Hillary wollte nicht erwachsen werden.
Wer hätte das an ihrer Stelle gewollt? Ihre Welt war wunderschön und bot Schutz wie die Ulmen, deren Kronen wie ein Dach über die Straßen des Viertels ragten.
Hillary pflegte stundenlang in der Sonne herumzutanzen. Sie stellte sich vor, dass sie der einzige Mensch auf der ganzen Welt war, dass alle anderen verschwanden, wenn sie herumwirbelte. Doch das Beste an diesem Spiel war die Vorstellung, dass Gott das Sonnenlicht extra für sie herabsandte und dass «himmlische Filmkameras jede meiner Bewegungen beobachteten».
Sie sah sich selbst immer als Star.
Die Welt der Rodhams war ein vorstädtischer Brutkasten für Mittelklasseambitionen. Es war eine anheimelnde gepflegte Wohngegend mit schmucken, einander gleichenden Häusern, die als Schlafstätten für arbeitende Väter dienten, die jeden Tag ins 45 Minuten entfernte Chicago pendelten.
«Damals blieben Mütter zu Hause», erinnert sich Hillarys alter Geschichtslehrer Paul Carlson wehrnütig. «Väter konnten genug Geld verdienen, um die Familie zu ernähren. Mütter taten, was von ihnen erwartet wurde; sie schufen eine behagliche Atmosphäre für die Kinder und die Ehemänner.» Die Mütter von Park Ridge warteten immer auf das eigentliche Leben.
In diesem Vorort wohnten nur Weiße, die fast alle Protestanten angelsächsischer Herkunft waren. Sie gehörten der neuen Klasse von Nachkriegsamerikanern an, die den Suburbia-Traum erfanden. Der Republikanismus war in Park Ridge so fest verwurzelt wie die amerikanischen Ulmen. Wenn jemand die Demokraten wählen wollte, brach jedes Mal Hektik aus, weil man erst nach einem Stimmzettel für den Sonderling suchen musste.
Hillarys frühe Kindheit wird als idyllisch beschrieben. Sie erlebte sie als Mitglied einer Gemeinschaft von mehreren Dutzend Kindern, «die alle gleichzeitig aufwuchsen, zwischen den Gärten hinter den Häusern hin und her liefen, Limonade verkauften, sich beim Schlittschuhlaufen die Knöchel verstauchten und Halma und Dame spielten, während sie ihre Krankheiten auskurierten». Sie sahen sich im Pickwick-Theater 25-Cent-Filme an und tranken anschließend Cola in Ted & Pearl's Happy House. Nur selten fuhr die junge Hillary im Fond des Cadillacs ihres Vaters in ihre Geburtsstadt Chicago. Der Zweck dieser «Exkursionen» war, ihr und ihren Brüdern die verwahrlosten Penner in den heruntergekommenen Vierteln Chicagos zu zeigen, «damit sie sahen, was aus Leuten wurde, die seiner Ansicht nach nicht die Selbstdisziplin und die Motivation besaßen, um ihr Leben in geordneten Bahnen zu halten», wie Hillary die Philosophie ihres Vaters später in ihrem Buch Eine Welt für Kinder beschrieb. Hugh Rodham fuhr wie seine Nachbarn jeden Morgen nach Chicago und kehrte in der Abenddämmerung zurück, doch im Gegensatz zu den meisten von ihnen übte er keinen akademischen Beruf aus. Von Hillarys Spiel- oder Klassenkameraden wusste niemand genau, womit Mr. Rodham sein Geld verdiente. Die meisten gingen einfach davon aus, dass er einem höheren Berufsstand angehörte, doch in Wirklichkeit war Mr. Rodham ein Händler.
S. 32-33
Die Clintons haben den Begriff der compartmentalization, des «Wegpackens» von Problemen, populär gemacht. Diese Verdrängungstechnik war für Bill eine Notwendigkeit des psychischen Überlebens. Wie er einmal einem Interviewer gestand, steckte er die Vorwürfe der sexuellen Belästigung, die Paula Jones' Anwälte gegen ihn erhoben, «in eine kleine Schachtel». In dieser Art der Selbstverteidigung hatte ihn seine Mutter gut geschult, die sich in ihren Memoiren als das unschuldige Opfer einer Kampagne «verschiedener Kräfte» beschreibt, die «30 Jahre lang versuchten, meine Karriere zu ruinieren».
Diese Weltsicht wurde von ihrem Sohn sehr gut internalisiert. Wenn etwas Schlimmes passiert, paukte Virginia ihren zwei Jungen ein, unterzieht euch einfach selbst einer Gehirnwäsche und verbannt es aus eurer Erinnerung. «Baut einen luftdichten Behälter», brachte sie ihnen bei. «In dem bewahre ich alles auf, worüber ich nicht nachdenken will. Drinnen ist es weiß, draußen ist alles schwarz ... Der Behälter ist hart wie Stahl.»
Hillary Clinton hat diese Strategie übernommen: «Wir packen sie weg», sagte sie über ihre Probleme. «Wir können es einfach nicht zulassen, dass sich andere Leute mit ihren eigenen Anliegen in unser privates und öffentliches Leben und unsere
Aufgaben einmischen. Deshalb packt mein Mann jeden Tag Probleme weg.
S. 105
Als sich abzeichnete, dass eine Entscheidung für das Arntsenthebungsverfahren im Plenum des Repräsentantenhauses Mitte Dezember praktisch nicht mehr zu vermeiden war, reagierte der Präsident nach Aussage politischer Freunde mit «ungläubigem Staunen». Erst am Vorabend der ersten Abstimmung im Repräsentantenhaus über die Einleitung eines Impeachments seit 130 Jahren brach die Partnerin des Präsidenten ihr monatelanges Schweigen mit einem schüchternen öffentlichen Appell, mit Beginn der Ferien «die Spaltung zu beenden». Während Bill Glintons engste Mitarbeiter ihn offen «als völlig vernichtet» bezeichneten und die Demokraten im Repräsentantenhaus bereits wild über seinen Rücktritt spekulierten, erhob sich Hillary wieder einmal wie eine Löwin. Sie konnte es nicht zulassen, dass die Dämonen ihres Mann mit ihm auch sie zugrunde richteten und Bill Clinton zusammen mit Richard Nixon als in Schande abgetretener Präsident in die Annalen eingehen würde.
Am frühen Morgen jenes schicksalhaften 19. Dezember raste sie in einem Wagen aus dem Fuhrpark des Präsidenten zum Capitol, um den verzagten Demokraten im Repräsentantenhaus Mut einzuflößen. Trotzig wie immer beschuldigte die First Lady - die bei den Demokraten im Kongress inzwischen viel populärer war als ihr Mann - die Republikaner, eine Politik der persönlichen Vernichtung zu treiben. Sie wurde ein halbes Dutzend Mal mit stehendem Beifall belohnt, und mehrere Abgeordnete umarmten sie. Zuvor war an die Demokraten im Repräsentantenhaus die Einladung ergangen, unmittelbar nach der Abstimmung ins Weiße Haus zu kommen, doch es sah so aus, als ob fast niemand kommen wollte. Also hatte Hillary beschlossen, sie mit Charlie Rangels Hilfe an die Einladung zu «erinnern». «Als es so aussah, als sollte die Sitzung verschoben werden», sagt Rangel, «machte ich den Vorschlag, wir sollten alle ins Weiße Haus gehen, um unsere Unterstützung für den Präsidenten zum Ausdruck zu bringen und ihm zu sagen, dass er einen Rücktritt nicht einmal in Erwägung ziehen sollte.»
«Wunderbar», stimmte Hillary zu, als ob die Idee nagelneu gewesen wäre. «John Podesta, Sie tun auf jeden Fall, was Sie tun müssen », wies sie den Stabschef des Präsidenten an.
Doch in dem nach Aussage eines Abgeordneten «hasserfüllten» Repräsentantenhaus konnte nicht einmal Hillary Clinton an diesem Nachmittag ihren Mann vor der Schande retten, als erster gewählter Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten mit einem Amtsenthebungsverfahren überzogen zu werden. Selbst Hillarys «spontane» Party mit zwei Busladungen voller demokratischer Abgeordneter im Rosengarten des Weißen Hauses konnte die allgemeine Bestürzung nicht mildern. Bill Clinton wirkte verloren und völlig vereinsamt, als er auf der Veranstaltung erschien. Er erwähnte das Impeachment mit keinem Wort und sagte nur, er werde dem Land «bis zum letzten Tag meiner Amtszeit» dienen. Als er sich durch die kleine Versammlung von Parteimitgliedern schob, fasste er Hillary bei der Hand und ließ sie nicht mehr los. Dieser stumme, aber deutliche Beweis, wie sehr er auf die Unterstützung angewiesen war, die ihm seine Frau in der Vergangenheit so häufig gewährt hatte, war für viele das denkwürdigste der vielen unvergesslichen Ereignisse jenes Tages. Hillary war Bill Clintons einzige Zuflucht.
S. 300-301
Lesezitate nach Gail Sheehy - Hillary