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Erst sein Sohn Chlodwig hatte den Ruhm errungen, der erste König aller Franken zu sein. Karl dachte daran, daß Chlodwig I. gerade sechzehn Jahre alt gewesen war, als er die Krone nahm. In den ersten fünf Jahren seiner Herrschaft hatte er sich ruhig verhalten und erst dann alle Rivalen in den Familien beseitigt, die ihm gefährlich werden konnten. 486 hatte er bei Sousance im Tal der Aisne Herzog Syagrius besiegt, den letzten römischen Vasallen,
Im Jahr 500 hatte er bei Zülpich an der alten Römerstraße von Köln nach Trier die Alamannen und die Burgunden geschlagen. Mit Hilfe der Unterworfenen vertrieb Chlodwig sieben Jahre später auch noch das Volk der Westgoten aus Gallien. Sie mußten ihre Hauptstadt Toulouse und das nach der Eroberung von Rom im Jahre 410 geduldete erste germanische Königreich in Gallien auf- geben und nach Spanien fliehen. Damit hatte Chlodwig l. ein neues großes Reich geschaffen.
Karl dachte daran, daß Chlodwig I. den gleichen Fehler gemacht hatte wie viele andere Herrscher vor und nach ihm: Er hatte nicht bestimmt daß einer seiner Söhne das ganze Reich erbte, sondern zugelassen, daß nach dem alten saalfränkischen Gesetz verfahren wurde. :in gerade erst geschaffenes Reich wurde erneut zerstückelt. Als Folge davon hatte jeder in der Familie der Merowinger gegen jeden gekämpft, Brüder hatten ihre Brüder umgebracht, Mütter ihre eignen Kinder, Enkel oder Neffen. Kaum einer in der Königsfamilie war je eines natürlichen Todes gestorben.
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"Und wenn das Reich der Franken je wieder zu seiner einstigen Größe zurückfinden soll, dann gibt es nur einen einzigen Weg."
Karl ahnte bereits, was jetzt kommen würde. Er irrte sich nicht, und Willibrord sprach weiter.
"Du hast die große und einmalige Möglichkeit , Karl, Frieden und Ordnung von Spanien bis zu den Friesen wiederherzustellen. Nimm dein Amt an und stell es ebenso unter das Zeichen des Kreuzes, wie es bereits dein Vater und deine Vorfahren getan haben. Laß nicht zu, daß einzelne Bischöfe zu Fürsten und Herzögen werden. Verweigere allen deine Gunst, die noch dem heidnischen Glauben anhängen. Verbiete die Hexerei und den Aberglauben. Bestrafe Magier und die Verehrung von Kobolden, Naturgeistern, Elfen und Wassernymphen. Zerstöre alle Römertempel und die heidnischen Thingstätten der Sachsen und Friesen."
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"j a, das ist richtig", sagte Faramundus und strahlte über sein rundes Gesicht. "Suidbert war Anfang der neunziger Jahre von Willfried persönlich zum Bischof geweiht worden. Er kam dann den Rhein herauf und ging in das Gebiet der Brukterer südlich des Flusses Lippe. Aber die Sachsen duldeten die Männer aus Irland und England nicht lange. Obwohl ihre Sprachen ähnlich sind, fürchteten sich die Sachsen vor den lateinischen Gesängen der Mönche. Sie hielten die Messen, wie wir sie seit Jahrhunderten feiern, für Hexerei und gefährliche Beschwörungen . . ."
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"Und was ist mit ihren heiligen Plätzen? Wirken dort tatsächlich unsichtbare Kräfte aus dem Inneren der Erde?"
"Es gibt sehr viele Dinge, die auch ein Bischof nicht erklären kann", sagte Willibrord lächelnd. "Aber du solltest nie die Kräfte unterschätzen, die jeder Glaube wecken kann. Unserer ebenso wie der von Sachsen oder Sarazenen . . ."
"Wo also soll ich anfangen nach deiner Meinung?"
