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Die Straße war frei, und es nieselte ein bißchen, wie oft bei uns in der Gegend

Die Straße war frei, und es nieselte ein bißchen, wie oft bei uns in der Gegend. Die Dämmerung ging in Schwärze über - man kann also wirklich nicht sagen, daß die Sicht besonders gut war. Vielleicht habe ich ihn deshalb ...

S.7

Es hatte Zeiten gegeben, da ich das ganze Hin und Her - das Kind in den Kindergarten und zur Schule, zwei Mahlzeiten am Tag zu festgesetzten Stunden, einkaufen und den Garten machen, Kindergeburtstage ausrichten und auf Vereinsabenden repräsentieren, die Urlaube, Buchhaltung und Finanzen, Friseurtermine und Hundeschule, Ostern, Weihnachten und so fort -, da ich das ganze Hin und Her erledigte, als sei es nicht der Rede wert. Das war es eigentlich auch nicht. Ich weiß nicht, wann es mir abhanden kam. Die Sicherheit, die Kraft, die fraglose Konzentration auf das, was man den Alltag nennt. Ich sehe mich noch auf dem Sofa sitzen, mit Ernst, Irmi in dem großen Lehnstuhl, den wir hatten aufpolstern lassen. Wir aßen Cracker und Salznüsse, tranken Bier oder Wein dazu, am späteren Abend auch Schnäpse. Peter Frankenfeld und Dieter Thomas Heck, Hans Rosenthal und Hans Joachim Kuhlenkampf sind mir so klar vor Augen, als wären es meine Schwäger. Das verschluckte R von Carell, das breite Lächeln von Kuhlenkampf. Beim Fernsehballett sagte Ernst unweigerlich: Aber unsere Mädels sind auch nicht schlecht!, und Irmi oder ich pflichteten ihm bei.

S.13

........... weiter....


Lesezitat nach Elke Schmitter - Frau Sartoris, S.


Nemesis
Elke Schmitter - Frau Sartoris

Frau Sartoris führt das Leben vieler Frauen: eingesperrt zwischen Kindererziehung, einkaufen, Mahlzeiten auf den Tisch stellen, hin und wieder ein geselliger Vereinsabend mit dem Ehemann Ernst. Das war’s. Für die Abwechslung in ihrem Dasein sind die Männer zuständig. Ihre erste Liebe, Philippe, hat sie bis heute nicht vergessen. Doch leider kommt sie aus den falschen Kreisen, das befand zumindest Philips Mutter – Ende der Romanze.

In ihrer Verletzung, denn auf keinen Fall will sie auch nur einen Tag später als Philip heiraten, gibt sie Ernst ihr Ja-Wort. Er, der Sparkassenangestellte mit dem sicheren Job ist überglücklich, dem Traum vom Reihenhaus im Grünen und dem alljährlichen Urlaub im Süden steht nichts mehr im Weg. Auch die kleine Tochter Daniela kann das Glück nur steigern.

Bis sie, kurz nach ihrem vierzigsten Geburtstag, bei einem Tanz, einen kleinen Schritt vom Spießer - Pfad zum Glück abkommt. Michael, der Leiter des Kulturamts ist die Ursache dafür. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, die für Frau Sartoris nur ein vorstellbares Ende haben kann - ein neues Leben. Als Michael nicht zur geplanten Abreise nach Venedig erscheint, fährt Frau Sartoris nach Hause, um den Abschiedsbrief, den sie ihrem Mann hinterlassen hat, zu vernichten. In der Küche brennt Licht. Sie wird erwartet.

"Frau Sartoris" ist der erste Roman der Journalistin Elke Schmitters und er überzeugt auf der ganzen Linie. Die Schilderung des normalen Familienlebens, stinklangweilig, durchschnittlich, vorhersehbar und lauwarm ist grandios. Doch für einen guten Roman ist das natürlich nicht ausreichend. Ganz fein streut Elke Schmitter kleine Halbsätze und Abschnitte ein, die die Brüchigkeit des Alltags andeuten. Immer mehr gelangt der Leser zur Gewissheit, im Leben der Frau Sartoris gibt es einen Toten, hat ein Autounfall mit Fahrerflucht stattgefunden, wahrscheinlich sogar ein Mord. Ob Affekt auszuschließen ist?

Auch wenn Frau Sartoris gleich zu Beginn von sich behauptet: "Ich bin oft in Gedanken. Nicht, dass dabei etwas herauskäme." Am Ende ihrer Geschichte ist eine Menge über das Leben einer gewöhnlichen Frau herausgekommen, die einmal nur ungewöhnlich sein wollte, ein wenig zumindest.



Elke Schmitter - Frau Sartoris
2000, Berlin, Berlin Verlag, 159 S.,

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Etwas zog mich zu ihm hin, obwohl es mich mißtrauisch machte; es war seine Gewandtheit, sein geschmeidiger Gang, alles erschien leicht in seiner Umgebung, sogar ich selbst kam mir leichter vor, als hätte ich weit mehr als zehn Pfund abgenommen. Ich mag Ihr Parfüm, sagte er an meinem Ohr, und ich wurde rot, denn ich hatte gar keines benutzt, fand aber seine Bemerkung, beim ersten Nachdenken, nur um so schmeichelhafter - beim zweiten Nachdenken fragte ich mich, ob er das wußte, denn er grinste mich leicht verschwörerisch an, also sagte ich ihm, was ich dachte.

