauszukommen, in die ich abzugleiten begann. Ich nahm eine Medikamententasche in die Hand, die ich für meine Tochter gepackt hatte. »Hier ist Cortisonsalbe drin, falls du wieder eine Augenentzündung bekommst«, sagte ich. Meine Tochter sah mich ungläubig an.
   »Die Augenentzündung hatte ich, als ich neun war«, sagte sie.
   »Sie könnte wiederkommen«, sagte ich. »Und ich habe dir Advil eingepackt, das scheint dir bei Kopfschmerzen am besten zu helfen, und Kieselzinklotion, eine Tube Antiseptikum, Lutschtabletten gegen Halsweh und Hustensaft.«
   Meine Tochter hörte auf auszupacken. »Lil«, sagte sie, »das hier ist ein College und kein Sanatorium.«
   »Vergiß bitte nicht, daß du gegen Penicillin allergisch bist«, sagte ich. Meine Tochter nahm die Medikamententasche und schob sie unter ihr Bett.
   »Willst du mich noch etwas über Sex fragen?« sagte ich und versuchte ganz entspannt zu klingen.
   »Nein«, sagte sie.
   »Über Verhütung?« sagte ich.
   »Nein«, sagte sie. »Ich bin Expertin. Nicht, daß ich das jemals in der Praxis anwenden könnte. Aber ich kann in zehn Sekunden ein Kondom über eine Gurke ziehen, mit Luft aus der Spitze herausdrücken. Letztes Jahr mußte die ganze Klasse üben, Kondome über Gurken zu ziehen. Sobald die Gurke eine Erektion hatte, mußten wir das Kondom drüberziehen, bevor wir mit dem Vorspiel weitermachen durften. Die Lehrerin hat gesagt, wir sollten nie bis zur letzten Minute warten, bevor wir ein Kondom über eine Gurke ziehen.
   Wir haben geübt, das Kondom nach der Ejakulation, bevor die Gurke wieder schlaff wurde, herunterzuziehen. Wir mußten es vorsichtig am Rand festhalten und dann in ein Papiertaschentuch entsorgen.« Ich begann zu lachen. Offenbar hatte sich all die Sorge gelohnt, die wir darauf verwendet hatten, für sie die richtige High School in Manhattan zu finden.
   Wir lachten beide. Ich hätte das Thema in dem Moment, als es gerade günstig war, fallenlassen sollen. Aber ich war nie gut darin zu wissen, wann ich aufhören muß. »Du weißt, daß es sich lohnt, auf jemanden zu warten, der dir wirklich etwas bedeutet, bevor du losrennst und Sex hast«, sagte ich zu meiner Tochter.
   »Ich renne nicht«, sagte sie. »Da ist keiner in Sicht, zu dem ich rennen könnte.«
   »Es ist mir Ernst«, sagte ich. »Wenn du Sex hast, bist du dem anderen so nah, daß es leicht ist zu glauben, man sei sich tatsächlich nahe. In Wirklichkeit könnte es aber sein, daß du nicht mehr von deinen Partnern weißt, als wie sie sich anfühlen.«
   »Ist das nicht schon eine ganze Menge?« sagte meine Tochter vergnügt. Ich sah sie scharfan. »Bloß Spaß«, sagte sie. Ich war verärgert. Langsam bekam ich Kopfschmerzen. Ich wollte meiner Tochter nicht auf Wiedersehen sagen, ich habe Abschiede immer schwierig gefunden. Für mich sind sie so endgültig. Ich betrachte die kleinste Trennung als Bruch. Besonders die Trennung von dieser Tochter, meiner Jüngsten, meinem Baby, trotz ihres erwachsenen Aussehens.
   »Ich habe keinen Spaß gemacht«, sagte ich. »Ich meinte, was ich sagte. Statt herumzuflippen und unbeholfenen Sex mit jemandem zu haben, den du nicht kennst, lohnt es sich, zu warten und die ganze Herrlichkeit der Liebe zu erfahren.«
   Ich war sprachlos über meine eigenen Worte. Wo waren die denn hergekommen? Meine Angst davor, Abschied zu nehmen, ließ mich zu Barbara Cartland werden.
   Meine Tochter sah mich an, als ob ich mich gerade in E.T. verwandelt hätte. »Lil«, sagte sie, »du klingst wie jemand aus Melrose Place.«