Willibrord streckte den rechten Arm aus. "Dort drüben, auf der anderen Seite des Flusses, in den Bergischen Wäldern. Dort wurden vor genau fünfundzwanzig Jahren die beiden Missionare erschlagen, die wir den schwarzen und den weißen Ewald nennen und die inzwischen in Sankt Kunibert begraben sind."
"Gut. Ich werde einen kurzen, schnellen Zug vorbereiten."
"Das wird nicht ausreichen", meinte Willibrord. "Du mußt die Sachsen über die Lippe hinweg nach Norden hin verfolgen. Und zwar so weit wie möglich, wenn es sein muß, bis zum Meer."
"Du bist sehr hart in deinen Forderungen."
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"Aber wo steht geschrieben, daß wir uns keine schlagkräftge und gut geübte Kavallerie aufstellen können?" fuhr Karl fort. "Ich denke dabei an einen festen Stamm aus den besten Reitern, die wir im ganzen Reich finden können. Sie sollen ausgezeichnete Pferde und Waffen aus den Erträgen der Fiskalgüter und der königlichen Domänen erhalten."
"Du meinst ein Reiterheer, das sich nicht erst zum "Märzfeld bildet und im Herbst wieder auseinandergeht?"
"Genau das meine ich", sagte Karl.
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Noch am Vorabend des Reichstags überlegte Karl, wie er verhindern könnte, daß die Großen des Reiches von ihm die Einrichtung einer ebensolchen Kanzlei verlangten, wie sie zuvor bei den Merowingerkönigen, seinem Vater und auch Raganfrid in Neustrien üblich gewesen war. Dort nämlich hatten sich für kurze Zeit noch einmal hohe Würdenträger vom Hof seiner Vorgänger eingefunden, jüngere Adlige aus den neustrischen Gauen, um ein Amt als Pfalzgraf oder Referendar zu bekommen. Keiner dieser Männer war von Karl übernommen worden.
"Wer die Macht hat, der bestimmt die Form'", sagte er so unnachgiebig, daß selbst jene, die sich immer noch heimlich gegen ihn auflehnten, nicht zu widersprechen wagten.
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"Moment mal", sage Karl. "Wer ist hier Bischof? Und wer hat wen ernannt?"
"Der Papst ist Bischof von Rom", erklärte Faramundus geduldig, "und er hat bereits im vergangenen Jahr den englischen Mönch Wynfrith zum Bischof machen wollen." Karl schüttelte unwillig den Kopf. "Was soll das. " sagte er. "hat er nun oder hat er nicht? Und warum erfahre ich erst jetzt davon?"
"Die ganze Angelegenheit ist auch uns Frankenbischöfen und Priestern etwas peinlich", gab Faramundus zu. "Wir haben nichts gesagt, weil Bruder Willibrord uns darum gebeten hat."
"Also", sagte Karl streng, "was ist hier los? Ich fordere euch auf, mir alles zu berichten." "Er hat soeben den Schüler von Willibrord zum Missionar der Deutschen ernannt." "Der Deutschen?" fragte Karl. "Das ist doch kein Land und keine Provinz."
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"Sprich weiter - aber ohne Umwege!" sage Kar!. "Die Merowingerkönige haben niemals die Oberhoheit des römischen Bischofs über die fränkische Kirche anerkannt", sagte Milo. "Und auch hier ist niemand von uns damit einverstanden, daß fremde Mönche und Priester durch unsere fränkischen Gaue ziehen, überall Kirchen und Klöster bauen und das Wort Gottes angeblich besser verkünden als wir selbst."
"Ihr habt selbst Schuld", sagte Karl. " Niemand behauptet, daß ihr zu faul und feige wart. Aber wer hat sich um die Bekehrung der heidnischen Friesen und Sachsen wie auch der Franken in unseren östlichen Gauen gekümmert? Viele von euch sind doch gar nicht: böse darüber, wenn sie sich nicht allzu weit aus ihren angenehmen Bischofsstädten und vom beschaulichen Leben in ihren Klöstern und Abteien entfernen müssen . . ."
"Ich widerspreche dennoch!" stieß der Abtbischof von Stavlot-Malmedy aus. "Wie kommen wir eigentlich dazu, Männer zu dulden, die nie verschwiegen haben, daß sie eher einen Eid auf den Papst in Rom als auf das Reich der Franken schwören würden? Und warum willst du dulden, daß unter deiner schützenden Hand nicht mehr die fränkischen Heiligen verehrt werden, sondern ein Pontiex im fernen Rom?"
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"Was ist es?" drängte Karl matt und ungeduldig zugleich. "Was hat er getan?" - "Er hat befohlen, daß ein Baum gefällt wird. Mit dem Holz daraus sollten seine Mönche eine Kapelle zu Ehren des Apostels Paulus bauen." "Na und?" frage Karl angestrengt. "Warum belästigst du mich mit derart unwichtigen Dingen?" "Sie sind nicht unwichtig", wiedersprach Karlmann, ohne auf den schlechten Zustand seines Vaters Rücksicht zu nehmen. "Er hat die Eiche gefällt . . . die heilige, Wotan geweihte Eiche!"
Ein tiefes Stöhnen entrang sich Karls Brust. "Oh, dieser größenwahnsinnige Missionar!" keuchte Karl. "Das kostet Blut! Blut von vielen tausend Sachsen, aber auch Franken .. ." - "Und viele, viele Jahre, bis dieser Frevel an den alten Göttern unserer Ahnen endlich vergessen ist", stimmte Karlmann zu. Eher zufällig nahm er den Löffel aus der Schale mit Gerstenbrei, den Karl an diesem Tag noch nicht angerührt hatte. Er roch ein wenig daran. Dann entstand eine steile Falte auf der Stirn des jungen Mannes. Er schnupperte zum zweiten Mal an dem holzgeschnitzten Löffel "Sag mal", meinte er dann, ";hast du mit diesem Löffel schon gegessen?" Karl antwortete nicht.
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Zum ersten mal seit langer Zeit erhielt Karlmann wieder ein Lob von seinem Vater. Er neigte den Kopf, als wolle er sich bedanken. "Aber vergiß eins nicht", ermahnte ihn sein Vater. "Als Heerführer oder auch als Majordomus darfst du immer nur das androhen, was du im Ernstfall auch gnadenlos durchsetzen willst und kannst:. Es gibt für einen Herrscher und Anführer keinen größeren Fehler als die leere und kraftlose Drohung."
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"Die Ursache für unseren Streit geht eigentlich auf das Ende des lmperium Romanum zurück", meinte Luitprand. "Ihr wißt ja, wie er Westen einige Jahre nach Alarich und dem Hunnenkönig Attila auch noch seinen letzten Kaiser verloren hat, wie später Theoderich mit den Ostgoten dort herrschte und wie wir dann von der Donau nachgekommen sind. Seit fast zweihundert Jahren gehört Rom zum oströmischen Reich. Aber die Bischöfe von Rom haben sich stets als die Nachfolger Petri und damit als die obersten Würdenträger der Kirche gefühlt."
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Die Männer begannen untereinander zu tuscheln, doch Karl hob die Hand und gebot Ruhe. "Jetzt aber ist der Streit zwischen den Langobarden und dem Papst in Rom so heftig geworden, daß aus der Fehde ein Krieg entstanden ist. In dieser Situation hat mich der Papst mehrfach und schriftlich um Hilfe und Unterstützung gebeten. Aber er geht noch weiter, viel weiter sogar, ihr Herren! Der Papst ist bereit, das Herzognun aus den achtzehn Exarchaten des byzantischen Kaisers herauszubrechen und mir ganz persönlich als dem Majordomus des Frankenreichs zu unterstellen. Damit ihr ganz genau versteht, was das heißt, sage ich es noch einmal: Der Papst und die Römer bieten mir die gleichen Rechte an, die der Kaiser vom Ostrom oder Byzanz bisher in Italien hatte."
Für einen Augenblick herrschte ungläubiges Schweigen am Ufer des kleinen Flusses, doch dann brach ein riesiger Jubel unter den Edlen des Reiches aus.
Lesezitat nach T.R.P. Mielke - Karl Martell