Ich habe ihm immer die Wahrheit gesagt. Ich machte mir bei Ernst oft nicht die Mühe zu lügen, aber ich machte ihm auch keine Geständnisse, denn alles, was ich sagte, hätte mit einer Lüge beginnen müssen. Es war zwischen uns, wie es war, daran konnte kein Reden etwas ändern, und Kompliziertheiten interessierten ihn nicht. Sein Lebensziel war Gemütlichkeit, darin war er durchsichtig wie ein Glas Wasser, und er dachte über Menschen überhaupt nur nach, wenn sie seine Gemütlichkeit störten. Er war zufrieden, wenn er einen Grund gefunden hatte, seine Gedanken ad acta zu legen -

S. 54

Er hatte bekommen, was er wollte - mich -, und das machte ihn nachgiebig und noch geduldiger, als er ohnehin schon war; er hatte keine Wünsche mehr , aber daran starb er nicht, damit lebte er, wie ein Hund, dem allmählich die Leber verfettet und der dann mit schönen Träumen entschläft.

S.54

Philip; er war mein Ur-Mann gewesen, so wie es ein Ur-Meter in Paris geben soll; ich hatte jede Affäre, von der ich hörte, nach meiner Erfahrung bemessen, nach meiner Liebe und unserer Verliebtheit; und ich hatte jeden Frühling mit unserem verglichen und jeden Sommer dazu. Deshalb hatte mir nichts gefährlich werden können. Ich schwankte in meinem Urteil über Philip; ich wollte kein Ende finden. Jetzt sollte Michael das Ende sein, dreiundvierzig Jahre, dunkelhaarig, Kulturamtsleiter in L., verheiratet, zwei Kinder. Er sollte das Ende sein für einen Anfang. Natürlich kamen nur Hotels in Frage,

S.60

Wir waren um drei Uhr verabredet, an der Autobahnauffahrt nach F., wo ein kleiner Parkplatz war. Michael würde ein Taxi nehmen; er wohnte mitten in der Stadt, und am Hotel Drei Kaiser stand immer ein Wagen. Es war kurz nach zwei, als ich dort eintraf; ich hatte mich an der Tankstelle so lange aufgehalten wie möglich und noch eine Zeitschrift gekauft, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich rechnete nicht eher mit ihm als zu der verabredeten Zeit; trotzdem spähte ich nach den wenigen Lichtern, die an mir vorbeifuhren oder, zunächst, auf mich zu. Angst hatte ich keine; ich war nie furchtsam gewesen; es würde nur schwer werden, fast eine Stunde zu warten. Es war nicht besonders warm, trotzdem drehte ich das Fenster runter, als ich rauchte; hin und wieder sah ich in den Rückspiegel und betrachtete mein Gesicht; ich merkte wie meine Ruhe langsam von mir abfiel. Ich schaute noch einmal nach, ob ich die nötigen Papiere auch eingesteckt hatte; es war alles dabei, sogar an Lire hatte ich gedacht, und der Prospekt des Hotels, in dem ich uns für eine Woche ein Zimmer gebucht hatte, lag neben dem Sparbuch in meiner Handtasche. Den Hausschlüssel hatte ich mitgenommen, ohne darüber nachzudenken; ich würde ihn irgendwo wegwerfen. Ich stellte das Standlicht ein, damit er mich leichter finden konnte; vielleicht wußte der Taxifahrer nicht, wo genau er halten sollte, wenn Michael sagte: zu der kleinen Parkbucht kurz vor der Autobahn, gleich hinter er großen Tankstelle. S.99

Bei unserem Abschieds-Cherry heulte ich beinahe los, aber gerade da mußte sie auf die Toilette, und so wurde nichts daraus. Sonst wären wir sicher länger geblieben.

Die Straße war frei, und es nieselte ein bißchen, wie oft bei uns in der Gegend. Die Dämmerung ging in Schwärze über - man kann also wirklich nicht sagen, daß die Sicht besonders gut war. Vielleicht habe ich ihn deshalb erst sehr spät gesehen, wahrscheinlich aber eher, weil ich in Gedanken war.

Da stand er an der Straße. Direkt unter der Ampel stand er, in einem Regenmantel, die Hände in eine Taschen und den Kopf vor der Nässe eingezogen; von hinten schien eine Laterne ihn an, so daß ich die kräftige Nase sah, das dunkle, am Kopf klebende Haar. Er war ganz allein, kein Passant war zu sehen und auch kein Fahrradfahrer; keine Gegend zum Spazierengehen, so nahe am Industriegebiet, keine Geschäfte und keine Bäume für die Hunde. Ich hätte mich anders entscheiden können. Ich hätte er Moment, auf den ich gewartet hatte, seit ich ihn kannte ; es war ein geschenkter Moment, wie Glück; etwas, was nicht erzwingen und nicht herbeigeführt werden kann, ein unwahrscheinlicher Zufall; etwas, was man Schicksal nennt, wenn es einem richtig erscheint, und mir erschien es ganz richtig. In diesem Bruchteil von Sekunden, da ich ihn da stehen sah und den Wagen schon verlangsamte, schoß mir das alles durch den Kopf - das und was ich zuvor schon gedacht hatte und die ganzen letzten Wochen und Monate; man sagt, daß man im Moment des Todes das ganze Leben noch einmal vor sich sieht, wie einen rasend schnell laufenden Film; so ging es mir auch, und dabei starb nicht ich, sondern er. Denn ich gab Gas, als .....

S.158


Lesezitate nach Elke Schmitter - Frau Sartoris


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1.4.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger