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Urs Riechle - Mall oder das Verschwinden der Berge


Ich wollte mir das Leben nicht nehmen. Ich bin in Sargans gewesen und wollte den Gonzen besteigen. Ich habe ein Hotelzimmer bezogen und die Besteigung des Gonzens vorbereitet, das ist alles. Warum ich mich jetzt plötzlich erklären und die Verantwortung für den Brand eIner alten verlotterten Scheune übernehmen soll, weiß ich nicht. (S.10)
So war : ich nie länger als drei Tage in Sargans. Auch wenn es Leute geben soll, wie Isabelle sagt, die behaupten, ich sei vier Monate in Sargans gewesen, so waren es doch nur drei Tage, nicht mehr und nicht weniger. (S.11)

Lesezitat nach Urs Riechle -
Mall oder das Verschwinden der Berge


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Ein Hirn wie ein Berg
Urs Richle -
Mall und das Verschwinden der Berge

"Kann es sein, daß wir eines Tages die Tür öffnen, weil es geklopft hat, ein paar amtliche Gesichter vor uns sehen und erklären müssen, warum wir nicht mehr leben wollen? Verlangt man denn umgekehrt, eine Erklärung von uns, solange wir leben, warum wir uns noch immer nicht umgebracht haben?"

Genau dies erlebt der junge Krankenpfleger Ulrich Hörmann, als er für einige Wochen sang- und klanglos aus dem Krankenhaus Käferberg verschwindet. Einer seiner Patienten, Carl Mall, ist am vorigen Tag gestorben. Mall, siebenundachtzig Jahre alt und Bergwerks-Ingenieur hat bis zu seinem letzten Atemzug von seiner Vergangenheit im Stollen fantasiert. Immer wieder hat er Hörmann von Sargans und dem Berg Gonzen vorgeschwärmt. Nach seinen Plänen wurde der ganz Berg ausgehöhlt.

Hörmann fasziniert Mall und sein Leben in der Erinnerung. Nach Malls Tod reist er nach Sargans und quartiert sich dort im Gasthof ein. Das Innere des Berges reizt ihn nicht so sehr. Er möchte ihn besteigen. In unzähligen Spaziergängen erkundet er die Umgebung des Berges. Für die Einheimischen ist er ein eigenbrötlerischer Tourist aus der Stadt, der Erholung sucht und möglichst in Ruhe gelassen werden will, allerdings ist kaum einer vier Monate als Tourist in Sargans. Den meisten genügen drei Tage.

Erst durch das weit überzogene Konto und die Vermisstenanzeige des Krankenhauses findet ihn seine Freundin wieder. Sie ist entsetzt, als sie ihn sieht. Seit Tagen hat er sich nicht mehr gewaschen, nur noch wenig gegessen. Zwei Tage später lässt sie ihn in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie einweisen.

Der Schweizer Urs Richle hat in seinen Romanen ein Faible für skurrile Typen. In "Mall oder Das Verschwinden der Berge" führt er den Leser in das eigene "innere Bergwerk", das jeder bewältigen muss und das ihn bis zum letzten Atemzug am Leben hält.



Urs Richle -
Mall und das Verschwinden der Berge
© 1993 by Eichborn-Verlag
1999, München, Piper Verlag, 183 S.,

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Natürlich sei aufgefallen, daß ich genau seit dem Tag nach dem Tod meines Patienten Carl Mall verschwunden gewesen sei. Zu einer plausiblen Erklärung meines plötzlichen Verschwindens oder gar zu einem Hinweis auf mein Verbleiben habe dies allerdings so wenig geführt, wie die lange Zeit erfolglos gebliebene Vermißten-Anzeige bei der Polizei. (S.22)
Meine Frage an den Stollenführer, die ich bereits Mall gestellt hatte, ob das Werk zu dieser Zeit Eisenerz an Deutschland geliefert habe, wird zwar nicht sofort verneint, bleibt aber schließlich doch unbeantwortet. Niemand will es genau wissen.
Aber sie können sich ja vorstellen, so der Stollenführer, was zu dieser Zeit aus dem Erz hergestellt wurde, auch wenn es in der Schweiz blieb und hier verarbeitet wurde. Und daß die Schweiz in den vierziger Jahren Waffen an Deutschland und an Italien lieferte, während die eigene Armee an Waffenmangel litt, ist ja inzwischen kein Geheimnis mehr. (S.59)

Gleichzeitig wollte ich verstehen, was ich gesehen hatte. Ich hatte mir vorgenommen, alles über meinen Patienten Carl Mall in Erfahrung zu bringen, was in Sargans und rund um den Gonzen über ihn in Erfahrung zu bringen war, um zu verstehen, was Carl Mall erlebt haben muß, als er in meinen Armen starb. Ich wollte es erkunden, was irgendwie seine Geschichte betraf. (S.67)
Sein Weg führte in den Berg hinein, während meiner jetzt auf den Gonzen hinaufführen sollte Er baute Stollen und Tunnel, ich machte Spaziergänge rund um den Berg. (S.74)
Mall geht herum und ist im Berg, in seinem Berg, den er selbst entworfen hat. Das ist seine Arbeit, denke ich, während. Mall herumgeht, sich seinen Berg und damit sich selbst immer wieder neu zu entwerfen, um sich darauf aufs neue wieder abzutragen. Entwerfen, konstruieren und abtragen, das abtragen, was eben konstruiert wurde. Dieser Kreislauf hält ihn am Leben. Solange er entwirft, lebt er. Solange er lebt, arbeitet er. Er ruft mich: Ulrich, fünf Grad! (S.141)
Der Versuch, Mall zu verstehen, ist gleichzeitig der Versuch, meine Situation zu verstehen. Meine Arbeit, meine Bewegungen, die sich von der Station zum Personalhaus in mein Zimmer und zurück erstrecken. Morgens gehe ich in die Station des Krankenheims hinauf und abends ins Zimmer hinunter. Zimmer, Station, Zimmer und zurück. (S.160)
Lesezitat nach Urs Riechle -
Mall oder das Verschwinden der Berge


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-12-28

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger