Der Pinselstrich entspricht also der Persönlichkeit seiner dargestellten Figur, erfordert Aufmerksamkeit für sich selbst als einem erstaunlichen Akt der zwanglosen Selbstbeherrschung. Es ist eine der atemberaubendsten Vorführungen dessen, was holländische Schriftsteller, die sich über Malerei geäußert haben, lossigheid genannt hatten, Lockerheit, durch die der Eindruck vermittelt wird (durch Rembrandts Vorzeichnungen Lügen gestraft), dass die Farbe nass in nass äußerst rasch aufgetragen worden sei, ganz ähnlich wie in dem Gemälde von Hendrickje, die in einem Fluss badet, das aus demselben Jahr stammt (1654 darf mit 1629 und 1636 als ein geradezu Schwindel erregend produktives Jahr in Rembrandrs Karriere bezeichnet werden). Doch selbst wenn er das Gemälde relativ schnell gemalt haben sollte, beweist doch die außergewöhnlich subtile Behandlung von Details und die bewundernswerte Vielfalt in der Pinselführung, sogar in unmittelbar nebeneinander liegenden Passagen, dass Rembrandt sich mit der Konzeption des Gemäldes außerordentliche Mühe gegeben hat, vor allem aber mir dem, was damalige Kunsttheoretiker houding gennant haben: die präzise zusammenstimmende Beziehung von Farben, um eine überzeugende Bildillusion im Raum herzustellen. S. 580
Rembrandts Faszination für die Peinlichkeiten der Nacktheit und die Erpressung war mit seiner Susanna noch nicht ausgeschöpft. Seine ebenso originelle wie bestürzende Radierung von Josef und Potiphars Weib, die er ebenfalls im Jahr seiner Heirat 1634 schuf, ist die Kehrseite des Susanna-Gemäldes nach dem apokryphen Text, da in diesem Fall der Frauenkörper das Werkzeug sexueller Erpressung ist und die bekleidete männliche Figur das Opfer. Josefs Strafe dafür, die Frau seines Herrn verschmäht zu haben, besteht darin, dass er (genau wie Susanna) eben des Verbrechens bezichtigt wird, dem er tugendhaft widerstanden hat. Die Komposition lehnt sich entfernt an einen Stich von Antonio Tempesta an, doch ohne den mäßigenden Klassizismus jener sehr viel konventionelleren Darstellung. Rembrandts verstörenden Radierung ist die Darstellung zweier erbitterter Kämpfer. Es ist wie Tauziehen, und das erste findet statt zwischen Potiphars Weib mit ihrer animalischen Gier - ihr üppiger Körpcr ist gewunden wie die satanische Schlange im Paradies - und dem Untergebenen ihres Mannes in seiner Tugendhaftigkeit. In Übereinstimmung mir der berühmtesten zeitgenössischen Darstellung dieser Geschichte als einem Beispiel für die Beherrschung der Begierde, dem Seelf-Stryt (Selbstüberwindung) von Jacob Cats, hat Rembrandt den biblischen Text noch komplexer gestaltet, indem er einen zweiten Kampf darstellt, der in Josefs Innerem stattfindet. Sein Mund ist seltsam schllaff, die Augen dunkel und zusammengekniffen, als zeige sich in ihnen die Spannung zwischen Erregung und Abscheu. Soll er oder soll er nicht?
Keinem holländischen Befrachter des 17. Jahrhunderts wird die offensichtliche Erotik des gigantischen phallischen Bettpfostens entgangen sein. Auch werden sie angesichts der Drehung des Unterkörpers der Frau und ihrer zur Faust gespannten Hand, die sich an Josefs Mantel klammert, das zusätzliche Detail des Nachttopfes unter ihrem Bett nicht benötigt haben, um die Macht ihrer Lüsternheit zu begreifen. Der Körper von Potiphars Weib ist aber nicht nur massig wie Rembrandts Diana und seine Frau auf einem Erdhüge!: er ist seltsam verrenkt, als bestände er aus Knorpeln, als sei er die Hülle für etwas Dämonisches. Josefs Hände, die starke Schatten werfen, schirmen ihn von der sich darbietenden rasierten Scham unterhalb des großen Bauches ab. Doch wirr armen Sünder können uns kaum gegen diesen Anblick wehren. S. 398
Lesezitate nach Simon Schama - Rembrandts Augen