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Monika Maron


Animal triste

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Pawels Briefe





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Als ich jung war, habe ich wie die meisten jungen Menschen geglaubt, ich müßte jung sterben. Es war so viel Jugend, so viel Anfang in mir, daß ein Ende sich nur gewaltsam und schön denken ließ; für den allmählichen Verfall war ich nicht bestimmt, das wußte ich genau. Jetzt bin ich hundert und lebe immer noch. Vielleicht bin ich auch erst neunzig, ich weiß es nicht genau, wahrscheinlich aber doch schon hundert. Außer der Bank, wo mein Konto geführt wird, weiß niemand, daß es mich noch gibt.

Einmal im Monat gehe ich an den Bankschalter und hebe eine kleine Summe ab. Ich lebe sehr sparsam. Trotzdem habe ich jedesmal Angst, daß der Schalterbeamte mir sagt, es sei kein Geld mehr für mich da. Ich hatte einige Ersparnisse, kann mir aber nicht vorstellen, daß sie über die vielen Jahre, die ich schon davon lebe, gereicht haben sollen. Vielleicht bekomme ich von irgendwem eine kleine Rente. Vielleicht bin ich aber doch erst neunzig oder sogar noch jünger. Ich kümmere mich nicht mehr um die Welt und weiß darum nicht, in welcher Zeit sie gerade steckt. Wenn ich keine Lebensmittel mehr im Haus habe, gehe ich auf die Straße, um einzukaufen. Manchmal ist Markt, da kaufe ich am liebsten, weil ich unter den vielen Menschen am wenigsten auffalle. (S.9)

Lesezitat nach Monika Maron - Animal triste


Wendezeit
Monika Maron - Animal triste

Monika Maron ist eine Autorin, deren Schreibthema bislang, bedingt durch ihre Biographie, immer das Verhältnis Ostdeutschland - Westdeutschland ist. Sie wurde 1941 in Berlin geboren, ist in der DDR aufgewachsen und 1988 in die Bundesrepublik übersiedelt. Derzeit lebt sie wieder in Berlin.

Ihr neuer Roman "Animal triste" ist ein Liebesroman aus der Zeit der Wende. In einem inneren Monolog erzählt die Paläontologin Vera, deren ganze Leidenschaft dem Skelett des Brachiosaurus gilt, aus ihrem halbwegs geordneten Leben in der DDR, wie sie nach dem Krieg aufwächst, zusammen mit dem Nachbarsjungen "Vater- Mutter- Kind" spielt, wobei die Rolle des Kleinen, mangels anderem tauglichen Spielzeug, von einer toten Ratte übernommen wird. Um Politik will sie sich eigentlich gar nicht kümmern. Und doch greift diese immer wieder vehement direkt in ihre Existenz ein. Den totalen Umbruch in ihrem Leben schafft Franz aus Ulm, der eines Tages, nach dem Fall der Mauer, ebenso begeistert wie sie selbst vor dem Saurier-Skelett steht. Franz ist ihre große Liebe, denn die Erzählerin weiß eines sicher: "Man kann im Leben nichts versäumen als die Liebe." So werden die beiden "ein Liebespaar auf Leben und Tod", aber kein Ehepaar, denn Franz ist bereits verheiratet.

Die Geschichte endet tragisch und wird in langen, rückblickenden Sequenzen erzählt. Während der geliebte Franz eher konturlos bleibt, schildert die Erzählerin ihre Trauer, ihren unendlichen Schmerz auf eindringliche Art und Weise. Sie versinkt dabei in eine Zeitlosigkeit, die sie ihrer Umgebung gegenüber gleichgültig werden läßt. Ihr Lebensinhalt besteht einzig und allein darin, die "Erinnerungen so lange zu feilen und zu schleifen, bis die Versatzstücke am Ende zu einer halbwegs plausiblen Biographie verschraubt werden können; und wir werden uns mit dem fortschreitenden Verfall selbst so lästig, daß wir eines Tages den Tod herbeisehnen können, damit er uns vom Liebsten, was wir im Leben hatten, von uns selbst, erlöst."

"Animal triste" ist ein Buch, das in einer wunderbar klaren Sprache den Schmerz einer verlorenen Liebe auf hundert verschiedene Arten zu nennen sucht, ihn begrenzen möchte und doch immer wieder von ihm überwältigt wird.



Monika Maron - Animal triste
1996, Frankfurt, Fischer Verlag, 239 S.,

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-17-12

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger