Inquisition und Gedankenfreiheit
Marcos Aguinis - Der Ketzer von Lima

Große Erzähler sind selten. Marcos Aguinis ist einer von ihnen.

In seinem Roman "Der Ketzer von Lima" setzt er sich intensiv mit dem Schicksal eines Marrano, eines zum christlichen Glauben konvertierten Juden auseinander.

Wie weit können Machthaber gehen in ihrer Bestrebung die Würde und den Glauben eines Menschen zu brechen und wieviel kann ein einzelner einer Todesmaschinerie wie der hl. Inquisition in den Ländern Südamerikas im Jahr 1638 entgegensetzen?

Francisco Maldonado da Silva, später auch Eli Nazareo genannt, wächst zunächst behütet zusammen mit seinen Geschwistern in Ibatín im Hause seines Vaters Diego Núñez da Silva auf. Don Diego, selbst 1548 in Lissabon als Sohn getaufter, portugiesischer Juden, geboren, übersiedelte nach Südamerika, da er sich erhoffte, dort nicht mehr wegen seiner Abstammung verfolgt zu werden.

Er studierte Arzt. Seine größte Leidenschaft neben dem Beruf waren jedoch die Bücher. "Don Diegos Bücher standen auf robusten Regalen in einem kleinen Zimmer, in das er sich zum Studieren zurückzog. Dort hatte er sich sein eigenes Heiligtum eingerichtet."

"Francisco {wiederum} liebte es, sich in diesem Heiligtum aufzuhalten, wenn sein Vater dort las oder schrieb. Schon als kleines Kind hatte er versucht, das Rätsel des geschriebenen Wortes allein zu lösen. Er hatte seinen Vater genau beobachtet und dann jede seiner Bewegungen nachgeahmt. Wie er wählte Francisco ein Buch aus, preßte es an sich, als ob es eine kostbare Last wäre, legte es auf den Tisch, schlug es auf und ließ seinen Blick über die Seiten mit den endlosen Zeichenkombinationen wandern. In diesem unüberschaubaren Buchstabenmeer gab es hin und wieder herrlich kolorierte Stiche. In allen Büchern ergötzte er sich an den Illustrationen. Noch bevor er lesen konnte, war er mit dieser Welt der wundersamen Bilder vertraut."


Um so unverständlicher für Francisco, als die Familie überstürzt von Ibatín nach Córdoba übersiedelt und völlig überraschend trifft ihn als Neunjähriger das Ereignis der Verhaftung seines Vaters. Sein katholischer Lehrer, Fray Isidro, kann ihm die Umstände nicht näher erhellen, doch er erlebt, versteckt im Dunkel der väterlichen Bibliothek, wie der Vater zum Abschied seinen älteren Bruder in den alten, jüdischen Glauben einweiht und ihm seine Abstammung und seine Zugehörigkeit zu Abrahams Gesetzen eröffnet.

Fray Bartolomé Delgado, der Kommissar des hl. Offiziums, entführt dem Jungen jedoch nicht nur den Vater, er zerstört auch den Rest der Familie, indem er das Vermögen pfändet und verschachert, die beiden Töchter in das Kloster einweist, später auch den älteren Bruder wegen Ketzerei verhaften läßt und nach dem Tod der gramgebeugten Mutter ihn selbst zur richtigen Erziehung ins Kloster gibt.

Dort reift Franciscos Geist zu einem großen Gelehrten heran, immer darauf bedacht niemals in den Geruch eines Juden zu kommen. Allerdings will er seinem Vater im Beruf nacheifern, weswegen ihn Fray Bartolomé nach Lima zum Studium schickt.

Dort trifft er seinen Vater wieder - einen gebrochenen, aber mit der Kirche öffentlich ausgesöhnten Menschen, dem die Inquisition die Gnade erwiesen hat, bis ans Ende seiner Tage im rauhen Büßergewand, dem sanbenito, als Arzt zu arbeiten.

... und hier beginnt die eigentliche, unbeugsame Geschichte des Francisco Maldonado da Silva, seine jahrelange, auszehrende Haft in den Kerkern der Inquisition, seine endlosen Verhandlungen und Verhöre, sein Loslassen von der Heuchelei eines falschen Glaubens, sein Standvermögen zu seiner gelehrten Überzeugung mit der seine Richter so große Schwierigkeiten haben ...

Ein herausragendes Buch, das einfühlsam Einblick in die Gedanken von Opfer und Täter zuläßt und den Sieg der Gedankenfreiheit über alle Unterdrücker feiert.



Marcos Aguinis - Der Ketzer von Lima
(© by Aguinis 1991, La gesta del marrano)
übersetzt aus dem Amerikanischen von Enrico Heinemann und Reinhard Tiffert
1998, München, Lichtenberg Verlag,
432 S., ,

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1998-05-02
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Quelle: http://www.bookinist.de
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