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Anna, Hanna und Johanna
Marianne Fredriksson - Hannas Töchter

o wie sich die Namen der drei Frauen - Anna, Hanna, Johanna - , die die Hauptpersonen des Romans von Marianne Fredriksson sind, ineinander verschränken, sich beinhalten und ergänzen, genauso verflochten ist ihr gemeinsames Leben.

Im schwedisch-norwegischen Grenzland lebt Hanna Ende des 19. Jahrhunderts als Bäuerin. Sie ist eine stille, schweigsame Frau, die nach einer Vergewaltigung ihren Sohn zur Welt bringt und später einen zugereisten Müller heiratet. Auch er ist stur, eigenwillig und die beiden raufen sich durch das harte, kärgliche Leben zusammen.

Ihre Tochter Johanna verläßt die Mühle, zieht in die Stadt und verdient sich ihren eigenen Lebensunterhalt. Ihr Verhältnis zu ihrem Ehemann ist schwierig. Zudem muß sie sich mit der eiskalten, bösartigen Schwiegermutter auseinandersetzen. Ihre eigene Mutter Hanna bleibt ihr zeitlebens fremd.

Anna, die Tochter Johannas, schreibt die Geschichte der Frauen auf. Sie, Akademikerin, hat es mit ihrer Ausbildung am weitesten von den dreien gebracht. Für ihre Mutter Johanna hat sie sich immer geschämt. Sie kam ihr roh und ungebildet vor.

Zu spät lotet sie das Verhältnis der drei Frauen untereinander aus. Alle drei waren zu sehr damit beschäftigt ihre Probleme zu lösen, die sich in allen Biographien auf unterschiedliche Weise wiederholen. Keine hat daran gedacht das Gespräch miteinander rechtzeitig zu suchen.

Marianne Fredriksson erzählt in ihrem Roman die Entwicklungsgeschichte dreier Frauengenerationen in Schweden. Jeder Frau versucht sie dabei ihren eigenen Ton im Leben zu geben. Hanna, die Dumpfe, Dunkle, Einfache. Im Vergleich dazu klingt Johanna heller und Anna hat die differenzierteste, aber auch wehmütigste Melodie. Alle drei leben in Moll.

Der Pfad von der archaischen Bäuerin zur feinsinnigen Akademikerin ist der Weg des gesteigerten Bewußtseins der Frauen, doch auch wenn sich die Lebensumstände mit den Jahren völlig verändert haben - einfacher ist das Leben der Frauen nicht geworden.
manuela haselberger



  Marianne Fredriksson -
  Hannas Töchter
   Originaltitel: »«, © 2001
   Übersetzt von
   © 1997, Frankfurt, Krüger Verlag, 381 S., 9.90 € (HC)
   © 1997, Frankfurt, Fischer Verlag, 381 S., 9,90 € (TB)
   © 1997, Hörbuchproduktionen, 6 Cassetten, 46 € (MC)
  
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Das goldene Licht weckte sie zeitig. Vielleicht nicht nur das Licht, denn bis hinein in die Träume der Nacht hatte sie das Vogelgezwitscher aus dem Garten gehört, schön und stark wie der Frühling selbst.

Die Schwalben sind gekommen und bauen Nester unter dem Dach, sinnierte sie und konnte für einen Augenblick spüren, dass alles war, wie es sein sollte.

Sie meditierte, der Gesang der Vögel half ihr auf dem Weg in die eigene Stille.

Dann holte sie sich Großmutters Fotografie und sah sie sich lange an.

Hanna Broman. Wer warst du? Ich habe dich seltsamerweise fast nur vom Hörensagen gekannt. Du warst eine Legende, großartig und fragwürdig. Ganz einmalig stark, sagte Mama.

Ich muss aber doch auch eigene Bilder haben, du hast ja gelebt, bis ich erwachsen war, heiratete und Kinder bekam. Die Fotografie hat mit meinen Erinnerungen an dich nichts gemein. Das ist verständlich, denn das Bild wurde aufgenommen, als du jung warst, eine Frau im schönsten Alter. Ich habe dich nur als alte Frau erlebt, wie eine Fremde, unglaublich groß und dick, eingehüllt in überweite, faltenreiche schwarze Kleider.

So also sahst du in jenen Tagen aus, als du im Vollbesitz deiner Kräfte warst, damals, als du mit einem Fünfzigkilosack Mehl zehn Kilometer weit, von der Mühle am Wasserfall bis zum Dorf an der Grenze, gingst. Dort hast du Mehl gegen Kaffee, Petroleum, Salz und andere Notwendigkeiten getauscht.

