Nicolas Vanier - Das Schneekind (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Lesezitat

BERGE UND NOCHMALS BERGE. EIN MEER VON GIPFELN, bis zum Horizont. Und endloses Weiß, soweit das Auge reicht, kaum bedrängt vom Grün des Waldes im Grund der verschlafenen Täler. Eine vollkommene, bedrückende Stille, die etwas Unmenschliches hat, denn sie schließt Bewegung und Wärme aus, ohne die es kein Leben gibt.

Ja, alles ist starr, still und kalt wie der Tod. Selbst die Flüsse und Bäche, die zuvor mit ihrem silbrigen Tanz die Landschaft belebten, schlafen. Der Winter hat die Erde tiefgefroren und ein Leichentuch über sie gebreitet.
Nicht eine Spur, kein Lichtschein im fahlen Dämmerlicht. Die Stunden verstreichen, die Kilometer ziehen vor-über. Hinter einem Gipfel, der aussieht wie Tausende andere bereits überflogene, teilt sich das Gebirge unter dem Flugzeug, und ein Tal taucht aus dem abendlichen Dunkel auf. Noch immer dasselbe Weiß, dieselbe stille Weite, dieselbe endlose Einsamkeit.
Plötzlich eine Spur auf dem starren Fluß, schnurgerade, halb unter einer dünnen Schneedecke verborgen. Nach und nach tritt sie deutlicher hervor, eine dunkle, leicht bläuliche Linie im makellosen Weiß.
Am Ende der Spur Hunde, die einen Schlitten ziehen. Der Atem, den ihre schmalen Schnauzen ausstoßen, hüllt sie in eine graue Wolke aus Rauhreif. Sie tragen Geschirre und ziehen paarweise einen schwer beladenen Schlitten aus Holz und Leder.

Vor ihnen ein Mann, der mit Schneeschuhen den tiefen und flockigen Schnee niedertrampelt. Und hinter dem Schlitten eine Frau, auch sie mit Schneeschuhen. Von Zeit zu Zeit stemmt sie sich mit ihrem ganzen Gewicht von der einen oder der anderen Seite gegen das Gepäck, damit der Schlitten die Spur hält.

Hinten auf dem Schlitten schläft, mit warmem Biber und Fuchs bekleidet und zusätzlich in dicke Pelze gemummt, ein kleines Mädchen. Ihr Atem kondensiert in der eisigen Luft zu einer Wolke und vermischt sich mit dem Atem der Hunde und dem ihrer Mutter, die hinter ihr geht und ein wachsames Auge auf sie hat. Der Mann und die Frau sprechen nicht, sparen sich den Atem für den anstrengenden Marsch. Sie ziehen langsam und still ihres Wegs, passend zu dem Land, das sie umgibt. Kleine Ameisen in einer Welt der Riesen.

Trotzdem bleiben sie stehen, als das Flugzeug über sie hinfliegt und einen gelben Streifen an den metallischen Abendhimmel malt. Sie hören das Dröhnen, das die Stille durchbricht, blicken zum Himmel, den eine Bewegung belebt, die nicht die ihre ist. Dann ist das Flugzeug verschwunden, und wieder kehrt Stille ein, noch vollkommener und bedrückender als zuvor.

Mit anbrechender Nacht wird es noch kälter. Das Thermometer zeigt - 450C. Der Leithund, ein herrlicher schwarzweißer Laika, biegt plötzlich in Richtung Ufer ab und versinkt bis zur Brust im Schnee. Der Mann kommt zurück, tritt ein zweites Mal die weiße Spur fest. Die Hunde mobilisieren ihre letzten Kr~fte, denn sie wissen, es ist das letzte Mal nach einem schweren Marschtag, und erklimmen die Böschung. Und dann verschwinden Mensch und Tier im Wald. Die Spur, die sie hinterlassen, verweht langsam der Schnee, der im Nordwind wie schwebend über den Fluß streicht.

Etwas später bricht zwischen den Rottannen eine dünne Rauchsäule hervor und steigt kerzengerade in den Himmel, an dem Nordlichter flackern, leuchtend smaragdene und goldene Schleier, die das eisige und endlos weite Land in ein flüchtiges Licht tauchen.
S. 8-11


Lesezitat nach Nicolas Vanier - Das Schneekind


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Kleine Ameisen in einer Welt der Riesen
Nicolas Vanier - Das Schneekind

er Franzose Nicholas Vanier ist nicht zum ersten Mal als Nomade in den Schneewüsten Kanadas und Alaskas unterwegs. Doch sein Team ist bei dieser Reise, die er in seinem Buch "Das Schneekind" beschreibt, ziemlich ungewöhnlich.

Zusammen mit seiner Frau und der eineinhalb jährigen Tochter Montaine hat er vor, von Prince George in British Columbia über die Rocky Mountains des kanadischen Nordens nach Alaska zu reisen.
  Ein Wahnsinnsunternehmen!

Zu Beginn der Reise legen die drei mit ihren vier Pferden 700 Kilometer auf äußerst unwegsamen Gelände zurück. Das Wetter verwöhnt sie in keiner Weise, denn es regnet gleich beim Start tagelang ununterbrochen. Die zusätzliche Verantwortung für Montaine macht das Unternehmen auch nicht leichter. "Von heute an muss einer von uns beiden ständig auf sie aufpassen, rund um die Uhr, und das ein Jahr lang, ohne auch nur eine Sekunde nachlässig zu werden."

Während der Übergangszeit, wenn das Eis noch nicht gefroren ist, bauen sich die drei eine Blockhütte in den Cassiar - Bergen, wunderschön am See gelegen. "Ein viermonatiger Aufenthalt, den der Wechsel der Jahreszeiten erzwingt." Hier beobachten sie Grizzlys, Schwarzbären, Elche, Wapitihirsche und Wölfe. Es ist eine frostige Idylle, die Temperaturen sinken bis zu - 30° C, über 200 Kilometer Luftlinie vom nächsten Dorf entfernt.

Die Reise geht unter ungeheuren Strapazen mit dem Hundeschlitten weiter, denn nicht immer sind die Flüsse, wie erhofft zugefroren. Die Temperaturen schwanken zu sehr. "Seitdem wir unterwegs sind, ist alles ungewöhnlich: Dauerregen im Indianersommer, Hitzerekord von fast Null Grad Mitte Januar und - 40° C wenige Wochen vor Frühlingsanfang."

Doch Nicolas Vanier lässt sich nicht entmutigen. Er genießt die Landschaft des hohen Nordens in vollen Zügen, kümmert sich um das Wohlbefinden seiner Familie und freut sich, so viel Zeit mit seiner Tochter zu verbringen, die sich zu einem richtigen Indianermädchen entwickelt. Als sie erschöpft die Stadt Dawson, das Ziel ihrer Reise in Alaska erreichen, hat die Kleine vor Autos und Fernsehgeräten mehr Angst als vor den wilden Tieren, denen sie begegnet ist.

"Das Schneekind" ist ein Abenteuerbuch der Sonderklasse, denn Vanier schildert die großartige Natur des Nordens voller Hingabe und Begeisterung, doch er verschweigt nicht die damit verbundenen ungeheuren Anstrengungen. Einen Eindruck von der Schönheit der Landschaft vermitteln die Farbbilder auf 24 Seiten.
"Sie ziehen langsam und still ihres Wegs, passend zu dem Land das sie umgibt. Kleine Ameisen in einer Welt der Riesen."
© manuela haselberger




Nicolas Vanier -
Das Schneekind
Originaltitel: L'Enfant des neiges, © 1995
Übersetzt von Reiner Pfleiderer
© 2001, München, Malik Verlag, 351 S., 19.90 € (HC)
© 2002, München, Piper Verlag, 376 S.,  9.90 € (TB)





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Fortsetzung der Lesezitate ...

Die Probleme begannen natürlich gleich auf dem Lastwagen, wo der Alte den anderen zeigen. wollte, wer der Chef ist. Der Dicke bekam trotz seiner Körperfülle eine tüchtige Abreibung, und seitdem klafft ein tiefer Riß unter seinem Auge.

Darüber sprechen wir heute morgen und untersuchen die Wunde. Kein schöner Anblick. Sie ist leicht vereitert und zu groß, um von allein zu verheilen.
"Du hättest sie nähen sollen."
"Zu spät."

Die Feuchtigkeit macht alles noch schlimm er. Diane reinigt die Wunde mit einem Antiseptikum, während ich Montaine auf dem Arm habe. Sie kann hier nicht laufen, denn der Boden ist mit Erlen überwuchert und mit dichtem Gras bedeckt, das zu hoch für sie ist.

Ich seufze. Von heute an muß einer von uns beiden ständig auf sie aufpassen, rund um die Uhr und das ein Jahr lang, ohne auch nur eine Sekunde nachlässig zu werden. Ob wir das durchhalten werden?
Montaine quengelt und klammert sich noch stärker an mich.
"Nicht sehr lustig, der Regen, was, mein kleiner Liebling?"

"Hmmm."
Ich lege sie wieder ins Zelt und bleibe, einen neuerlichen Seufzer ausstoßend, bei ihr. Ich warte, bis Diane mich ablöst, und schlüpfe dann wieder ins Freie. S. 19

Unsere Reise soll, grob skizziert, von Prince George in British Columbia über die Rocky Motintains des kanadischen Nordens nach Alaska führen. 700 Kilometer zu Pferd und über 1700 Kilometer mit dem Hundeschlitten. Ein Jahr, vielleicht etwas weniger, wenn die Runde schnell sind. In der Übergangszeit, wenn der hohe Norden den Atem anhält, ehe der Winter Seen und Flüsse erstarren läßt, werden wir in einer Blockhütte wohnen, die wir uns in den Cassiar-Bergen bauen wollen. In einer der wildesten Gegenden, die ich kenne, über 200 Kilometer Luftlinie vom nächsten Dorf und einen guten Monat zu Fuß von der nächsten Straße entfernt. Ein viermonatiger Aufenthalt, den der Wechsel der Jahreszeiten erzwingt und den ich dazu nutzen möchte, bestimmte Tiere, insbesondere Bären und Wölfe, zu beobachten.

Ich habe viele Jahre meines Lebens damit zugebracht, wie ein Nomade den hohen Norden zu durchstreifen und Landstriche zu durchqueren, langsam zwar, aber ohne jemals irgendwo länger zu verweilen. Um so mehr freue ich mich auf diesen mehrmonatigen Aufenthalt. Die andere Besonderheit dieser Reise ist natürlich die Zusammensetzung des Teams .... S. 23

Wir gönnen den Pferden eine Ruhetag. Sowie es etwas aufklart, werde ich auf den Berg klettern oder den Flußlauf nach einer Furt absuchen, doch ich bezweifle, daß es eine Passage gibt. Diane macht sich auf die Suche nach den Pferden, und ich bleibe mit Montaine am Feuer. Eine Plane, die ich zwischen den Bäumen gespannt habe, schützt uns vor dem Regen. Montaine macht bei ihren Gehversuchen im Wald erstaunliche Fortschritte. Sie hat schnell gelernt, den Hindernissen auszuweichen, über die sie anfangs gestolpert ist: Wurzeln, Kriechpflanzen, lose Steine, Grasbüschel. Vor allem rappelt sie sich alleine wieder auf, und das ist für uns, die wir zigmal am Tag unsere Arbeit unterbrechen mußten, um der kleinen Waldprinzessin aufzuhelfen, der erfreulichste Fortschritt.

Sie spielt am Feuer mit Otchum. Der Regen stört sie nicht, ja, sie scheint ihn nicht einmal zu bemerken. Drei Wochen sind wir nun schon unterwegs, und das Glück ist uns wahrlich nicht hold. Scheußliches Wetter, Wege, die nur auf der Karte existieren, unpassierbare Flüsse, ein Grizzly und ein Vielfraß. Was haben wir getan, daß der Gott der Taiga uns so bestraft?

Ich höre von Diane kein Wort der Klage. Mit stoischem Gleichmut erträgt sie die Widrigkeiten einer Reise, die unter denkbar ungünstigen Umständen begonnen hat. Doch im Grunde erstaunt mich das nicht. S. 68

So viele Kilometer und Wochen trennen uns noch davon... Das Ziel erscheint uns so fern!
"Was glaubst du, wie viele Wochen brauchen wir?" fragt Diane, über die Karten gebeugt.
"Wenn es uns gelingt, 60 Kilometer Piste zu Spuren, also von hier bis zum Ausgang des Canyons, können wir es meines Erachtens in vier Wochen schaffen."
"350 Kilometer in vier Wochen?"
"Am Anfang können wir nicht mit dem ganzen Gepäck reisen. Wir müssen die Strecke zweimal fahren."
"Das ist doch Walmsinn."
"Nein, das habe ich schon oft so gemacht."
Man läßt die Hälfte des Gepäcks im Lager zurück, zum Beispiel die Säcke mit dem Hundefutter, fährt bis i6 Uhr, baut das Zelt auf, flitzt auf der mittlerweile gut präparierten Piste zurück, holt die Säcke und so weiter.
"Aber warum nehmen wir nicht gleich alles mit?"
"Am Anfang haben wir 300 Kilo auf dem Schlitten, inklusive 200 Kilo Hundefutter. Der Weg führt durch tiefen Schnee. Wir müssen mit den Schneeschuhen vor den Hunden eine Piste anlegen, und eine so schwere Last können sie nicht ziehen. Außerdem baut sie das wieder auf, wenn sie am Abend mit leerem Schlitten über eine schön harte Piste traben können."
"Das kann ja heiter werden!"
"Und ob!"
An den folgenden vier Tagen mache ich mich in aller Frühe, wenn es noch dunkel ist, mit neun Hunden auf den Weg. Wenn ich so zeitig aufbreche, kann ich eine möglichst große Strecke zurücklegen und habe, falls es Probleme gibt, trotzdem noch ein beruhigendes Zeitpolster für den Rückweg. Die Piste ist nicht leicht zu spuren. An manchen Stellen wird der Fluß zu gefährlich, dann muß ich eine Bresche durch den Wald schlagen. Oder ich muß auf Sümpfe ausweichen, um slush-Zonen zu umgehen S. 238

Dann taucht das Auto in der Ferne auf, ein kleiner schwarzer Punkt auf dem grauen Band der Straße.
Montaine hat es gesehen. Sie ist total aufgeregt. "Elle, Papa, da, Elle!" sagt sie mit einem fragenden Ton in der Stimme.
"Nein, Montaine, das ist ein Auto."
Sie kennt dieses Tier nicht. Es kommt näher. Das Brummen wird aggressiv. Montaine kommt zu uns gerannt.
Sie runzelt die Stirn und wirft sich mir in die Arme.
"Taitaine Angst!"
"Hab keine Angst, Montaine. Das Auto ist nicht gefährlich. Autos sind lieb."
Der Geländewagen rollt auf uns zu. Das laute Motorgeräusch wirkt beängstigend.
Montaine umklammert mich mit der ganzen Kraft ihrer kleinen Arme und zittert am ganzen Leib. Sie weint vor Angst. Sie sieht weg und birgt das Gesicht an meinem Hals. Das Auto hält direkt neben uns an.

Die Hunde sind aufgestanden und knurren nervös. "Ganz ruhig, meine Hundchen. itz!" befiehlt ihnen Diane, während ich versuche, Montaine zu beruhigen.
Sie heult ohne Unterlaß.
Es ist schrecklich!
"Taitaine Angst!" Sie klammert sich mit aller Kraft an mich.
Ich entferne mich mit ihr von Straße und Auto und gehe in den Wald. Erst im Schutz der Bäume beruhigt sie sich etwas.
"Hab keine Angst, Montaine. Das ist ein Auto. Wir sind am Ziel, verstehst du? Wir werden Häuser sehen, Menschen. Du brauchst keine Angst zu haben."
"Taitaine Angst!"
Was tun?
Ich deute durch die Tannenzweige, die eine Art Schutzschlld bilden, auf das Auto. Schließlich siegt die Neugier über die Angst, und sie sieht hin.

Diane hat die Hunde beruhigt und tritt jetzt an den Wagen, in dem ein bärtiger Mann um die Fünfzig sitzt. Er guckt ebenso erstaunt wie Montaine.

"Guten Tag!" sagt Diane auf englisch. "Das ist das erste Auto, das wir seit acht Monaten sehen. Meine Tochter hat Angst, deswegen ist mein Mann mit ihr in den Wald gegangen. Das Auto macht ihr angst!
Der Mann stammelt mehrmals verdutzt:
"My God, my God!"
Er kann es nicht fassen, der Arme.
Wir treten ganz langsam näher. Montaine hat sich beruhigt. Sie hält mich umklammert und sagt nur immerzu:
"Taitaine Angst."

Seit einigen Wochen bemerken wir eine ziemlich einschneidende Veränderung in ihrem Verhalten. Zu Beginn der Reise hat sie sich stets an ihre Mutter gewandt, wenn sie Angst oder Kummer hatte. Nur Diane konnte sie beruhigen oder trösten. Jetzt läßt sie sich von Mama trösten und von Papa beruhigen, als hätte sie begriffen, daß ich in dieser Welt, in der sich bei Gefahr auch Diane auf mein Urteil und meinen Schutz verläßt, erfahrener und kompetenter bin.

Montaine hat sehr gut verstanden, oder zumindest aufgrund ihrer Beobachtungen gespürt, daß ich ihr mehr Schutz bieten kann. Als das Auto, dieses furchterregende Ungetüm, auf uns zufuhr, hat sie keine Sekunde gezögert und ist, obwohl Diane näher bei ihr stand, zu mir gerannt. Papa, beschütz mich!

Ich halte sie fest in den Armen und drücke meine Wange an ihr Gesicht. Der körperliche Kontakt beruhigt sie, und ich erkläre es ihr immer wieder. S. 323

Lesezitate nach Nicolas Vanier - Das Schneekind













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Titel von
Nicolas Vanier
 Taschenbuch


Die weiße Odyssee

© 2002



Ein Winter im Eis

Auf den Spuren von Jack London.
© 1999

 Hardcover


Die weiße Odyssee

© 2000



Der Norden

Expeditionen in
die Polargebiete
© 1999


© 12.11.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de