Michael Ondaatje - Anils Geist (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Michael Ondaatje:


Der englische Patient



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Sie kam in den ersten Märztagen mit einem Flugzeug an, das vor Morgengrauen am Flughafen Katunayake landete. Seit sie die Westküste Indiens überquert hatten, waren sie mir der Dämmerung um die Wette geflogen, und nun traten die Passagiere im Dunkeln auf die geteerte Piste. Als sie das Flughafengebäude verließ, war die Sonne aufgegangen.

Im Westen hatte sie gelesen: Die Morgendämmerung bricht an wie Donner, und sie wußte, daß sie die einzige im Klassenzimmer gewesen war, die diese Wendung körperlich empfinden konnte. Obwohl es für sie nie unvermittelter Donner war. Es waren vor allem anderen die Geräusche von Hühnern und Karren und schüchternem Morgenregen oder das quietschende Zeitungspapier, mit dem ein Mann anderswo im Haus die Fenster putzte. Sobald ihr Paß mir dem hellblauen UNO-Streifen abgestempelt war, näherte sich ein junger Beamter und ging neben ihr her. Sie mühte sich mit ihrem Gepäck ab, aber er bot keine Hilfe an.

"Wie lange waren Sie weg? Sie sind hier geboren, oder?"
"Fünfzehn Jahre."
"Sprechen Sie noch Singhalesisch?"
"Ein bißchen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn; ich unterwegs nicht rede. Ich habe Jet-lag. Ich will nur aus dem Fenster schauen. Vielleicht einen Toddy trinken, bevor es zu spät Ist. Gibt es noch immer Gabriel's Saloon mir den Kopfmassagen?<
"Ja, in Kollupitiya. Ich habe seinen Vater gekannt."
"Mein Vater hat seinen Vater auch gekannt:" S. 13 ........... weiter....


Lesezitat nach Michael Ondaatje - Anils Geist


Bürgerkrieg in Sri Lanka (Ceylon)
Michael Ondaatje - Anils Geist




Nach dem großen Erfolg und der Auszeichnung mit dem Booker-Prize 1992 für den Bestseller "Der englische Patient" sind zwar in Deutschland mehrere Bücher von Michael Ondaatje erschienen ("Buddy Bolden Blues" und "Die gesammelten Werke von Billy the Kid"), doch für einen neuen Roman hat sich der heute in Kanada lebende Autor Zeit gelassen.

Das Thema, das er sich für sein neues Werk ausgesucht hat, ist denkbar schwierig. Ondaatje beschäftigt sich in "Anils Geist" mit seiner Heimat Sri Lanka und es berührt ihn hautnah, ist er doch holländisch - tamilisch - singhalesischer - Abstammung.

Die Amerikanerin Anil, 33 Jahre alt, erhält zusammen mit dem in Colombo lebenden Archäologen Sarath den Auftrag, für die UNO - Menschrechtskommission nachzuweisen, dass in Sri Lanka nicht nur von unterschiedlichen Terrorgruppen im Namen des Bürgerkriegs Menschen getötet werden, sondern auch von der Regierung selbst. Hierzu sollen die beiden die Leiche eines Toten untersuchen und den schlussendlichen Beweis für das westliche Ausland liefern. Ehrlich: "In der Menschenrechtskommission versprach sich niemand viel davon."

Anil verließ vor fünfzehn Jahren Sri Lanka und studierte in Amerika Pathologie. Mit ihren Augen beschreibt Michael Ondaatje die alte Heimat. Am stärksten gelingen ihm dabei die Schilderungen der Familienangehörigen Anils und ihre verzweigten Geschichten. Wobei ihre Arbeit durch das gegenseitige Belauern, wer ist Freund oder Feind, selbst Sarath und Anil stehen sich misstrauisch gegenüber, erheblich erschwert ist. "Wir sind hier nicht in Brüssel oder in Amerika. Nur die Waffen sind in diesem Land auf dem neuesten Stand der Technik."

Die Schrecken des Bürgerkriegs fängt Ondaatje in aller Brutalität ein, breitet sie vor dem Leser in ihrem ganzen Grauen aus, ohne sie zu bewerten oder auch nur eine Spur zu beschönigen. Nicht ein grässliches Detail spart er aus. Der Terror ist allgegenwärtig und wer ihn ausübt, dazu bezieht Ondaatje keine Stellung, denn für die Menschen in Sri Lanka bleiben am Ende nur die Toten, die betrauert werden. Wofür sie gestorben sind, ändert nichts an ihrem Tod.

Die Lektüre dieses Romans, der es schafft, dem Leser die landschaftlich wunderschöne Insel Sri Lanka weitaus näher zu bringen, als die kurzen Bürgerkriegs-Bilder in der Tagesschau, hinterlässt ein Gefühl der Beklemmung und Bedrückung, das beim Umblättern der letzten Seite nicht schwindet.


Michael Ondaatje - Anils Geist
aus dem Englischen von Melanie Walz
Originaltitel: © 2000, "Anils Ghost"
2000, München, Hanser Verlag, 324 S.

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Michael Ondaatje
Anils Geist
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Anils Geist

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Anils Geist


Fortsetzung des Lesezitats ...

Es gibt Bildnisse in Stein gemeißelt oder auf Stein gemalt - ein Blick auf ein Dorf von einem nahe gelegenen Berg herab, eine einzelne Linie, die des Rückens einer Frau, die sich über ein Kind beugt -, die Sarath' Wahrnehmung seiner Welt verändert haben. Vor Jahren betraten er und Palipana unbekannte Felsfinsternisse, entzündeten ein Streichholz und sahen Farbspuren. Sie gingen nach draußen, schnitten Rhododendronzweige ab, kehrten zurück und zündeten sie an, um die Höhle zu beleuchten; der Rauch des frischen Holzes war stechend und vernebelte das Licht der Flammen mit Qualm.

Dies waren Entdeckungen, die in den schlimmsten politischen Zeiten gemacht wurden, während Tausende schmutziger kleiner Verbrechen aus rassistischen oder politischen Motiven begangen wurden, aus Bandenwahnsinn oder Geldgier. Der Krieg hatte sich eingefressen wie Gift in einen Kreislauf und ließ sich nicht herausschwemmen.

Diese Höhlenbilder, durch Qualm und Feuer hindurch erblickt. Die nächtlichen Verhöre, die Gefangenenwagen, die bei Tag willkürlich Bürger einsammelten. Der Mann, der vor Sarath' Augen auf einem Fahrrad fortgebracht worden war. Massenhaftes Verschwinden in Suriyakanda, Berichte von !Massengräbern in Ankumbura, von Massengräbern in Akeemana. Die halbe Welt, so schien es, wurde begraben, und die Wahrheit versteckte sich hinter der Angst, während die Vergangenheit im Licht eines brennenden Rhododendronbuschs sichtbar wurde.

Anil konnte dieses alte, akzeptierte Gleichgewicht nicht verstehen. Sarath wußte, daß die Reise für sie den Weg zur Wahrheit bedeutete. Aber was würde die Wahrheit für sie beide bedeuten? S. 166

Einmal waren sie und Sarath in das Waldkloster von Arankale gegangen und hatten dort ein paar Stunden verbracht. Ein Wellblechschild war als Schutz vor Sonne und Regen in den Eingang einer Felshöhle genagelt. Dahinter führte ein gewundener sandiger Pfad zu einem Wasserbecken. Jeden Morgen kehrte ein Mönch den Pfad zwei Stunden lang und säuberte ihn von tausend Blättern. Bis zum späten Nachmittag waren weitere tausend Blätter und kleine Zweige auf ihn gefallen. Doch gegen Mittag war seine Oberfläche so klar und gelb wie ein Fluß. Diesen sandigen Pfad entlangzugehen war allein schon eine Meditationsübung.

Im Wald war es so still, daß Anil keine Geräusche vernahm, bis sie auf den Gedanken kam, darauf zu lauschen. Dann konnte sie die Schreihälse lokalisieren, als zöge sie ein Sieb durchs Wasser, und konnte die Rufe von Pirolen und Papageien ausmachen. "Wer nicht lieben kann, schafft Orte wie diesen. Sie setzen voraus, daß man die Leidenschaft überwunden hat." Es war fast das einzige, was Sarath an jenem Tag in Arankale sagte. Die meiste Zeit ging und schlief er, in seine eigenen Gedanken versunken.

Sie hatten den Wald durchstreift und Überreste alter Anlagen entdeckt. Ein Hund folgte ihnen, und sie erinnerte sich daran, daß die Tibeter glaubten, Mönche, die nicht gebührend meditiert hatten, würden im nächsten Leben Hunde sein. Sie wanderten im Kreis zu der Lichtung zurück, einer Lichtung wie ein kamatha, die Stelle in einem Reisfeld, wo gedroschen wird. Auf einer Steinbalustrade thronte eine kleine Buddhastatue, durch ein Pisangblatt gegen Sonnenglut und Regen abgeschirmt. S. 201
Lesezitate nach Michael Ondaatje - Anils Geist


© 27.09.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de