ILUMMIYA

Mein krauses haar
ist die kresse ist die krause kresse
in ihrem beet der beine -
er wird sie mir wässern
und den dubdub
den vogel der aus der furche der
erde mit dem schnabel schaut
ihn wird er mir streicheln

Meine amme hat
sich wirklich viel mühe gegeben
mein krauses haar hat sie
geflochten zu einem flügel
sanft hat sie´s
gekämmt und mit öl eingerieben
und den harnisch der brüste
mir gerade gerückt

Enheduanna, 24 Jh v Chr


Die Erfindung der Poesie
Raoul Schrott - Die Erfindung der Poesie

Es sind die scheinbar ganz einfachen Fragen nach den Anfängen, die den Autor und Übersetzter Raoul Schrott beschäftigt haben: Wer hat eigentlich das erste Gedicht geschrieben? Wann ist es entstanden? Wer schrieb den ersten Reim?

Herausgekommen ist dabei ein dicker Wälzer, "Die Erfindung der Poesie", eine Zeitreise ins Reich der Lyrik.

Die Suche nach den Antworten führt 35.000 Jahre vor unsere Zeitrechnung zurück. Damals sind die ältesten bekannten Zeichensysteme entwickelt worden - Kalender.

Auf diese Spuren begibt sich Raoul Schrott und verfolgt die Entstehung der Schrift über Piktogramme auf Kieselsteinen aus der letzten Eiszeit bis zu den Hieroglyphen der Ägypter im Anfangskapitel seines Buches.

Die überraschendste Entdeckung dabei: Das erste Gedicht, das von einem namentlich bekannten Dichter überliefert ist, stammt von einer Frau. Sie heißt Enheduanna und ist Prinzessin und Priesterin in der Stadt Ur. Sie schrieb im 24. Jh. v. Chr. 6 Hymnen an die Götter. Sofort wird der enge Zusammenhang zwischen Religion und Dichtung sichtbar. "Die Dichtung als eigene Gattung entstand, als sie sich von der Religion und den sie begleitenden Ausdrucksformen emanzipiert; erst vom Tanz und dann von der Musik. Dabei nahm sie jedoch deren Charakteristiken in ihre Sprache auf; der Rhythmus und die das Singen betonende Vortragsweise stammen daher."

Die Hymne an die Göttin Inanna, die typographisch sehr interessant gestaltet ist, hat Raoul Schrott neu übersetzt. Dabei hat er tüchtig den Staub der Vergangenheit entfernt und sich einer kraftvollen, bildhaften Sprache bedient. Seine Leistung bei der Übertragung alter Texte wird deutlich, wenn er sich Dichtern wie Archilochos (7. Jh. v. Chr.) oder Sappho zuwendet, die in der Vergangenheit so gesteltzt übersetzt wurden, daß ihre Lektüre von eher zweifelhaftem Genuß war.

Diese Mischung, zwischen Schwelgen in neu entdeckter Lyrik und einer fundierten Einführung in die Texte macht den Reiz des Buches von Raoul Schrott aus. Hinzukommt, daß er durch seine Biographie und seine Vielsprachigkeit aus dem Vollen schöpft. Er wurde 1964 auf einer Schiffsreise zwischen Brasilien und Europa geboren, wuchs in Tunis und Zürich auf, studierte Literatur- und Sprachwissenschaften und übersetzt aus dem Lateinischen, Griechischen, Gälischen, Okzitanischen, Französischen und Italienischen.

"Die Erfindung der Poesie" gehört zu den Büchern, mit denen der Leser nie zu einem Ende kommt, die ihn begleiten und in denen immer wieder Neues entdeckt wird.


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  Raoul Schrott -   Die Erfindung der Poesie
  © 1997, Frankfurt, Eichborn, 535 S., 25.46 €


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  Raoul Schrott -   Die Erfindung der Poesie

  Gedichte aus den ersten viertausend Jahren
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Bookinists Buchtipp zum
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Gilgamesh

von Raoul Schrott



An meinem bett stand sie

die dämmerung in ihren
sandalen und weckte mich
gerade in diesem moment

Dieser morgen war
der goldene ginster
der sonne auf dem
strand und dem meer

In der mitte des tages
wenn in der senkecht
herab fallenden hitze
die erde glüht dann

schlagen die zikaden
das lied aus ihren
flügeln noch einen
halben ton höher an

Sappho




© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1998-1-3
Quelle: http://www.bookinist.de