Jutta Richter - Hinter dem Bahnhof liegt das Meer (Buchtipp/Rezension/Kinderbuch/Jugendbuch)
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  Lesealter: 10 Jahre  

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Manchmal müssen wir weg.
Dahin, wo Sommer ist.
In den Süden... vielleicht.
Ans Meer ... vielleicht.
Wir gehen los und es riecht nach Sonne und Wind.
Wir gehen los und es riecht nach Fisch und Teer und Tang.
Wir gehen los und die Schwalben sind Möwen. Wir biegen um die Ecke.
Da ist der Bahnhof Und hinter dem Bahnhof, das wissen wir genau, hinter dem Bahnhof liegt das Meer.

Es gibt auch gute Tage.
Das sind die Markttage, an denen die Händler zum Schluss ihre Waren umsonst verteilen.
Eine Kiste überreifer Erdbeeren. Oder die Bananen mit braunen Flecken. Und dann gibt es auch noch die letzten kalten Rostbratwürste vom Grill und dazu trockenes Brot.

An den guten Tagen sitzen Kosmos und Neuner abends am Fluss. Sie sitzen da, wo der Sandstrand ist, da, wo die kleinen Feuer brennen. Treibholzfeuer. Etwas weiter weg sitzen die andern. Glatzenpeer und Mundharmonikajonny, die rote Ilse und Hein Schoop mit dem Glasauge. Aber mit denen will Kosmos nichts zu tun haben. Das sind die Penner, die Kampftrinker, die Brückenschläfer, die Strandpiraten.

"Da gehör' n wir nicht zu, Neuner. Wir nicht!", sagt Kosmos.
Zwischen ihnen steht die Kiste mit den überreifen Erdbeeren. Und die Plastiktüten liegen da. Zwei Plastiktüten, prallvoll mit allem, was Kosmos gehört. Kosmos hütet die Tüten wie seinen Augapfel. Niemand darf hineinschauen, auch Neuner nicht.

"Pfoten weg, Kleiner!", sagt Kosmos. "Das ist Privateigentum!"
S. 7


Lesezitat nach Jutta Richter - Hinter dem Bahnhof liegt das Meer


Bookinists Buchtipp zu


von Jutta Richter


Der Hund mit dem gelben Herzen

Rattenfängerpreis 2000


Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen




Hinter dem Bahnhof liegt das Meer
Jutta Richter - Hinter dem Bahnhof liegt das Meer

igentlich ist sich Neuner, so heißt der Junge, weil er neun Jahre alt ist, gar nicht sicher, wo denn nun das Meer liegt, doch sein Freund Kosmos, der immer Bescheid weiß, hat ihm gesagt, dass es hinter dem Bahnhof beginnt. Und Kosmos lebt schon viel länger als Neuner auf der Straße. Er kennt sich aus und weiß einfach alles. Das Meer ist der große Traum der beiden.

"Ich will ans Meer, Mann! Ich werde alles tun, um da hinzukommen. Auch auf den Händen laufen! Wie glaubst du, ist das Meer? Ist es blau oder ist es grün? Und wie, glaubst du, schmeckt das Meer? Schmeckt es süß oder schmeckt es salzig? Und wie, glaubst du riecht das Meer?"

Am Strand werden sie dann einen Kiosk eröffnen und Eis oder Getränke verkaufen, das wird sicher richtig toll. Vielleicht kommt sogar Neuners Mutter eines Tages zu Besuch, wenn sie wieder aus dem Krankenhaus daheim ist.

Es gibt nur ein kleines Problem mit dem Geld, denn natürlich braucht man eine Fahrkarte, um ans Meer zu fahren. Ob es wirklich eine gute Idee von Neuner ist, seinen Schutzengel zu verkaufen?

Jutta Richter, die bereits für ihr Kinderbuch "Der Tag, als ich lernte die Spinne zu zähmen" mit dem Luchs des Jahres 2000 von der ZEIT ausgezeichnet wurde, hat eine sehr zarte Geschichte über die Kostbarkeit der Freundschaft geschrieben. Ein Buch, das die Härte der Kindheit nicht beschönigt, denn Neuner hat kein Zuhause mehr, und die ertragene Brutalität aus Kindersicht schildert, ohne dass der Kopf in den Sand gesteckt wird. Neuner und Kosmos sind überaus einfallsreich, wenn es darum geht, ihr Ziel zu erreichen. © manuela haselberger


Jutta Richter - Hinter dem Bahnhof liegt das Meer
2001, München, Hanser Verlag, 92 S., / 10.23 €

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Jutta Richter:

gebunden:

  • Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen   © 2000
  • Der Hund mit dem gelben Herzen   © 1997
  • Herr Oska und das Zirr © 1998
  • Es lebte ein Kind auf den Bäumen   © 1999

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  • Der Hund mit dem gelben Herzen   © 2000
  • Hast du Zeit für mich?   © 1984

    CD:

  • Hast du etwas Zeit für mich?   © 1996
  • In der allerlängsten Nacht.
        Advents- und Weihnachtslieder für Kinder.
      © 1999


  • Fortsetzung des Lesezitats ...

    "Und wie wärīs mit deiner Kappe?"
    Kosmos tippt sich mit dem Finger an die Stirn.
    "Mensch, Kosmos, willste nun ans Meer oder nicht?", fragt Neuner ungeduldig.
    "Klar will ich ans Meer, du Spinner! Aber was soll denn die Konigin von Caracas mit meiner alten roten Kappe anfangen?"

    Neuner muss plötzlich daran denken, was er Mama früher zum Muttertag geschenkt hat. Meistens waren es Steine gewesen. Schöne glatt geschliffene Steine, die er am Flussufer gesucht hatte. Und wie Mama sich immer darüber gefreut hat ... Den glattesten Stein hatte sie sogar in die Manteltasche gesteckt und jeden Tag bei sich gehabt, wenn sie morgens zu Fischer & Frost ging.

    "Das ist ab jetzt mein Talisman!", hatte Mama gesagt. "Und immer, wenn ich den anfasse, muss ich an meinen kleinen Häwelmann denken!"

    Aber jetzt ist der Fluss weit weg und Muttertag auch.
    Neuner wühlt in seinen Hosentaschen, er findet keinen einzigen Stein, er findet nur eine hellgrüne Glasmurmel, einen zerquetschten Kaugummistreifen und einen verrosteten Schlüssel, der nirgendwo passt.

    "Ich hab's! Das isses!", sagt Kosmos und klatscht sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
    "Dass ich da nicht eher drauf gekommen bin!"
    "Nun sag schon, was ist dir eingefallen?", drängelt Neuner.
    "Erinnerst du dich an die Schutzengelplakate? Diese Flügelfrauen, die die Männer und ihre Autos beschützen? Immer da, immer nah!"
    "Die Schutzengelplakate, wieso? Was haben denn die mit unserem Geschäft zu tun?"
    "Viel", sagt Kosmos und grinst. "Was die wollen, können wir schon lange!"
    Neuner ist verwirrt. "Wieso? Was wollen die denn?"
    "Die wollen den reichen Leuten Schutzengel verkaufen!", sagt Kosmos.
    "Ja, und?"
    "Mensch, bist du langsam! Sie will etwas Wertvolles, die Königin!"
    Und da endlich begreift Neuner. "Das meinst du nicht ernst!"
    "Und ob", sagt Kosmos. "Wenn ich selber einen Schutzengel hätte, könnten wir meinen nehmen. Würd mir nichts ausmachen. Nicht, wenn er das Einzige wär, wofür wir Geld bekommen könnten, um ans Meer zu fahren!"
    "Da mach ich nicht mit! Mein Schutzengel gehört mir und den geb ich nicht her! Für nichts! Nie! Nie! Nie!"
    "Würde wahrscheinlich auch sowieso nichts nützen", sagt Kosmos. "Was soll die Königin von Caracas mit deinem Schutzengel."
    Neuner zögert.
    Neuner denkt nach.
    "Und was passiert, wenn man seinen Schutzengel verkauft hat? Ist er dann für immer weg, obwohl man dran glaubt?"
    Kosmos zuckt die Schultern. Er sieht plötzlich ratlos aus.
    "Weiß ich doch nicht", sagt er dann. "Kenn ich mich mit Schutzengeln aus? Ich weiß nur eins: Wir wollen ans Meer und wir brauchen Geld. Und was Besseres als deinen Schutzengel haben wir nicht."
    Neuner zögert.
    "Wie du an mir sehen kannst, lebt man auch ohne Engel ganz gut", sagt Kosmos. "Und wenn wir erst mal am Meer sind, dann brauchst du sowieso keinen Schutzengel mehr. Dann haben wir nämlich alles, was wir brauchen, verstehst du? Ich mach da īne Bude auf mit so einem großen Schild vorn: KOSMOS UND NEUNER, KALTGETRÄNKE AUS DEM EIS. Und du gehst am Strand lang mit īner Kühltasche und bedienst die Leute. Wir werden reich da unten, versprochen, Neuner! S. 34-36
    Lesezitate nach Jutta Richter - Hinter dem Bahnhof liegt das Meer


    © 15.9.2001 by
    Manuela Haselberger
    Quelle: http://www.bookinist.de