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Gerade zu diesem Zeitpunkt, da ihr eigenes Schicksal ihm zum Vorwurf für seine Dichtung wird, und in eine höcjst produktive, glückliche Schaffensphase hinein, macht sie ihm Vorschriften. Um ihn bei sich zu haben, möchte sie ihn vom Schreiben abhalten.

Goethes Versuch, sie, wenn nicht am Inhalt seiner Arbeit, so doch am Äußeren Fortgang zu beteiligen, endet damit, daß Christiane sich in seine Arbeit einmischt. Der Konflikt ist vorprogrammiert.

Er schwelt wohl schon des längeren im Hinblick auf Goethes italienischen Reiseplan.
Christiane weiß, sie muß bald längere Zeit ohne ihn auskommen, für ein halbes Jahr und mehr. Bereits 1795 hatte Goethe nach Italien gewollt. Christianes Schwangerschaft hatte ihn gehindert. Heinrich Meyer ist bereits vorausgefahren. Goethe und er planen ein gemeinsames großes Kunstbuch über Italien. 1796 machen Kriegswirren Goethes Reisepläne zunichte. Die napoleonischen Truppen marschieren in die Lombardei ein. Im Frühjahr 1797 erreicht ihn die Nachricht vom Friedensschluß. Nun will er sofort reisen.

Christiane muß von Anfang an gegen diese Italienreise gewesen sein. Meyer, vom Krieg in Italien überrascht, war ....


Herr und Frau Goethe geben sich die Ehre
Sigrid Damm - Christiane und Goethe

(Buchthema im Lit. Quartett am 18.6.99)

Es ist für den ehrwürdigen Dichterfürsten aus Weimar gar nicht so schmeichelhaft, was die Autorin Sigrid Damm, die sich vor einigen Jahren bereits mit seiner Schwester Cornelia eingehend beschäftigt hat, bei ihren Recherchen über seine Ehe mit Christiane Vulpius zu Tage gefördert hat.

In der Literatur wurde Christiane häufig als seine Mätresse, (immerhin lebten die beiden achtzehn Jahre in freier Liebe, ohne Trauschein zusammen), als ein schönes Stück Fleisch, beschrieben. "Gründlich ungebildet", sagte Thomas Mann über sie, für Schiller, der sie zeitlebens ignorierte, war sie sogar "ein rundes Nichts".

Wer war diese Frau, die bevor sie Goethe im Juli 1788 erstmals traf, mit ihrer Tätigkeit in einer Blumenwerkstatt ihre ganze Familie versorgt, da der Vater arbeitslos geworden ist, die Stiefmutter sterbenskrank im Bett liegt und der Bruder das Gymnasium besucht?

Ganz sicher kein weltfremdes Dummchen, denn sie hat entgegen dem Hofklatsch in Weimar, das Wagnis auf sich genommen, ihre große Liebe zu leben, seinen Sohn August, ohne die Sicherheit einer standesgemäßen Ehe, zur Welt zu bringen und großzuziehen - damals eine absolute Schande.

Interessant dabei ist, daß Goethe sich tatsächlich noch 1783 als verantwortlicher Minister in Weimar explizit für die Todesstrafe einer Kindsmörderin ausgesprochen hat - ausgerechnet er, der spätere Verfasser des Fausts, mit dem erschütternden Monolog des Gretchens in Kirche und Keller, vertritt eine solche Position. "Stellt die Wirklichkeit die Literatur auf die Probe, reißt der Abgrund auf."

Christiane führt an der Seite Goethes kein intellektuelles, durchgeistigtes Leben, - es ist fraglich, ob sie je eine Zeile seiner Werke gelesen hat, - denn sie hat die beiden Haushalte in Jena und Weimar zu versorgen, seine zahlreichen Gäste zu bewirten und ihm den Rücken für sein Schaffen freizuhalten. "Sie kocht, schafft Vorrat, bügelt, wäscht, sticht Spargel, legt Kartoffeln."

Es ist nicht einfach für sie, in späteren Jahren seine verschiedenen Affären mit jüngeren Frauen zu verkraften, doch Christiane läßt sich nicht niederdrücken. Sie geht zusammen mit ihrem Sohn auf Reisen, oder fährt alleine zur Kur. Sie bewaffnet sich mit zwei Pistolen und sieht den Gefahren furchtlos ins Auge.

Sehr schäbig wird Goethes Verhalten, als sie 1815 erkrankt. Für ihn ist jede Krankheit eine Arbeitsstörung, die sein ästhetisches Empfinden verletzt. Als sie stirbt, läßt er sie mit furchtbaren Krämpfen und Schmerzen allein. Eine wenig bekannte Seite des Verfassers der schönen Gedichtzeile "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut."


Sigrid Damm - Christiane und Goethe
1998, Frankfurt, Insel Verlag, 540 S.
2001, München, Hörbuch, 360 min,

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999/06/12

Quelle: http://www.bookinist.de
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