zitiert nach Susan Minot
Also ließ sie den Betthimmel abmontieren. Constance und Margie rollten den weißen Rüschenbezug ein, während sie in ihrem Dior-Nachthemd mit schiefem Kopf, aber aufrecht in dem Sessel am Fenster saß. Constance hatte sich die Haare mit Goldfäden hochgebunden, wie die Kaiserin Josephine, und Margie sah mit ihrem langen Rock und den zotteligen Haaren wie eine Zigeunerin aus. Sie klappten die Holzleisten zusammen wie chinesische Instrumente und zogen die gebogenen Stangen heraus, die über die Pfosten gespannt waren. Als sie wieder im Bett lag, hatte sich das Zimmer geöffnet und sie konnte mehr sehen. Es gab nicht mehr vieles, das ihr offen stand, und das wenige, das noch blieb, wollte sie nicht verpassen. Sie konnte die Oberfenster sehen und den oberen Teil der Wände und die gesamte Decke.
Sie fühlte sich emporgezogen. Sie ließ das Plänemachen und die Fragen über die Zukunft sein und eine seltsame Vorahnung suchte sie heim. Etwas rief sie. Sie hörte etwas auf leisen Pfoten über den Boden des Speichers tapsen. Ein verschwommener Fleck zog am Fenster vorbei, eine Wolke aus
herumwuselnden Schmetterlingen. Sie roch Meerwasser, sie roch verbrannten Zucker. Jemand war am Kuchenbacken. Fingernägel kratzten über die Bambusstreben des Bücherregals. Sie besah sich die Streben ihres Lebens. Erst war sie Ann Grant gewesen, dann Phil Katz' Frau, dann Mrs.Ted Stockpole, dann Ann Lord. Bruchstücke von Dingen trieben hoch, aber was ließ sie hochtreiben? Warum erinnerte sie sich etwa an die Terrasse in Versailles, wo sie nur einmal gewesen war, oder an ein Paar grünweiß karierte Handschuhe, ein Foto von Bäumen in der Stadt bei Regen? Damit wurde ihr doch nur vor Augen geführt, was sie vergessen würde. Und wenn sie sich nicht an diese Dinge erinnerte, wer dann? Wenn sie nicht mehr da war, gab es niemanden mehr, der ihr ganzes Leben kannte. Dabei kannte sie es ja selbst nicht ganz! Vielleicht hätte sie einiges davon aufschreiben sollen
... aber welchen Sinn hätte das schon gehabt? Alles ging vorbei, auch sie würde vorbeigehen. Dieser Gedanke gewährte ihr eine unerwartete Klarheit, die sie fast schon genoss, doch selbst die neue Klarheit brachte keine Erklärung für die Existenz der Welt, die ihr nicht schon vorher bekannt gewesen war.
S. 26-27
Es gab nichts, das sie von der Welt trennte. Der schwarze Himmel bedeckte sie nicht, ganz im Gegenteil, er zog sie beide hoch. Der Himmel bewies, wie weit eine Entfernung sein konnte. Ich gehe unendlich weit, verhieß er, nichts ist in sich geschlossen. Sie war genauso, sie ging unendlich weit. Sie fühlte alles in sich. Gut und schlecht waren gar nicht so verschieden, sie fand sich in beidem gleichermaßen. Nie war sie mehr sie selbst und doch nie so verändert gewesen das ist es, wofür du bestimmt bist dass er weggehen würde, lag in jeder Berührung, und sie ging ohne Vorbehalt, ohne Beweise zu brauchen, auf diese Tatsache zu, sie ging ihr regelrecht entgegen. Er zuckte durch jeden Nerv, lud jeden Nerv elektrisch auf. Nur in den Armen eines anderen Menschen konnte das geschehen.
Einen Moment lang lagen sie still da. Sein Gesicht rieb an ihrem, sie fühlte die ersten rauen Bartstoppeln. Seine Zunge glitt in ihren Mund. Er fand ihre Zunge und saugte daran. Ein Stöhnen stieg ihm tief aus der Kehle. Er hob ihr Kleid und fuhr erst mit den Handflächen ihre Beine hinab und dann mit seinen Fingerknöcheln. Seine dunklen, massigen Schultern bewegten sich, wiegten ihre Hüften. Sein Gesicht lag auf ihrem Bauch. Sie presste ihre Knie gegen ihn. Seine Hände glitten unter sie, zogen an ihrem Schlüpfer, zogen ihn ruckweise bis zu ihren Fesseln hinunter. Sein Gesicht neigte sich herab, und dann war da seine Zunge, nass, glitt in die nasse Ofihung, und in ihrem Kopf zuckten lautlose grelle Explosionen, zuckten die Wirbelsäule hinab und rasten hoch durch
den Hals bis in die Schädeldecke, zerstoben fächerförmig. Sie klammerte sich an seinen Kragen. Seine Hand schoss hoch, strich ihr über Brustkorb und Kinn und Kehle. Er zwang ihren Mund auf und drückte gegen ihre Zähne. Er sah sie von oben bis unten an, stieg dann wie eine Welle hoch und drehte sie um. Ihr Kleid riss irgendwo, sie verlor die Orientierung, ihr linker Arm flog zur Seite. Er schob ihre Knie auseinander. Ein Schuh hing ihr immer noch am Fuß und seine Spitze bohrte sich in die Erde. Sie hielt ganz still. Er zog ihre Schulter zurück und presste sie flach auf die Erde. Es gab etwas in ihr, das er brauchte, darauf war er aus, danach suchten seine Hände. Sie verbog sich wie schmelzendes Glas. Er drehte sie wieder um und starrte herab, über ihr kniend, etwas stieg von ihrer Haut auf, eine Hitze, die sie nie zuvor gespürt hatte. Sie sah ihn seinen Gürtel lösen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, den sie nicht deuten konnte, er war entschlossen und konzentriert und ganz bei sich, als er seine Hose herunterzerrte und sich freikämpfte. In der milden Luft sah sie seine Hüfte, seine Flanke, sein Bein und als Umriss die dunkle Wurzel, steif abstehend von der Silhouette, und wagte es nicht, ihn gleich dort zu berühren. Seine Brust sank warm auf ihre warme Brust, und sie griff nach unten, um ihn zu berühren, und umfasste ihn sacht, und er stöhnte auf eine neue Art und sie griff fester zu. Ihr schwoll die Kehle zu, wurde von Wörtern verstopft, aber jedes gesprochene Wort wäre wie Flugsand gewesen. In ihrem Kopf sah sie verschiedene Arten von Licht, viereckiges Fensterlicht und das vorüberhuschende Scheinwerferlicht in einer Einfahrt, Lichtpunkte an schwankenden Masten und das Blütenblätterlicht unter einer Markise, das minzblaue Licht auf einer Veranda, das Butterblumenlicht des Zeltes, Wolken, von Wolkenlicht erleuchtet, seine Zähne im Dunkeln. Seine Finger in ihr waren wie nasse Wolken. Sie weitete sich, seine zerzausten Haare hoben sich gegen den Himmel ab, er schob ihre Hand beiseite und griff selbst nach sich ....
S. 218-219
zitiert nach Susan Minot - Hochzeitsnacht