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Hitlers Wien - Lehrjahre eines Diktators Brigitte Hamann - Hitlers Wien
Vor manchen Büchern schreckt man zunächst zurück,
weil sie so umfangreich sind, und schiebt das Lesen vor sich her.
Über 600 Seiten stark ist Brigitte Hamanns exzellente Biografie
über die Lebensorte des jungen Adolf Hitler. Unglaublich
schnell und gespannt taucht man in das Linz vor gut 100 Jahren
ein und lebt in einer Welt wie sie in einer derart präzisen,
lebendigen Darstellung der Erinnerung längst entrissen sein
müsste. Doch Brigitte Hamann hat neue Maßstäbe
für die Verfasser historischer Biografien gesetzt: Mit einer
bewundernswerten Akribie scheint sie alle nur greifbaren Dokumente
über das Linz und ganz besonders das Wien vom Anfang des
zwanzigsten Jahrhunderts aufgearbeitet zu haben und damit gelingt ihr eine
packende Sozialgeschichte der Heimatorte von Adolf Hitler
zu erzählen. Manchmal hat man den Eindruck, sie hätte
Tür an Tür mit ihm gelebt, allerdings ohne ihn persönlich
zu kennen und so sich das Augenmaß behalten, Hitler aus
der erforderlichen Distanz betrachten zu können.
Sie leuchtet die verwandtschaftlichen Hintergründe Hitlers
aus, wobei ihr besonderes Augenmerk der Beziehung zu seiner Mutter
gilt. Mit Faksimiles von Schriftproben, Bildern von den Eltern,
Hitlers Jugendfreunden, Lehrern und Karikaturen zeichnet das Buch
ein plastisches Bild von Hitlers Lehrjahren. Deutlich verspürt
man den Einfluss der Umwelt, wenn man an der Seite Adolf
Hitlers lebt, wie Theater- und Opernvorstellungen, die er besucht
hat, Reden die er gehört hat, Zeitungsartikel, die er gelesen
hat, mutmaßlich seine Gedanken beschäftigt haben und
seine Weltanschauung geprägt haben. Vieles, was er hier (ungefiltert)
aufgenommen hat, findet in seinen späteren Werken und Vorstellungen
seinen Niederschlag.
Mit der Spürnase einer Detektivin hat sich B. Hammann an
die Fersen eines Menschen geheftet, für dessen Prägung
seiner Vorstellungswelt uns bisher nur Wagners Opernwelt als Erklärung
diente.
Besonderes Augenmerk legte Brigitte Hamann auch darauf Wirklichkeit
und Legende voneinander zu trennen. Unglaublich viele Histörchen
umranken eine so monströse Figur der Weltgeschichte. Vieles
wurde über Hitlers Jugend als Propaganda in den 30ern erdichtet
und gänzlich schwierig war die Recherche wohl auch schon
deswegen, weil Adolf Hitler selber aktiv den Versuch unternommen
hat, die wahre Geschichte seiner Jugend zu tilgen - einzig sein
Buch Mein Kampf sollte die ausschließliche Referenz
über seine Kindheit bleiben.
Eigentlich unverständlich, warum es bis heute gedauert hat,
dass die Geschichtsschreibung sich daran macht, die Jugend
dieses Mannes und damit die Herkunft seiner Gedanken zu erforschen.
Erfreulich, dass B. Hamann dies nun umso gründlicher
getan hat - oft ertappt man sich beim Lesen bei dem Gedanken,
ob es wohl einem Historiker in 100 Jahren auch gelänge, ein
derart detailliertes Bild vom sozialen Umfeld eines Menschen zu
entwerfen, so dass die einzelne Figur, die Bestandteil dieses
Bildes sein würde, als völlig logische, konsequente
und natürliche Erscheinung begriffen würde - wenige
Rätsel und Mythen würden uns von so einem Menschen verschlossen
bleiben, wenn dieser Biograf der Zukunft eine so aufwendige Recherche
und Auswertung seines Materials betreiben würde.
Brigitte Hamann hat zweifelsohne einen Klassiker unter
den Biografien geschrieben. Ein Werk, das für jeden Geschichtsinteressierten
ein Muss im Bücherregal ist und dessen Verfallsdatum ganz
sicher weit im nächsten Jahrhundert liegt.
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© by Manuela Haselberger rezensiert am 1997-02-13 Quelle: http://www.bookinist.de layout © Thomas Haselberger
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