Simon Schama - Rembrandts Augen (Buchtipp/Rezension/lesen)
... reinlesen






... reinlesen

Der Anfänger Rembrandt Harmenszoon wird also seine Hausaufgaben gemacht haben. Er lernte sicherlich, wie man die Knoten und Unebenheiten einer unbehandelten Leinwand glättet; wie man aus Bleiweiß, dünnem Leim und Kalk eine Grundierung mischt; wie man die leicht unterschiedlichen Farbtöne herstellt, etwas Braun, etwas Grau, die die einen getönten Untergrund ergeben sollten, auf den er dann seine glänzenden Farbschichten auftragen konnte. Dort wurde er wohl auch Experte im Befühlen der Pinsel aus dem feinen Schwanzhaar von Eichhörnchen oder Mardern oder aus dickerem Haar, das von Ochsenohren oder Dachsrücken stammte, zu flachen Rechtecken geformt und mit Band an dem hölzernen Pinselschaft befestigt oder durch einen Federkiel gezogen wurde. Manchmal wird er gedacht haben, dass er wohl eher bei einem Apotheker als bei einem Künstler in der Lehre wäre. Zu Rembrandts Zeiten muss es möglich gewesen sein, Platten oder Brocken getrockneten und gereinigten Pigments zu kaufen, das nur noch zerrieben oder zerstoßen und in dem stark riechenden Leinöl suspendiert, das heißt mit dem Öl verrührt werden musste, um gebrauchsfertig zu sein. Die Herstellung der Grundpigmente - Lampenrußschwarz, Bleiweiß, Zinnober, Kobaltblau und Grünspan -war dermaßen einfach, dass ein Alltagsmaler wie van Swanenburg diese Aufgabe sicherlich seinem Lehrling übertrug. S. 216


Lesezitat nach Simon Schama - Rembrandts Augen


Rembrandts Augen
Simon Schama - Rembrandts Augen


er englische Universitätsprofessor Simon Schama wagt ein interessantes und zugleich ungewöhnliches Experiment in seinem neuen Buch.
Er nimmt gewissermaßen eine Doppelperspektive ein.

Erstens beleuchtet er anhand von Rembrands berühmten Gemälden die wechselvolle Lebensgeschichte des bekannten niederländischen Malers. Er streift die Ehe mit Saskia und betont den starken Einfluss Rubens.

Zum anderen fächert er ein breites Panorama des ganzen 17. Jahrhunderts auf. Er betrachtet die Welt mit Rembrandts Augen - ein spannender Blickwinkel, noch dazu in einer sehr flüssigen Sprache verfasst. Schama erzählt eine Geschichte, er interpretiert, er deutet, er leuchtet Hintergründe aus und erreicht damit das genaue Gegenteil der sonst so staubtrockenen Exzerpte anderer Kunsttheoretiker: Er lebt - mit seinem Leser und seinem Künstler zwischen zwei stabilen Buchdeckeln, die sogar 2 Lesebändchen haben.

Ein absolut gelungenes Werk, vom Genre etwas schwer zuzuordnen, was letztlich für die Universalität des Autors spricht, wenn es ihm gelingt unterschiedlichste Lesergruppen anzusprechen - Schama hat das kongeniale Auge, das uns wenig verwissenschaftlicht in seiner Sprache, aber sehr dezidiert, die Größe eines Rembrandts näher bringen kann und dies mit einer spielerischen, lässigen Leichtigkeit erledigt, dabei aber sehr pointierte Worte setzt. Nicht zuletzt auch eine tolle Leistung der deutschen Übersetzerin.

Für viele Buchkritiker ist dieses Buch eines der schönsten in diesem Jahr. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt jedenfalls: Schon allein die sehr guten Reproduktionen seiner Bilder und das Papier des Buches überzeugen. Wer es erst gewichtig in der Hand wiegt, weiß, dass es jede Mark wert ist - allerdings zum gemütlichen Lesen im Bett bringt es zu viel Gewicht auf die Waage - also nichts für Menschen ohne Lesesessel in einer ungestörten Ecke.




Simon Schama - Rembrandts Augen
mit 180 farb. und 194 einfarb. Abbildungen
aus dem Englischen von Bettina Blumenberg
Originaltitel: © 1999, "Rembrandt´s Eyes"
2000, Berlin, Siedler Verlag, 744 S.,


Buch bestellen


Fortsetzung des Lesezitats ...

Der Pinselstrich entspricht also der Persönlichkeit seiner dargestellten Figur, erfordert Aufmerksamkeit für sich selbst als einem erstaunlichen Akt der zwanglosen Selbstbeherrschung. Es ist eine der atemberaubendsten Vorführungen dessen, was holländische Schriftsteller, die sich über Malerei geäußert haben, lossigheid genannt hatten, Lockerheit, durch die der Eindruck vermittelt wird (durch Rembrandts Vorzeichnungen Lügen gestraft), dass die Farbe nass in nass äußerst rasch aufgetragen worden sei, ganz ähnlich wie in dem Gemälde von Hendrickje, die in einem Fluss badet, das aus demselben Jahr stammt (1654 darf mit 1629 und 1636 als ein geradezu Schwindel erregend produktives Jahr in Rembrandrs Karriere bezeichnet werden). Doch selbst wenn er das Gemälde relativ schnell gemalt haben sollte, beweist doch die außergewöhnlich subtile Behandlung von Details und die bewundernswerte Vielfalt in der Pinselführung, sogar in unmittelbar nebeneinander liegenden Passagen, dass Rembrandt sich mit der Konzeption des Gemäldes außerordentliche Mühe gegeben hat, vor allem aber mir dem, was damalige Kunsttheoretiker houding gennant haben: die präzise zusammenstimmende Beziehung von Farben, um eine überzeugende Bildillusion im Raum herzustellen. S. 580

Rembrandts Faszination für die Peinlichkeiten der Nacktheit und die Erpressung war mit seiner Susanna noch nicht ausgeschöpft. Seine ebenso originelle wie bestürzende Radierung von Josef und Potiphars Weib, die er ebenfalls im Jahr seiner Heirat 1634 schuf, ist die Kehrseite des Susanna-Gemäldes nach dem apokryphen Text, da in diesem Fall der Frauenkörper das Werkzeug sexueller Erpressung ist und die bekleidete männliche Figur das Opfer. Josefs Strafe dafür, die Frau seines Herrn verschmäht zu haben, besteht darin, dass er (genau wie Susanna) eben des Verbrechens bezichtigt wird, dem er tugendhaft widerstanden hat. Die Komposition lehnt sich entfernt an einen Stich von Antonio Tempesta an, doch ohne den mäßigenden Klassizismus jener sehr viel konventionelleren Darstellung. Rembrandts verstörenden Radierung ist die Darstellung zweier erbitterter Kämpfer. Es ist wie Tauziehen, und das erste findet statt zwischen Potiphars Weib mit ihrer animalischen Gier - ihr üppiger Körpcr ist gewunden wie die satanische Schlange im Paradies - und dem Untergebenen ihres Mannes in seiner Tugendhaftigkeit. In Übereinstimmung mir der berühmtesten zeitgenössischen Darstellung dieser Geschichte als einem Beispiel für die Beherrschung der Begierde, dem Seelf-Stryt (Selbstüberwindung) von Jacob Cats, hat Rembrandt den biblischen Text noch komplexer gestaltet, indem er einen zweiten Kampf darstellt, der in Josefs Innerem stattfindet. Sein Mund ist seltsam schllaff, die Augen dunkel und zusammengekniffen, als zeige sich in ihnen die Spannung zwischen Erregung und Abscheu. Soll er oder soll er nicht?

Keinem holländischen Befrachter des 17. Jahrhunderts wird die offensichtliche Erotik des gigantischen phallischen Bettpfostens entgangen sein. Auch werden sie angesichts der Drehung des Unterkörpers der Frau und ihrer zur Faust gespannten Hand, die sich an Josefs Mantel klammert, das zusätzliche Detail des Nachttopfes unter ihrem Bett nicht benötigt haben, um die Macht ihrer Lüsternheit zu begreifen. Der Körper von Potiphars Weib ist aber nicht nur massig wie Rembrandts Diana und seine Frau auf einem Erdhüge!: er ist seltsam verrenkt, als bestände er aus Knorpeln, als sei er die Hülle für etwas Dämonisches. Josefs Hände, die starke Schatten werfen, schirmen ihn von der sich darbietenden rasierten Scham unterhalb des großen Bauches ab. Doch wirr armen Sünder können uns kaum gegen diesen Anblick wehren. S. 398

Lesezitate nach Simon Schama - Rembrandts Augen


© 21.10.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de