   »Ich dachte, du schaust dir nie Seifenopern an«, sagte ich. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir damit, Socken, Unterwäsche, Pullover und Wäsche in Schränke und Schubladen zu räumen.
   Am Tag davor hatte mich Mimi Bochco, meine beste Freundin in Amerika, aus Los Angeles angerufen. Sie wußte, wie sehr ich diesen Tag gefürchtet hatte. »Liebling«, sagte Mimi, »Ich weiß, daß du dich schlecht fühlst. Ich weiß noch, wie es war, als meine Kinder das Haus verließen, um aufs College zu gehen. Ein paar Tage lang fühlt man sich schrecklich. Und dann fühlt man sich wunderbar.«
   Ich versuchte, Mimis Worte zu beherzigen. Sie ist schon viel länger auf der Welt als ich, und sie weiß, wovon sie spricht.
   Nachdem wir ausgepackt hatten, gingen meine Tochter und ich in eines der großen Auditorien des College, wo die Präsidentin die neuen Studentinnen in einer Rede willkommen hieß. Sie hielt eine sehr berührende Rede, und ich war nicht die einzige unter den anwesenden Eltern, der die Tränen kamen. Danach spazierten wir durch die herrlichen Anlagen zu einem der Studentenheime und tranken dort Tee. Inzwischen hatte ich furchtbare Kopfschmerzen. »Ich muß gehen«, sagte ich zu meiner Tochter. »Ich muß diesen Abschied hinter mich bringen.« Sie sah ein wenig ängstlich aus.
   »Vielleicht könntest du noch eine halbe Stunde bleiben?« sagte sie.
   Ich sah meinen Mann an. Ihm war beides recht, zu bleiben oder zu gehen. »Okay«, sagte ich. »Ich schau' noch einmal in die Schränke und sage dir, was wo liegt.«
   »Vielleicht sollten wir doch einfach auf Wiedersehen sagen«, sagte meine Tochter.
   Als ich nach Hause kam, rief ich Mimi an. Ich sagte hallo und begann zu weinen. Mimi brachte mich zum Lachen. »Heien Bloomberg rief mich gestern an«, sagte sie. »Sie fragte nach dir. Dann meinte sie, ich wäre ein Mutterersatz für dich. Ich sagte zu ihr ›na und, einen besseren könnte sie nicht finden‹.«
   »Du hast recht«, sagte ich.
   Mimi ist wahrscheinlich älter, als es meine Mutter wäre, wenn sie noch lebte. Ich weiß nicht genau, wie alt Mimi ist. Ich kenne sie seit zehn Jahren. Wir sprechen mehrmals pro Woche miteinander. Sie sagt, daß sie mich sehr lieb hat. Sie erzählt mir alles. Aber sie sagt mir nicht, wie alt sie ist.
   Ich glaube, Mimi ist um die achtzig. In manchen Jahren ist sie jünger – letztes Jahr war sie zweiundsiebzig. In anderen älter – vor vier Jahren war sie fünfündsiebzig. Mimis Sohn Steven, der Drehbuchautor und Produzent solcher Fernsehserien wie Hill Street Blues, LA. Law und NYPD Blue ist, möchte zu ihrem achtzigsten Geburtstag ein Fest geben. »Wenn ich mich entscheide, achtzig zu werden, lasse ich es dich wissen«, hat sie ihm gesagt.
   »Ich war nicht besonders gut«, sagte ich zu Mimi. »Ich habe geweint und über Sex gesprochen.«
   »Das klingt nicht schlecht«, sagte Mimi.
   »Ich war aber schlecht«, sagte ich. »Ich habe wie Danielle Steele geklungen. Ich sprach über die ganze Herrlichkeit der Liebe im Gegensatz zu einer beiläufigen Sexnummer.«
   »Der ganzen Herrlichkeit stimme ich voll zu«, sagte Mimi. »Aber das hängt davon ab, mit wem du vögelst. Manche Leute haben eine kleine, dünne Herrlichkeit.«
   Mimi ist unverbesserlich. Sie sagt genau das, was sie sagen will. Zu jedem. Sie beschließt, mich von meinem Kummer abzulenken, indem sie mir von einer gemeinsamen Freundin, einer Mittfünfzigerin, erzählt, die ihr ganzes Leben lang alleinstehend war. »Sie hat endlich einen wunderbaren Mann kennengelernt«, sagt Mimi. »Er ist intelligent, liebenswürdig, gutaussehend – ich sah ihn vor mir – und sehr erfolgreich. Und sie haben viele gemeinsame Interessen. Aber als es zur Sache ging, brachte er keinen hoch und kam nicht zur Sache.«
   »O nein«, sage ich lachend.
   »O doch«, sagt Mimi.
   »Und was ist jetzt mit ihnen?« frage ich.
   »Sie hat es beendet«, sagt Mimi.
   Mir kommt das als sehr harte Lösung des Problems vor. »Sie hätten doch sicher einen Weg finden können?« sage ich. »Wenn er intelligent ist und liebenswürdig und sie viele gemeinsame Interessen haben. Es gibt viele Leute, die kaum gemeinsame Interessen haben und auch nur selten zur Sache kommen. Der Mann scheint vieles zu haben, was für ihn spricht.«
   »Außer dem einen, und das ist stumm«, sagt Mimi.
   »Zählt das?« sage ich.
   »Und ob das zählt«, sagt Mimi.
   Mimi spricht mit schwerem litauischen Akzent. Damit fühle ich mich ganz zu Hause. Er erinnert mich an meine Kindheit in Carlton, wo Einwanderer und Flüchtlinge lebten. Alle Leute hatten Akzente und sprachen ein verstümmeltes und selbsterfundenes Englisch.
   Zu den glücklichsten Momenten meiner Kindheit zählen die, die ich im Lebensmittelgeschäft von Mr. Kurop verbrachte. An der Ecke Amess und Pigdon Street bot Mr. Kurop Dinge an, die es in ganz Melbourne nirgendwo sonst zu kaufen gab. Auf dem Boden standen große Fässer mit Dillgurken und Oliven. Auf dem Tresen stapelten sich Roggenbrote, dunkle Bitterschokolade und Halwa. Im Regal lagen die Würste, und der Kühlschrank war gefüllt mit grünem Hering, Sauerkraut und Rollmöpsen.
   Samstag morgens war der Laden voll. Alle Frauen, die ich unter der Woche sah, wenn sie ihre Kinder zu Fuß zur Schule brachten oder in ihren Häusern und Gärten hin- und hereilten, schienen Samstag morgens in Mr. Kurops Laden zu sein.
   Alle kannten einander, zumindest vom Sehen her. Und alle redeten. Es wurde über alles und jedes gesprochen. Und man beklagte sich. Das Klagen ist eine jüdische Eigenschaft. Wenn ich morgens aufwache, zähle ich meinem Mann erst einmal meine Beschwerden auf. Vielleicht habe ich schlecht geträumt oder schlecht geschlafen. Vielleicht tut mir der Hals weh oder die Psyche. Aber nachdem ich meine Beschwerden aufgelistet habe, geht es mir gleich viel besser.
   Die Frauen in Mr. Kurops Geschäft beklagten sich über alles. Sie klagten über ihre Männer. Jede wußte, wer ein guter Arbeiter war, wer nicht, und wer wieviel verdiente. Die Frauen wußten, wer zuviel und wer zuwenig Sex hatte. Sie sprachen locker über Sex, als ob es ein genauso alltägliches Thema wäre wie das Einkaufen. Sie sprachen darüber, was ihre Männer gestern abend im Bett gewollt hatten und was nicht. Was gut und was weniger gut gewesen war. Sie sprachen Jiddisch. Sie benutzten kräftige, starke Ausdrücke. Sie verzichteten auf höfliche Vokabeln wie Geschlechtsverkehr und Liebe. Sie nannten die Dinge unverblümt beim Namen.
   Ich war fasziniert. Meine Freundinnen, die Frauen in meinem Alter, reden nie darüber, was gestern abend im Bett geschah.


Lesezitat nach Lily Brett - Zu sehen











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Titel von
Lily Brett
 Taschenbuch



New York

© 2001



Einfach so

© 1999



Auschwitz Poems

© 2000

 Hardcover



Zu viele Männer

© 2001



New York

© 2000



Einfach so

© 1988



Tagebuch einer Reise

© 2002

 Audiobook



Einfach so

© 1999


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999/06/12

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger