... reinlesen




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Vater warf den Kopf in den Nacken und hieb ein flottes Lied von einem übermütigen Soldaten in die Tasten. Mutter zögerte nicht lange, wiegte sich im Takt und stimmte den Text an. Einige Tanten und Onkel tanzten und klatschten in die Hände. Konnte man sich einen lustigeren Kerl als meinen Vater vorstellen? Ich warf ihm einen prüfenden Bjick zu. Auch ohne seine schneidige Uniform als Hauptmann der tschechischen Armee war Jacob Markowitz das prachtvollste Mannsbild, das ich je gesehen hatte. S. 9

Rückblickend war es wohl unvermeidlich, dass aus Richie und mir ein Paar wurde. Unsere Bande hatten sich so spontan und fest geknüpft, dass sich mehr als Freundschaft entwickelte. Als ich dies zum ersten Mal spürte, war ich zwölf und Richie gerade vierzehn geworden. Er wuchs, wurde schöner und spielte die Trommel in der Schulkapelle. Die Mädchen waren verrückt nach ihm, aber zu meiner Freude hatte er nur Augen für mich.

Wir waren so unzertrennlich, dass es Violet schon lange ein Dorn im Auge war. Eifersucht mochte auch eine Rolle spielen, aber hauptsächlich ärgerte es sie, dass ich so viel Zeit mit ihm verbrachte. Sie fühlte sich von mir vernachlässigt. Manchmal fragte sie, ob sie mitkommen dürfe, wenn wir spazieren oder ins Kino gingen, aber ich verneinte dies. Ich wollte unsere gemeinsame Zeit mit niemandem teilen. Wenn ich mit Richie zusammen war, konnte ich wenigstens für einen Augenblick den Krieg vergessen und einfach nur jung und ich selbst sein. S. 54

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Lesezitat nach Betty Schimmel -
Werden wir uns wiedersehen


Ein Leben lang ... bis dass ...
Betty Schimmel - Werden wir uns wiedersehen

Heute lebt Betty Schimmel mit ihrem Ehemann, die Kinder sind mittlerweile erwachsen, in Phoenix, USA. Sie ist aktives Mitglied mehrerer Organisationen, die sich um die Überlebenden des Holocaust kümmern. Häufig hält Betty Vorträge in Schulen und berichtet über ihre erschütternde Kindheit und große Liebe im besetzten Ungarn.

Bettys Familie, gläubige Juden, flüchtet vor den Deutschen aus der Tschechoslowakei nach Ungarn. Als 1944 Panzer in Budapest einrollen, müssen sie ihre Wohnung räumen, werden im Ghetto zusammengepfercht.

Dann beginnt, halb verhungert, frierend ein Fußmarsch nach Österreich. "Wir waren der letzte Judentransport aus Ungarn und Adolf Eichmann, der Architekt von Hitlers "Endlösung" führte ihn selbst an."

Diese ganze Qual übersteht Betty, weil sie in Gedanken bei ihrem Jugendfreund Richie ist. Aus ihrer Freundschaft hat sich eine zarte, erste Liebe entwickelt und beide haben sich im Bombenhagel geschworen, nach Ende des Krieges zu heiraten. Das Alter spielt für sie keine Rolle.

Das Konzentrationslager Mauthausen, Ziel ihres Todesmarsches, wird glücklicherweise von den Amerikanern befreit. Für Betty, die schwer an Typhus erkrankt ist, beginnt, sobald sie wieder auf den Beinen ist, die Suche nach Richie. Auf einer Liste des Roten Kreuzes findet sie den Eintrag "verstorben".

Voller Trauer heiratet sie früh und überstürzt mit achtzehn Jahren. Otto, ihr Ehemann hat Auschwitz überlebt und seine gesamte Familie verloren. Allerdings nimmt sie ihm das Versprechen ab, wenn Richie wieder auftauchen sollte, möchte sie frei sein. In ihren Gedanken ist Betty immer noch bei ihrer verlorenen großen Liebe. Dreißig Jahre später reist sie erneut nach Bukarest und traut ihren Augen kaum, als sie am Nebentisch ihres Hotels einen Mann entdeckt, - Richie.

Ein Stoff, wie geschaffen für die Leinwand. Wen wundert, dass die Filmrechte an Betty Schimmels Memoiren bereits an Stephen Spielbergs Produktionsgesellschaft verkauft sind.






Betty Schimmel - Werden wir uns wiedersehen
aus dem Amerikanischen von Jürgen Reuß
Originaltitel: © 1999, "To See You Again"
2000, München, Diana Verlag, 359 S.,

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Fortsetzung des Lesezitats ...

1943 war kein gutes Jahr für die Achsenmächte und ihre Verbündeten. Nach den vernichtenden Niederlagen in der Ukraine und bei Stalingrad beschloss Ungarns pragmatischer Ministerpräsident Miklós Kállay, sich mit Hinblick auf den unklaren Kriegsausgang eine Hintertür offen zu halten. Zwar gab sich Ungarn weiter den Anschein, treuer Vasall der Nazis zu sein, doch zielte Kállays Politik darauf ab, die Bindung an die Achsenmächte nach und nach aufzulösen. S. 67

Sonntag, 19. März 1944. Es war ein klarer, sonniger, für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Frühlingstag. Mutter hatte die Fenster geöffnet, um zu lüften. Wir saßen am Küchentisch und frühstückten - Äpfel, Käse und Brot. Nichts deutete auf die Ereignisse hin, die in den nächsten Minuten die schlimmsten Tage unseres Lebens einläuten sollten.

Plötzlich bebte die Erde. Panzer rollten dröhnend vorbei. Wir liefen zum Fenster und reckten die Hälse. Noch mehr Deutsche auf dem Weg zur Front in Russland? An den Anblick durchziehender Truppen und Panzerverbände hatten wir uns gewöhnt, seit wir nach Budapest gezogen waren, aber dieser Höllenlärm war neu. Ich schnappte mir einen Pullover und rannte zur Tür. "Geh nicht raus! Das ist zu gefährlich. Wir wissen doch gar nicht, was los ist. Bleib hier!" , rief Mutter mir nach.

Aber ich ließ mich nicht aufhalten, stürmte die Treppen hinunter, durch die Eingangshalle hinaus auf die Straße, und schloss mich der Menschenmenge an, die auf dem Weg zum Szt. István Körut war, einem Kreisverkehr im Stadtzentrum nur wenige Blocks von unserem Haus entfernt. Als wir die Straßenecke erreicht hatten, sahen wir wie bei einer Siegerparade einen Panzer nach dem anderen vorbeiziehen. Niemand wusste, was los war, doch man munkelte, Deutschland würde den Krieg verlieren. S.78

Seit Jahrhunderten streiten Philosophen darüber, was stärker ist, der Körper oder der Geist. Ich bin durch die Hölle gegangen und habe keine Antwort auf diese Frage gefunden. Ich weiß nur, dass unter den abscheulichsten Bedingungen und zu Zeiten, in denen ich mich am liebsten zum Sterben hingelegt hätte, es einzig Mutters Wille war, der uns am Leben erhielt. Mutter ließ es nicht zu, dass ... S. 149

Aber Mauthausen hatte ein schmutziges Geheimnis, Außerhalb der Stadt lag auf einem lang gestreckten Hügel das Konzentrationslager Mauthausen, der Ort unendlichen Leids für Juden, Zigeuner, abtrünnige Österreicher, rebellische Polen und Ungarn und andere "Feinde" des Reichs. Jahre später erfuhr ich, dass dort zwischen 1938 und 1945 mehr als 195 000 Menschen inhaftiert waren, von denen über 150 000 Männer, Frauen und Kinder umkamen. Entweder wurden sie getötet oder sie starben an Hunger, an den Folgen der unmenschlichen Arbeit in den Steinbrüchen von Mauthausen oder auf der berüchtigten "Todesstiege". S. 178

Janos führte uns in den Speisesaal und wir folgten dem Oberkellner zu unserem Tisch. Der Saal hatte seine Eleganz nicht eingebüßt, auch wenn er mittlerweile, wie das unter den Kommunisten mit so vielen Gebäuden geschehen war, ziemlich schäbig wirkte. Ich seufzte. Was für ein Jammer, dachte ich, dass sie mit dieser Schönheit dermaßen achtlos umgehen! .... Es war etwa halb neun, als das Essen kam. Ich drehte mich nach dem Kellner um und erstarrte plötzlich. Ich hatte das Gefühl, zu sterben, das Gefühl, dass alles zu Ende sei.

"Was ist denn los?" , fragte Sandy. Ich versuchte meine Aufmerksamkeit auf sie zu konzentrieren, aber in meinem Kopf herrschte völliges Chaos. ''Warum fragst du?"

"Weil du so bleich bist" , sagte sie.

Ich hob die Hand zum Kopf, doch als ich merkte, wie sehr sie zitterte, legte ich sie wieder in den Schoß. "Dort drüben ist Richie! Der Mann, der mit dem Rücken zu uns sitzt und gerade beim Essen ist!" S.313


Lesezitate nach Betty Schimmel - Werden wir uns wiedersehen


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 14.04.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger