Portugal
Antònio Lobo Antunes - Portugals strahlende Größe

Es ist der zweite Band einer geplanten Trilogie, die der Lissaboner Psychiater und Arzt in "Portugals strahlende Größe" präsentiert. Seine Themen, die auch schon im ersten Buch " Das Handbuch der Inquisitoren" angesprochen wurden, haben sich nicht verändert.

Es geht um die Macht und ihren Mißbrauch sowie um die Frage der Wahrheit und ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung.

Carlos ist in Angola aufgewachsen und seit der Zeit des Salazar Regimes lebt er in Portugal. Zu Weihnachten 1995 lädt er seine Geschwister und die Mutter nach fünfzehn Jahren zu sich ein. Niemand kommt und so sitzt er allein in der Küche und führt einen einsamen Monolog. Er erinnert sich noch einmal an die Zeit in Angola.

Aber auch die anderen Familienmitglieder werden durch die Einladung zum Nachdenken angeregt. Mit vielen verschiedenen Stimmen, das ist die Spezialität von Antunes, taucht er in die Kolonialgeschichte seines Heimatlandes Portugal ein.


Antònio Lobo Antunes - Portugals strahlende Größe
© 1998, München, Lucherhand Verlag, 448 S., 24.50 €
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
© 2000, Frankfurt, Fischer Verlag, 448 S., 9.90 €


älterer Buchtip:
António Lobo Antunes - Das Handbuch der Inquisitoren

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24. DEZEMBER 1995

Als ich sagte, ich hätte meine Geschwister eingeladen, den Weihnachtsabend mit uns zu verbringen
(wir aßen gerade in der Küche, und man konnte hinter den letzten Dächern von Ajuda die Kräne und die Schiffe sehen)
füllte mir Lena den Teller mit Dampf, verschwand im Dampf, und während sie unsichtbar wurde, beschlug ihre Stimme die Fensterscheiben, bevor auch sie verschwand
– Du hast deine Geschwister seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen
(die Stimme trug, als sie die Scheiben mit Dampf bedeckte, die Hügel von Almada mit sich fort, die Brücke, die Christusstatue, die einsam über dem Nebel verlassen mit den Flügeln flatterte)
bis der Dampf sich auflöste, Lena ganz allmählich wieder mit zum Brotkorb ausgestreckten Fingern zurückkehrte
– Du hast deine Geschwister seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen
und da wurde mir plötzlich bewußt, wieviel Zeit seit unserer Ankunft aus Afrika vergangen war, seit den ersten Briefen meiner Mutter anfangs von der Fazenda und dann aus Marimba, vier Hütten auf einem Hügel mit Mangobäumen
(ich erinnere mich an das Haus des Ortsvorstehers, den Laden, an Kasernentrümmer, die im hohen Gras zu Bruch gingen)
die Briefumschläge, die ich in einer Schublade verwahrte, niemandem zeigte, nicht öffnete, nicht las, Dutzende und Aberdutzende dreckiger, von Stempeln und Briefmarken bedeckter Umschläge erzählten mir, was ich nicht hören wollte, die Fazenda, Angola, ihr Leben, der Briefträger gab sie mir auf dem Treppenabsatz, und raunend erstreckten sich Sonnenblumen weit über die Felder, Sonnenblumen, Baumwolle, Reis, Tabak, mich interessiert dies Angola voller Neger im Fort, im Gouverneurspalast und vor den Hütten auf der Insel nicht, wo sie sich in der Sonne aalen und sich für uns halten, ich schloß die Tür, den Brief zwischen zwei Fingern wie jemand, der ein Tier am Schwanz trägt
Briefe wie stinkende, tote Tiere
die Bucht von Luanda war, ihre Kokospalmen vergessend, wieder zu einer winzigen Diele geworden, die einen neuen Anstrich brauchte und mit einem Garderobenständer und einer Kommode dekoriert war, Lena füllte mir den Teller mit Dampf und löschte die Welt aus
– Du hast sie auf die Straße gesetzt und jetzt nach fünfzehn Jahren willst du deine Geschwister wieder zurückhaben
saß vor mir und benutzte ihre Hand als Fächer, um den Dampf zu vertreiben
– An deiner Stelle würde ich heute nacht keinen Besuch erwarten Carlos
sie ist dicker geworden, färbt sich das Haar, klagt über weiß ich was am Herz, läßt sich vom Arzt untersuchen und nimmt Medikamente, Lena, die sich zwischen mich und meine Familie stellt, die Tochter eines Angestellten der Cuca, die mit einer Traube von Vettern und Cousinen hundert Meter vom Marçal-Viertel entfernt lebt, aus Scham habe ich niemals irgendeinem meiner Schulkameraden gesagt, daß ich mit ihr ging, wenn sie sich mir, ganz Gekicher, bei Schulschluß zufällig näherte
(dünn, mit Zöpfen, sie ging nicht zum Arzt und nahm auch keine Herzmedikamente)
flüsterte ich ihr wütend zu
– Hau ab
und wenn ich dann im Bus war, machte ich ihr, nachdem ich mich versichert hatte, daß selbst die Neger uns nicht beobachteten, ein Zeichen mit dem Zeigefinger, ein zusammengeschustertes Haus mit einer von Mücken fleckigen Laterne unter dem Vordach, moosigen Kletterpflanzen, der Vater, der in Unterhosen Zeitung las. Mulattennachbarn in Bretterwürfeln mit Toiletten unter freiem Himmel an einer Mauerecke, Lena, die mich mit offenem Haar im Cafe am Jackenaufschlag zog, die Stadt stand still, meine Kameraden höchst verwundert, das Bierglas in der Schwebe, und ich in der Hoffnung, daß sie mich nicht hörten
– Hau ab
tat so, als hätte ich ebensowenig Ahnung wie sie, als wäre ich genauso entgeistert wie sie, die über das Haus und die Nachbarn herzogen, deine Hefte auf den Boden warfen, lachend deinen Rock hochhoben, dir von fern zuschrien
– Musseque-Schlampe
du hobst weinend die Hefte auf, und dein Vater, der nicht ein Auto fuhr wie wir, kam auf einem alten Moped vorbei, bedrohte uns mit der Zeitung, harmlos, unsicher auf seinen knotigen Beinchen
– Meine Tochter ist mehr wert als ihr unverschämten Kerle
Lena, die mich im Café am Rockaufschlag zog
– Ich muß mit dir reden tut mir leid morgen werden alle Leute in Luanda von uns beiden wissen, der Geschäftsführer mich mit einer ärgerlichen Geste hinauswerfen
– Mach daß du wegkommst
meine Kameraden werden sich die Nase zuhalten und das Gesicht abwenden
– Du riechst nach Sambizanga daß es nur so zum Himmel stinkt Carlos
Lena, die Egoistin, scherte sich nicht darum, daß sie ihr Gesicht abwenden könnten, schleppte mich an die Uferstraße zu den Arkaden, die Vögel schmückten und darauf warten, daß es dämmerte und die Fischkutter ausliefen, damit sie kreischend losfliegen und Dieselöl nippen konnten
– Du rufst mich nicht an du schenkst mir keine Beachtung
Lichter, die sich zwischen den Hütten und den Palmen der Insel bewegten, brennende Straßenlaternen, das Hotelschild, dem orange und blaue Lettern fehlten, Leute und Autos, die wegen der Dunkelheit nicht auf mich achteten, meine Kameraden riefen ihre Freunde an Hör mal, die ganz große Neuigkeit, weißt du schon, halt dich gut fest, fall nicht in Ohnmacht, rat mal, mit wem Carlos geht, nein nicht der, der andere, der Schwachkopf aus Malanje, ich haßte Lena, die mir nicht einmal einen Sohn schenkt, in Ajuda den Tisch abdeckt, das Wachstuch mit einem Schwamm abwischt, die Gummihandschuhe zum Abwaschen anzieht
– Du hast sie auf die Straße gesetzt und jetzt willst du deine Geschwister wieder zurückhaben an deiner Stelle würde ich heute nacht keinen Besuch erwarten
sie hat keine Ruhe gegeben, bis ich sie geheiratet, aus dem Marçal-Viertel befreit habe, von den Verwandten, die im Ruß des Zimmers vor Malaria zitterten, schwarz gekleidet, als wären sie noch immer im Minho, man stolperte über Tonschüsseln und kleine Heiligenstatuen mit Öldochten zu ihren Füßen, sonntags jäteten die Onkel in ihren Mänteln schwitzend fünf Handbreit Garten in der Hoffnung auf Kohlköpfe
du gehst mit der Musseque-Schlampe Carlos gib es zu daß du mit der Musseque-Schlampe gehst sie ist überhaupt keine Musseque-Schlampe was hast du bloß immer ihre Wohnung ist noch im Bau
die dicke Lena mit dem gefärbten Haar hatte das Geschirr abgewaschen, es im Schrank gestapelt, die Handschuhe ausgezogen und ging nun ins Wohnzimmer, wo der Weihnachtsbaum noch ohne Topf und ohne den Stern aus Silberpapier und ohne Kugeln und Schneeflocken lag
– Du hast deine Geschwister seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen
ich blieb allein in der Küche sitzen, hörte dem Summen des Kühlschranks zu und schaute auf die Hügel von Almada, schaute aus dem Rückfenster des Jeeps auf die Fazenda, während wir uns durch die Schlaglöcher in der Schotterpiste entfernten, die die welk bis auf den Teerbelag herunterhängenden Sonnenblumen teilte, die Ladenkneipe, in der die Bailundo-Tagelöhner sonntags Zigaretten, Trockenfisch und lauwarmes Bier kauften, tauchte in einer Kurve auf und versteckte sich zusammen mit den verkohlten Hütten hinter den Bäumen auf dem Platz, auf dem ein Setter bellte, welke Sonnenblumen, welker Reis, welke Baumwolle, der Traktor ohne Räder im Straßengraben, dort wo die Schotterpiste auf den Teerbelag stieß, hüpfte eine Patrouille der Unita vor uns und befahl uns, mit Gewehren fuchtelnd, den Jeep anzuhalten, barfüßige Soldaten in zerfetzten Uniformen, die auf der Suche nach Geld und Eßbarem, nach irgend etwas, was sie stehlen konnten, im Gepäck herumwühlten, ein unerträglicher Gestank nach Maniok, dreckstarrende Fingernägel, die zwischen den Sitzen stocherten, zahnlose Münder
– Raus raus
meine Schwester, die ihnen, sich vor Angst windend, entschlüpfte, zu meiner Mutter
– Mutter
– Du hast sie auf die Straße gesetzt und jetzt willst du deine Geschwister wieder zurückhaben an deiner Stelle würde ich heute nacht keinen Besuch erwarten
ein Feldwebel mit Strohhut, der sich nicht um die Soldaten kümmerte, brutzelte, ohne uns zu beachten, eine Schlange auf einem Kanonenwischer, ein Windwirbel tanzte mit den Blättern im Innenhof des Klosters mit seinen zerborstenen Säulen und den Salamandern und Geckos auf dem, was von den Bögen übriggeblieben war, wohin mein Vater, langsam an seinen Stöcken gehend, die Milane beobachten kam, mein Vater im Bett, um das Kopfteil war der Rosenkranz geschlungen, blickte uns erschrocken wie ein Blinder an
– Gebt eurem Vater einen Kuß
riesige Nasenlöcher, der fleckige, wie saitenbespannte Hals beim mühevollen Versuch zu atmen
(man konnte die Angst der Rippen erkennen)
ich verhedderte mich in einem der Spazierstöcke, und der Spazierstock fiel mit dem größten Krach, den ich jemals gehört habe, zu Boden, mein Bruder, der wegen des Donners schrie und auf allen vieren unter die Möbel tauchte, klammerte sich. Kakaotropfen auf seinem Kittelchen, an den Stuhl
– Ich geb keinen Kuß
mein Vater mit einem Holzstaubkratzen im Hals, an jenem Tag aßen wir in der Anrichte und hörten dem Regen auf dem Dach zu, die Bediensteten machten belegte Brote, spießten Kroketten auf Zahnstocher, brachten Tabletts nach oben, im Garten Wagen von anderen Fazendas, meine Schwester zu meiner Mutter, während sie versuchte, den Soldaten mit den zerfetzten Uniformen zu entwischen
– Raus raus
– Mutter
die unsere Koffer öffneten, uns die Taschen ausrissen, mir die Goldkette abnahmen, der Feldwebel mit der Schlange drehte den Kanonenwischer und schaltete ein Kofferradio ein, als wäre ein Festtag und er mit seinen Kumpanen in der Kneipe, die Musik sprang aus einer Pfütze von Geknatter und machte uns taub, meine Mutter schob einen der Soldaten mit der Handtasche weg
– Schenk ihnen die Ohrringe damit sie uns in Frieden lassen Clarisse schenk ihnen was sie wollen
erst da sah ich einen Körper neben der Schlange liegen, einen von Schmeißfliegen übersäten Soldaten, dem die Hälfte des Kopfes fehlte, ich kniff Lena in den Ellenbogen, Lena ganz leise
– Halt den Mund
ein Soldat schlug ihr mit dem Gewehrkolben auf den Bauch
den Bauch, der niemals ein Kind bekommen hat weißt du schon halt dich gut fest fall nicht in Ohnmacht rat mal mit wem Carlos geht
zerriß ihre Kette, die Kugeln rollten überall hin, während der Feldwebel gerade begann, die Schlange mit dem Messer zu häuten, meine Schwester übergab die Ohrringe, die Spange im Haarknoten, den Ring, der von den Mörsereinschlägen aufgesprungene Teerbelag der Straße von Malanje zitterte in der Hitze und da plötzlich das Geräusch eines Flugzeugs, die Soldaten versteckten sich im hohen Gras, der Feldwebel schnitt die Schlange in Stücke und steckte sie in einen Sack, ging gemächlich davon, meine Mutter stieg zurück ans Steuer des Jeeps, gab Gas
– Schnell
während wir die Wäsche, die Hemden, die Strümpfe, die Hosen, Lenas Beutel für Schminke und Parfüms mit den zerquetschten Etuis und Flaschen in die offenen Koffer stopften, spähte meine Mutter das hohe Gras aus
– Schnell
Lena konnte wegen des Gewehrlaufs nicht laufen, Rui und ich trugen sie
– Du hast deine Geschwister doch seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen
– Schnell schnell
meine Schwester sammelte weiter Pullis, Sandalen, einen kleinen runden Spiegel, die Kugeln der Kette, die in der Sonne tanzten, das Geräusch des Flugzeugs wurde nach Norden hin leiser, jenseits des Busches in Richtung Pecagranja oder Chiquita
ich erinnerte mich an die Mangobäume und den Jinga, den der Polizeichef aufgehängt hat, ich erinnerte mich an die andern Neger, die schweigend warteten
eine Bombe, eine weitere Bombe, in der Ferne eine Kanone, die am Himmel erblühte, meine Mutter voller Angst, die von der Unita könnten zurückkommen und uns das gleiche passieren wie dem Soldaten mit den Schmeißfliegen
– Clarisse
der Jeep fuhr holpernd, Lena hielt sich den Magen mit den Armen, dünn, mit Zöpfen trat sie in Malanje aus der Kirche, die Orgel flötete weiter, die Cousinen warfen Blütenblätter auf die Stufen, der Herr Bischof lächelte, der Gehenkte streckte ein- oder zweimal die Beine aus und kreiselte dann am Stamm, der Polizeichef zeigte mit seiner Reitgerte auf ihn
– Trockenfisch wird im Laden der Patroa gekauft und nicht im Dorfladen