Kann das wahr sein? Du trugst den schweren Sack auf dem Rücken, hat Mama gesagt. Aber nur im Frühling und Herbst. Im Sommer bist du gerudert, im Winter zogst du den Schlitten übers Eis.

Wir wurden in verschiedenen Welten geboren, du und ich. Aber ich kann jetzt sehen, dass wir uns gleichen, die gleiche Stirn und der gleiche Haaransatz mit hohen Ecken. Gleich sind der breite Mund und die kurze Nase. Aber du hast nicht mein Kinn, nein, deines ist kräftig und eigenwillig. Dein Blick ist stetig, deine Augen halten Abstand. Ich erinnere mich, dass sie braun waren.

Lange sehen wir einander an. Zum ersten Mal sehen wir einander an!

Wer bist du? Warum haben wir einander nie kennen gelernt? Warum hattest du an mir so gar kein Interesse?

Ich muss zu dem zurückgehen, was ich selbst noch weiß.

Großmutter kam, als ich klein und sie noch kräftig genug war, den weiten Weg von der Bushaltestelle bis zum Haus am Meer, wo wir wohnten, zu Fuß zu gehen, manchmal vormittags zu Besuch. Sie brachte Wohlbehagen mit. Auch ihr Reden machte Freude, eine ulkige Sprache, halb Norwegisch, voll Leichtigkeit, manchmal unverständlich.

Wovon wurde gesprochen?

Von den Nachbarn im Amtmannhaus. Von Kindern, denen es schlecht ging, von versoffenen Männern und kranken Frauen. Tratsch, nicht boshaft, aber auch nicht wohlwollend. Über sich selbst zu reden, wäre unmöglich gewesen. Schändlich.

"Weinst Du nie Oma?"

"Nie. Es hilft nix", sagte sie und wurde flammend rot.

Einmal kam Großmutter am Sonntag zum Mittagessen, von Vater im Auto geholt. Sie hatte lange schwarze Ketten aus Strass und weiße Rüschen um den Hals, schwieg bei Tisch, bis sie etwas gefragt wurde, und war gegenüber dem Schwiegersohn unterwürfig.

Plötzlich erinnerte sich Anna. Eine völlig klare Erinnerung, dachte sie verwundert. Am Mittagstisch herrschte Ratlosigkeit, die Aussage der Schullehrerin, dass Anna begabt sei, wurde gedreht und gewendet.

Begabt? Das war ein ungewöhnliches Wort. Das Fräulein hatte von höherer Schule gesprochen. Großmutter errötete und kicherte, fand das Gespräch geradezu verwerflich. Sie blickte das Mädchen lange an und sagte: "Zu was soll das gut sein? Bist doch bloß ein Mädchen. Hochmütig wird’s und helfen tut’s eh nix."

Vielleicht waren es diese Worte, die über Annas Zukunft entschieden. ›Bloß ein Mädchen‹ erweckte Vaters Zorn, er, der nie eingestand, wie traurig es ihn machte, dass sein einziges Kind ein Mädchen war.

"Das wird Anna selbst bestimmen", sagte er. "Will sie studieren, dann wird sie es dürfen."

Wie habe ich diesen Sonntag vergessen können, dieses Gespräch, dachte Anna. Sie ging zum Bett zurück und sah die Fotografie nochmals an. Du hast dich geirrt, alte Hexe, sagte sie. Ich habe studiert, ich habe die Abschlussprüfung gemacht, ich hatte Erfolg und bewegte mich in Welten, von denen du nicht einmal hast träumen können.

Hochmütig bin ich auch geworden, wie du gesagt hast und was alle sagen. Und was dich angeht, du wurdest zum Fossil, ein primitiver Überrest aus einer entschwundenen Zeit. Ich habe dich aus meinem Leben ausgeschlossen, du warst nur eine peinliche Erinnerung an eine Herkunft, deren ich mich schämte.

Deshalb habe ich dich nie kennen gelernt und habe keine Erinnerungen an dich. Aber es ist auch der Grund dafür, dass deine Fotografie mich so stark anspricht. Denn sie sagt ganz deutlich, dass auch du ein begabtes Mädchen warst.

Du hattest andere Vorurteile als ich, das ist wahr. Aber du hattest manchmal Recht und insbesondere dann, wenn du sagtest, auch ich werde alldem nicht entgehen. Auch auf mich wartete ein Frauenleben.

Ich trug keine Mehlsäcke von der Mühle zur Stadt, Großmutter. Und tat es doch.


Lesezitat nach Marianne Fredriksson - Hannas Töchter



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© 1.5.1997

by Manuela Haselberger
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