er befahl den schwarzen Soldaten, die Kisten mit dem Fisch des mestizischen Händlers zu zerstören, der keine Geste wagte, daß sie Benzin darübergossen und sie anzündeten, die Ballen mit Serge, die Tabakpäckchen, die Regale mit den Knöpfen, den Hosenträgern, den Gummibändern, den Ledergürteln und dem Holzspielzeug brannten, der Händler kam, den Sohn auf den Schultern, um meine Mutter um Verzeihung zu bitten, wollte schon niederknien
– Ich schwöre ich habe keine Ahnung gehabt daß sie für Sie gnädige Frau arbeiten ich verkaufe den Angestellten der Fazenda nichts ich verkaufe nur was an die Bevölkerung von Chiquita
log wie gedruckt, denn die ganze Bevölkerung von Chiquita arbeitete für uns, und er raubte uns die Prozente auf den Gewinn, tat ganz unterwürfig, versuchte uns mit dem Kind zu rühren, zeigte uns die Hütte, in der er lebte
– Ich bin arm
küßte meiner Mutter die Hand, küßte mir die Hand, ich bat den Gefreiten der Cipaios um den Prügelstock, während der Händler seinen Sohn beschützte, aus zerrissenem Mund jammerte
– Tun Sie mir nicht weh ich bin arm tun Sie mir nicht noch mehr weh
um ihm Gehorsam beizubringen, verteilten wir die Milchferkel und die Grieben des Ladens unter den Vorarbeitern, ein Göpelwerk aus lächelnden, glücklichen Geschöpfen, wie die Afrikaner es immer sind, wenn sie hier und dort aus dem Unglück der anderen Gewinn ziehen, sie plünderten den Mestizen aus, stießen in ihrer Gier, sich der Asche und des Mülls zu bemächtigen, gegen den Gehenkten, während die Frau des Mestizen sie schweigend betrachtete, eine Inderin in Pantoffeln, die in der Schulhütte Schülern ohne Tafel oder Bücher lehrte, Zahlen und schiefe Buchstaben auf Packpapier zu schreiben, die ersten Fledermäuse lösten sich drängelnd aus der noch unentschlossenen Nacht, der Polizeichef galant zu meiner Mutter
– Vielleicht hätten wir den Mestizen aufhängen sollen
der Händler entsetzt, mit wirrem Haar, der schlammigen Mähne eines alten Pferdes, die wartenden Kunden hatten sich bei der Aussicht mit Steinen versorgt, eine zweite Gratishinrichtung genießen zu können, die noch lustiger war als die alten Filme, die man ihnen am Dia de Camões an die Wand der Polizeistation projizierte, Reden des Marschalls Carmona, Aufmärsche von Feuerwehrleuten, die Kinder der Mocidade Portuguesa im Profil bei römischen Grüßen, Einweihungen von Staudämmen, alles voller Streifen, Geruckel, leeren Stellen, der Film fing alle paar Minuten an zu brennen, der Filmvorführer
– Scheiße
klebte ihn wieder, Tagelöhner mit grün-roten Fähnchen zögerten unsicher, was sie mit ihnen machen sollten, sie bekamen ein Glas Wein, eine Packung Kekse und ein Medaillon aus Fátima, ihnen wurde zugebrüllt
– Es lebe das Vaterland
sie antworteten ohne Begeisterung darauf, denn begeistert über irgend etwas habe ich sie nie gesehen, es sei denn über das Unglück und Uhren mit Metallarmband
– Es lebe das Vaterland
und dann wurden sie bis zum nächsten Tag in Ruhe gelassen, wedelten, mit vollem Bauch, stockbetrunken in der Senzala mit den Fähnchen, glücklich angesichts der Möglichkeit eines zweiten Tagelöhners am Ende eines Hakens, vor allem falls sie zur Familie gehörten und seinen Plunder erbten, den kaputten Topf, den Krug ohne Henkel, die elende Bastmatte, meine Mutter zum Polizeichef, kokett, aber mit wachem Sinn für Wirtschaftsplanung
– Wenn wir sie alle aufhängen wer glauben Sie macht dann die Arbeit?
und da der Polizeichef nicht die Absicht hatte, ab sechs Uhr morgens für fünfzehn Escudos am Tag Reis zu ernten und gezwungen zu sein, in der Ladenkneipe sein Geld auszugeben und am Ende des Monats Schulden zu haben, da der Fisch teuer war, dreimal soviel kostete, wie das ganze Dorf dafür zahlte, ersetzten die Cipaios das treffliche Vorhaben, einen Gehängten an einem Ast zappeln zu lassen, durch ein noch besseres, nämlich das der allgemeinen Verteilung von Stockhieben an die undankbare Bevölkerung, die diese Initiative seltsamerweise nicht freudig begrüßte, sondern die Flucht hinunter zu den Flößen am Fluß ergriff, die Hand auf dem Rücken oder den Hinterbacken, je nachdem wohin die Laune den Schlagstock treffen ließ, verfolgt von meinem Bruder und den kleinen Bleikugeln des Luftgewehrs, mit dem er seit Ostern Pecagranja terrorisierte, meine Mutter besorgt
– Ruft Rui der Arme fällt sonst noch hin und tut sich wegen dieser Trottel weh Rui
– Wie kommst du nur auf deine Geschwister wo du sie doch seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hast?
der es liebte, bei der Ernte der Sonnenblumen mit den Kernen zu schießen, der Sanitäter mit der Brille, die mit Heftpflaster zusammengeklebt und deren eines Glas gesprungen war, brauchte Stunden, um sie mit Mercurochrom und einer Pinzette herauszuziehen, im gammeligen Krankenstation genannten Zelt, rostige Spritzen, an einem Nagel der Gummischlauch des Klistiers und abgelaufene Chininampullen in Pappkartons, all dieser Fürsorge zum Trotz wurden die von der Hochebene von Huambo, die vom Verwalter für einen Sack Samen pro Bauer geliefert wurden, nicht müde, an Amöbiasis zu sterben, sobald sie auf den Viehwagen hier angekommen waren, sie taten so, als seien sie von der Reise erschöpft, um nicht zu arbeiten, fingen gleich mit Erbrechen und Fieber an, der Verwalter, der sich nicht davon abbringen ließ, daß sie absichtlich in Agonie verfielen, steckte, um ein Exempel zu statuieren, dem Häuptling einen Eiswürfel in den After, doch bereits am Mittwoch war der Häuptling
– Ein Mann mit eiserner Gesundheit gnädige Frau das ist der Widerspruchsgeist dieser Rindviecher
tot und begraben, und seine getreuen Untertanen beeilten sich, ihn nachzuahmen
– Steh auf und laß das Getue steh auf
sie hielten, von Klistieren und Chinin gestärkt, höchstens einen Monat durch, meine Mutter setzte sich mit dem Verwalter von Dala Samba ins Einvernehmen und heuerte dann Bundi-Bângalas an, die, obwohl sie verlogen und langsam waren, immer noch ein bißchen länger hielten, einige standen sogar die ganze Ernte durch, doch die konnten dann nicht knochenklappernd weggehen, da sie uns wegen der Ausgaben in der Ladenkneipe die nächsten zwanzig Ernten schuldeten, falls sie gratis säten und nichts aßen, die Cipaios verwahrten ein oder zwei ihrer Kinder im Gefängnis, um sicherzugehen, daß sie bei uns blieben, ein bißchen geschwächt natürlich, doch bereit zu arbeiten, samstags zeigten sie ihnen dann die Kleinen von fern durch die Gitterstäbe, wenn meine Mutter eine Bundi-Bângala wäre, würde sie vor Erleichterung einen Purzelbaum schlagen, daß sie nicht die Nachkommenschaft und den Mann am Bein hatte, falls sie den überhaupt nehmen würden, das Problem war, daß niemand uns wollte, wen hätte es denn schon nach einem halbtoten Invaliden und drei nichtsnutzigen Gören verlangt, genau wie sie
ich wette drauf
glücklich war, uns vor achtzehn Jahren unter dem Vorwand des Bürgerkrieges, den sie gegen die Weißen, die Kubaner, Südafrika führten, nach Lissabon einzuschiffen und nach Cassanje zurückzukehren, um über die Pflanzung zu bestimmen, ohne daß wir oder Lena sie störten
– Musseque-Schlampe
jetzt Briefe voller Marken und Stempel schickte, die so dreckig waren, als wären sie zu Fuß von Malanje nach Ajuda gekommen, die mir der Briefträger gab und die ich dann, ohne sie zu lesen, in der Schublade stapelte, zuerst die Briefumschläge von der Fazenda und dann aus Marimba, einem Dorf, das nicht einmal auf den Karten existiert, Mangobäume, eingestürzte Häuser, die Schlafsäle der Kasernen, die im Regen zerbröseln, meine Mutter, die sich, ich weiß nicht wie, in irgendeinem Schweinestall zusammen mit einer oder
zwei Dienstmädchen, die bei ihr geblieben sind, von Funje ernährte, mit der Köchin, die Maria da Boa Morte heißt
Maria da Boa Morte Maria da Boa Morte Maria da Boa Morte
weil die, die sie gemacht hatte, bei ihrer Geburt gestorben war, und die immer eine brennende Zigarette mit der Glut nach innen im Mund hatte, als ich klein war, liebte ich ihren Geruch nach gebratenem Fett, ihren Zigarettengeruch, den Geruch nach Kölnisch Wasser, mit dem sie sich begießen mußte, damit ihr Negergeruch überdeckt wurde, mit Maria da Boa Morte
Maria da Boa Morte
und vielleicht auch mit Josélia, die sich um meine Großmutter im Zimmer im ersten Stock oberhalb des Apfelbaums gekümmert hatte, der den Sprühregen abkonnte, die vom Klima gedörrten Apfelbäume, die sich, während ich größer wurde. Zweig für Zweig in duftenden Staub auflösten, als hätte es sie nie gegeben, keine Spur auf der Erde, keine Narbe, keine Furche, keine Falte, kein Zeichen, als hätte es auch mich nach so vielen Jahren nie gegeben
Josélia Maria da Boa Morte Josélia Josélia
als hätte es meine Geschwister nie gegeben, trotz der Winter, die wir in dieser Wohnung verbracht haben, in die sie, wie Lena behauptet, nie zurückkehren würden
– An deiner Stelle würde ich heute abend keinen Besuch erwarten Carlos
Clarisse habe ich ein Telegramm nach Estoril geschickt, ich habe telefonisch mit dem Direktor des Heimes von Rui gesprochen, habe ihm gesagt
– Um sechs Uhr
habe ihm gesagt
– Ich warte auf dich ich erwarte ihn um sechs Uhr
und deshalb werden sie jeden Augenblick klingeln, ich wette, wenn ich anfinge zu zählen, würden sie an die Tür klopfen, noch bevor ich bei hundert angekommen bin, ich höre draußen ein Taxi, den Bus an der Haltestelle der Avenida, Schritte auf der Treppe, und ich habe den Tannenbaum noch nicht geschmückt, ich muß die Tanne noch in den Blumentopf stellen und Kiesel dort hineinschütten, damit er gerade stehenbleibt, ich muß noch diesen Paillettenstern, den Watteschnee
Baumwolle Sonnenblumen Reis der Geschmack von Papayas
die Girlanden, die Kugeln anbringen, die Pralinen einwickeln, die ich für Clarisse gekauft habe, die Krawatte, die ich für Rui gekauft habe, den Sekt im Eiseimer, die kleinen Teller mit Nüssen und Pinienkernen, die Spitzendecke auf dem Tisch, der Königskuchen, der Stockfisch, ich wette, daß, wenn ich von hundert bis null zurückzähle, hundert neunundneunzig achtundneunzig siebenundneunzig sechsundneunzig, beide hier sind, noch bevor ich bei zehn angekommen bin, wenn ich bis null komme, und nichts passiert, dann liegt das daran, daß meine Schwester meinen Bruder abgeholt hat und im Verkehr steckengeblieben ist, es ist schwierig, eine Straßenbahn, noch viel schwieriger, ein Taxi zu bekommen, jetzt, wo ganz Lissabon Einkäufe macht, Shoppingcenter, Boutiquen, Supermärkte, meine Geschwister mit Geschenken für mich und für Lena, ein Buch, eine Platte, ein Nippesgegenstand, ein Bilderrahmen, und ich helfe ihnen aus dem Mantel, hänge die Mäntel an die Garderobe, spieße die Regenschirme in die große Keramikvase, lobe ihre Eleganz und bei ihm das Fehlen weißer Haare
– Erwarte heute abend keinen Besuch Carlos
Lena, die sich ein Weihnachten mit mir allein vorgestellt hatte
(noch einmal bis hundert zählen, von hundert bis null zählen, bis dreihundert zählen)
genau so eines wie die letzten fünfzehn Jahre seit ich sie
wie sie felsenfest behauptet
aus Ajuda rausgeworfen habe, Lena, die überrascht aufsteht in ihrer Bluse, die zumindest besser ist als die Klamotten aus Sambila
– Sie ist keine Musseque-Schlampe Ehrenwort sie ist keine Musseque-Schlampe ihre Eltern besitzen ein Apartment daran wird noch gebaut Ehrenwort sie ist genauso wie wir
die sie sonst getragen hatte, Schmuck und Klimperkram aus Messing, ein Weihnachten allein mit mir, beide schauen wir uns gelangweilt, schweigend, die Messe im Fernsehen an, lesen Zeitschriften, lauschen dem Klingeln der Regenrinne und dem Wind in den Büschen, Lena bietet Stühle an, bietet meinen Platz auf dem Sofa an, der eine Kuhle so groß wie mein Körper hat
– Setzt euch setzt euch
die Hügel von Almada gegen den Himmel, erleuchtete Schiffe, die Scheinwerfer der Werft, Lena allein im Wohnzimmer, ich allein auf der Schwelle, die Sektflasche im Eiseimer, die kleinen Teller mit Nüssen und Pinienkernen, die Spitzendecke, der Königskuchen, die Lichterkette, die an der Tanne blinkt, ich zähle bis hundert, bis fünfhundert, bis tausend, bin sicher, daß sie kommen werden, weil ich ein Telegramm nach Estoril geschickt habe, mit dem Heimleiter am Telefon gesprochen habe, bin sicher, daß sie dem Klingeln der Regenrinne und dem Wind in den Büschen im Stadtteil lauschen werden, zähle tausendmal von eins bis hundert bis zum Morgengrauen vor der unberührten Schüssel mit Stockfisch.



24. Juli 1978

In mir ist etwas Schreckliches. Manchmal weckt mich das Raunen der Sonnenblumen, und ich fühle, wie mein Leib im Dunkeln des Zimmers anwächst mit dem, was kein Kind ist, keine Schwellung ist, kein Tumor ist, keine Krankheit ist, es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde, und dann höre ich auf zu atmen, klammere mich an das Kopfteil des Bettes, und die tausend Stengel des Schweigens schwimmen schwebend in den Spiegeln, warten auf die beängstigende Helligkeit des Morgens. In solchen Augenblicken glaube ich, ich bin tot, von Hütten und Baumwolle umzingelt, meine Mutter ist gestorben, mein Mann ist gestorben, ihre Plätze am Tisch gibt es nicht mehr, und was ich jetzt bewohne sind leere Zimmer über leere Zimmer, deren Lampen ich in der Dämmerung anzünde, um die Abwesenheit zu betrügen. Als Kind, bevor wir nach Angola zurückkehrten, habe ich miterlebt, wie der Dorftrottel in Nisa gelyncht wurde. Die Jungen hatten Angst vor ihm, die Hunde ergriffen die Flucht, wenn er auftauchte, er stahl Mandarinen, Eier, Mehl, baute sich vor dem Hauptaltar auf und beschimpfte die Heilige Jungfrau, eines Tages schlitzte er ein Kalb vom Hals bis zu den Lenden auf, das Tier kam über seine Därme stolpernd auf den Platz, die Bauern des Erbgutes packten den Verrückten
ich am Ende der Sprechstunde, während Rui sich mit Hilfe der Krankenschwester anzog
– Was hat der Junge Herr Doktor?
– Ein erblich bedingtes Problem im Gehirn gnädige Frau ungeordnete elektrische Ströme sein Verhalten kann sich verändern
sie schubsten ihn auf den Dreschplatz, begannen ihn mit Hacken und Stöcken zu schlagen, ohne daß er sich wehrte oder gar protestierte, ein Landstreicher, der lächelte, und bei jedem Schlag wurde sein Lächeln breiter, ich erinnere mich an einen buckligen Olivenbaum, die Sonne, Männer, die die Sicheln heben und senken, der Verrückte lächelte immer weiter, zog den Kamm aus der Hosentasche und kämmte sein Haar, im Augenblick darauf zermalmte ihm ein Stein die Brust, und seine Haarsträhnen sahen wie das Nest aus, das die Störche hoch oben auf dem Wasserspeicher bauen
– Er wird beispielsweise aggressiv wird aufsässig geben Sie ihm diese Tabletten zum Mittag- und Abendessen und im Mai werden wir ihn wieder untersuchen
Zweige und Blätter und Schlamm und Stoffetzen, als die Bauern sich zurückzogen, blieb ich ziemlich lange allein mit dem Mann, bevor die Polizei kam, ich und die wilden Tauben, die um den Damm flatterten, da niemand mich beobachtete, nahm ich den Kamm des Verrückten, einen zerbrochenen Kamm, dem Zähne fehlten, versteckte ihn in meiner Schublade hinter den Bleistiften und den Schulheften, verwahrte ihn jahrelang in einer zerbeulten, zerkratzten Keksdose, ohne Farbe auf dem Deckel, und wenn ich ihn berührte, sah ich die Häuser von Nisa und das Kalb, das über seine Därme stolpernd auf den Platz kam, die anderen werden nie was auch immer begreifen
– Ist das ein Kamm Islida?
– Ist es nicht
– Ich wette es ist ein Stück Kamm zeig mal
– Ich zeige nichts es ist nichts laß mich und ich glaube ich bemerkte damals, daß es etwas Schreckliches in mir gab. Ich wachte nachts vom Raunen der Sonnenblumen auf
– Die Sonnenblumen wecken dich aber wenn die Kleinen weinen wachst du nicht auf
mein Leib wuchs im Dunkel des Zimmers an mit dem was kein Kind ist, keine Schwellung ist, kein Tumor ist, keine Krankheit ist, es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde, mein Gesicht lächelte das Lächeln des Mannes, der bäuchlings auf dem Dreschplatz lag und den betreffend der Hauptmann der Polizei, indem er ihn mit dem Stiefel prüfte, meinem Onkel rief
– Verscharren Sie ihn im Straßengraben wo die streunenden Hunde begraben werden da düngt er das Röhricht und die Sache ist erledigt
ließ es zu, daß Carlos
(nein, nicht Carlos)
sich in mir bildete, um den Schrei zu ersticken, die Schwangerschaft bedeutete, daß mein Körper zu einem Sarg wurde, in dem eine Leiche wuchs
– Kämmst du das Baby mit diesem gräßlichen Kamm Isilda?
– Tu ich nicht laß mich in Ruhe geh weg
und dann Clarisse und dann Rui, und ich blutete wie ein ausgeweidetes Kalb, stolperte jedesmal, wenn sie geboren wurden, über meine Därme, fiel in erschöpfter Agonie, vom Hals bis zu den Lenden zerfetzt, aus mir selbst heraus ohne Protest, ohne Klage, ohne ein Wort des Hasses, bäuchlings auf den Bettlaken
– Drehen Sie sich auf den Rücken Dona Isilda drehen Sie sich sofort auf den Rücken was soll denn das?
in der Handfläche den Kamm, herausfordernd die anlächelnd, die mich töteten, weil es irgend etwas Schreckliches in mir gibt, das ihr nicht kennt, doch das die Tiere und die Neger bemerken, das die Dienstmädchen bemerken, wenn sie mich ängstlich anstarren, sobald ich in die Küche komme, um die Mahlzeiten festzulegen, als würde ich vor ihnen verenden, irgend etwas Schreckliches, das sich in Rui fortsetzt
– Ein erblich bedingtes Problem gnädige Frau eine Komplikation die an die Kinder weitergegeben wird man kann nie voraussehen wie sie sich verhalten werden
und das Carlos und Clarisse nicht haben, da sich weder die Tiere noch die Afrikaner vor ihnen erschrecken, sie schmiegen sich
an ihre Beine, scheuern sich daran, beschnüffeln sie, lachen, eine Art still zu sein, innezuhalten, zu schauen, ein Ausdruck, ein Geruch, das Haus ist ohne die Kinder anders geworden, nicht größer, anders, es heißt immer, wenn sich die Kinder verabschieden, werden die Häuser größer und traurig, das ist nicht wahr, als ich aus Luanda zur Fazenda zurückkehrte, gleich nachdem das Schiff in einem riesigen Durcheinander verschwunden war, voller Gepäck und Leuten, einmal abgesehen von den Kühlschränken und Herden und Autos, die auf dem Kai zurückblieben und die die Kubaner und die Bewohner der Musseques, bereit, für einen elektrischen Kochtopf oder eine kaputte Geschirrspülmaschine zu sterben, mit Schüssen untereinander aufteilten und konzentriert wie Ameisen durch die ganze Stadt schleppten, als ich von Luanda zur Fazenda zurückkehrte, hatte sich das Haus verändert, ich kannte die Gegenstände, und sie kamen mir fremd vor, ich kannte die Stühle und setzte mich nicht darauf, die Fotos in den Rahmen zeigten mir Unbekannte, deren Gewohnheiten und Namen ich kannte, die Köchin, das einzige Wesen auf der Welt, das Carlos mochte, mich mochte er nicht, die Geschwister mochte er nicht, seine Frau mochte er nicht, sie mochte er, oben auf dem Schiff hockend, bat er mich, sie gut zu behandeln, die Maria da Boa Morte mit der Zigarettenglut im Mund, der ich Benimm beigebracht habe wie einem Tier und die ich aus Mitleid zwischen Krügen und Kohlköpfen behalten hatte, und mein Sohn, erklär mir einer, warum, wich keinen Zentimeter von ihrer Seite, trank, was ihre Hand ihm reichte, aß, was ihre Hand ihm reichte, verlangte sie an seiner Seite, um einschlafen zu können, nicht mich, nie hat er nach mir verlangt oder seinem Vater, er wollte Maria da Boa Morte, kaum daß er aus dem Gymnasium in Ferien kam, verschwand er in der Pantry, um mit ihr zu reden, als ich von Luanda zur Fazenda zurückkehrte, hatte sich das Haus verändert, ich kannte die Gegenstände und sie kamen mir fremd vor, ich kannte die Stühle und setzte mich nicht auf sie, die Vergangenheit der Fotos gehörte mir nicht mehr, wer zum Teufel ist dieser da, wer zum Teufel ist der da, die Dame, die bei meinem Mann eingehakt ist, trägt einen Hut, der mir gehört hat
– Wie gut dir dieser Hut steht Isilda
sie sieht mir ähnlich, als ich jung war, der Mund, die Nase, die Linie der Taille, ein breitkrempiger Hut, der, von Motten zerfranst, auf dem Dachboden zerfällt, ein Gazeskelett, das, würde ich es jetzt aufsetzen, dazu führen würde, daß sie mich zum Spatzen verscheuchen in den Garten stellten, eine Vogelscheuche aus Kattun, die inmitten der Gardenien ihre Arme zu den Vögeln hin ausbreitet
– Wie gut dir dieser Hut steht Isilda
ich habe ihn aus Portugal kommen lassen, ihn beim Abend essen der Gouverneure mit Saphirohrringen getragen, war damit bei der Taufe von Rui ein voller Erfolg, habe ihn nach Europa mitgenommen, Paris mit ihm besucht, bin mit ihm in Barcelona am Meer spazierengegangen, wenn ich mich bitter fühlte, lief ich ihn schnell holen, schloß die Tür zu, setzte ihn im Schlafzimmer auf sogar ohne Lippenstift, ohne Lidschatten, und bekam Lust zu singen, damals, als meine Mutter krank wurde, verging kaum eine Woche, daß ich nicht die Wildlederschuhe anzog, heimlich auf den Dachboden stieg, ihn in der Truhe suchte, ihn meiner Mutter zeigte, und meine Mutter
– Wie schön
nicht um mir einen Gefallen zu tun, ganz ehrlich
– Wie schön
indem sie das Handgelenk vom Kissen hob und ihn mit den Fingerspitzen leicht berührte
– Wie schön
sollte ich eines Tages nach Lissabon fahren, um meine Kinder zu besuchen, lasse ich ihn bei der Flickschneiderin in Malanje aufarbeiten, stopfe den Hut, bringe die Krempe in Ordnung, kleine, kaum sichtbare Stiche in den Gazelöchern, nehme den Sonnenschirm, den ich in Rom gekauft habe, von der Garderobe und erwarte auf dem Bahnsteig ihre Bewunderung, ich, dreißig Jahre alt,
ohne Falten an den Wangen, Clarisse und Rui auf meinem Schoß, Carlos, der hinter die Köchin flieht
– Lassen Sie mich los
die Zigarettenglut im Mund hat, ißt mit ihr in der Ladenkneipe Trockenfisch, mag seine Geschwister nicht, mag seine Frau nicht, mag den Gestank der Armut und des Palmöls, die Hühner, die in den Hütten mit dem Hals rucken, und als ich von Luanda zurück zur Fazenda kam, hatte sich die Köchin auch verändert, die in Pantoffeln über die Fliesen schlurfte, zum erstenmal hatte sie keine Angst vor mir, an die geborstene Mittagessenglocke gehängt, rief sie die Leute zusammen, Maria da Boa Morte Josélia Damião Fernando, bedienten bei Tisch in weißer Jacke mit goldenen Knöpfen, ich habe sie dem Bischof für den Empfang für den Nuntius ausgeliehen, gelbe Sonnendächer, der Kirchenchor, die Gäste schwitzend im festlichen Flanell, und der Nuntius überrascht von der Effizienz der Bediensteten
– Die werden Ihnen sicher viel Arbeit gemacht haben
Fernando, der das Kraushaar mit Fixativ geglättet hatte, ließ sich einen Schneidezahn ziehen und durch einen Zahn aus Silber ersetzen, so daß die Worte blitzten, wenn er sprach, die Lippe hochzog, beglückt den riesigen Türknauf zeigte, den sie ihm ins Zahnfleisch gehämmert hatten, als ich von Luanda auf die Fazenda zurückkehrte, kaum daß das Schiff verschwunden war in einem ungeheuren Durcheinander von Gepäck und Leuten, von eilig vor gierigen Kubanern und den Soldaten gerettetem Plunder, Maschinengewehrsalven an den Ecken, Trupps von zerlumpten Soldaten mit Macheten, die sich gegenseitig den Kopf abschlugen, blonde Belgier in Kampfanzügen, die Mörser auf den Veranden festschraubten, nackte oder nur mit einem Schuh bekleidete Leichen, die der Regen in den Straßengräben zum Meer spülte, die Prostituierten der Insel ohne Freier, schüttelten die Brüste in den Kokospalmen, ein bärtiger Mestize, der mir den Reservetank und das Reserverad ausbaute
– Genossin
auf den Plätzen Weiße, die, von Betten und Tischen umringt auf Hockern saßen und, die Ellenbogen in Lumpen gewickelt, Köpfe in Lumpen gewickelt, auf niemanden warteten, die Asche eines Mofas, das angezündet worden war, ein Sitz der FLNA Flammen, der Stadtteil Cuca von Kanonenschüssen zerstückelte Berge von Leichen vor dem Leichenschauhaus, der bärtige Mestize schraubte die Scheinwerfer ab, zog die Scheibenwischer ab, riß mit einer Schere das Segeltuchverdeck ab, ein paar Mädchen waren neidisch auf meinen Ring
– Genossin
der ein Familienstück war und den mein Vater mir vor meiner Heirat geschenkt hatte, ein Ring ohne Steine, der ihnen vielleicht wertvoll vorkam, aber keinen Heller wert war, eines der Mädchen drückte mir den Finger
– Schnell schnell ich habe nicht den ganzen Nachmittag Zeit sagte mein Vater mit jenem Ausdruck, der kein Lächeln war, aber wie ein Lächeln aussah
– Siehst du wie gut er dir steht Isilda


Lesezitat nach Antònio Lobo Antunes - Portugals strahlende Größe



© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1998-08-03
Quelle: http://www.bookinist.de
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