Jhumpa Lahiri - Melancholie der Ankunft (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Eine vorübergehende Sache

In der Mitteilung stand, dass es sich um eine vorübergehende Sache handle: Fünf Tage lang slltc ab acht Uhr abends für jeweils eine Stunde der Strom abgestellt werden. Der letzte Schneesturm hatte eine Leitung heruntergerissen, und die milderen Abende sollten dazu genutzt werden, den Schaden zu beheben. Nur die ruhige, von Bäumen gesäumte Straße würde betroffen sein, von der aus man eine Reihe von Läden mit roten Backsteinfassaden und eine Bushaltestelle zu Fuß erreichen konnte. Shoba und Shukumar wohnten dort seit drei Jahren.

"Nett, dass sie uns vorher Bescheid geben", sage Shobar mehr zu sich selbst als zu Shukumar, nachdem sie die Mitteilung laut gelesen hatte. Sie ließ den Riemen ihrer Ledertasche, die sich von den Papieren darin wölbte, von der Schulter gleiten, stellte sie in der Diele ab und ging in die Küche. Sie trug einen marineblauen Popeline-Regenmantel, eine graue Jogginghose und weiße Turnschuhe und sah mit ihren dreiunddreißig Jahren genau wie der Typ Frau aus, der sie früheren Bekundungen zufolge nie hatte werden wollen.

Sie kam aus dem Fitness-Studio. Von ihrem preiselbeerfarbenen Lippenstift waren nur noch in den Mundwinkeln Reste zu sehen, und ihr Eyeliner war unter den Augen schwarz verschmiert. S. 9


Lesezitat nach Jhumpa Lahiri -
Melancholie der Ankunft


Spagat zwischen den Welten
Jhumpa Lahiri - Melancholie der Ankunft

Jhumpa Lahiri - das ist ein neuer Name in der literarischen Welt, den man sich unbedingt merken muss, denn die Tochter bengalischer Eltern, geboren wurde sie in London und lebt heute in den USA, hat mit ihren Erzählungen "Melancholie der Ankunft" enormes literarisches Aufsehen erregt. Wobei Kurzgeschichten nicht zur Lieblingslektüre der meisten Leser gehören.

Doch so ungewöhnlich wie ihr Name, so ungewöhnlich sind auch ihre Geschichten. Dass sie mit dem bedeutenden Pulitzer-Preis 1999 und dem New Yorker Book Award für das beste Debüt ausgezeichnet wurden, erstaunt niemand, der ihre Storys gelesen hat.

Jhumpa Lahiris Thema sind die Menschen, die den schwierigen Spagat zwischen Indien und Amerika wagen.

So wundert sich Mrs. Sen, die aus ihrer Heimat Kalkutta gewohnt ist, zwei Mal täglich frischen Fisch zu essen über die amerikanischen Lebensgewohnheiten. "Im Supermarkt gibt es zweiunddreißig Sorten Katzenfutter in zweiunddreißig verschiedene Dosen, aber einen einzelnen Fisch, den sucht man dort vergeblich." Auch Autofahren, für sie ist es schlicht die "falsche" Straßenseite, fällt ihr schwer. Nach ihrem Unfall gibt sie es erleichtert ganz auf.

Eine der schönsten Erzählungen ist die erste Geschichte "Eine vorübergehende Sache", in der eine junge Frau ihr erstes Kind gleich bei der Geburt verliert. Es dauert lange, und ein einwöchiger abendlicher Stromausfall ist nötig, bis die Ehepartner ehrlich miteinander über diesen belastenden Vorfall sprechen können. Und es kommen Dinge zur Sprache, die am Schluss eine Fortsetzung der scheinbar glücklichen Ehe fast unmöglich machen.

Die besondere Auszeichnung dieser hervorragenden Shortstorys ist, dass die Autorin ihren Personen Leben einhaucht und sie dem Leser so nahe bringt, als hätte er einen ganzen Roman mit ihnen zusammen verbracht. Bei Jhumpa Lahiri tritt nicht der häufig erlebte Fall ein, dass beim Zuklappen des Buches alle Personen schon wieder in Vergessenheit geraten sind.

Und wer jetzt meint, dass er doch lieber einen Roman lesen möchte, der muss sich noch etwas gedulden - er ist in Arbeit, versichert die Autorin. Hoffentlich lässt die Übersetzung nicht lange auf sich warten. Bis dahin: Jhumpa Lahiri, ein Name, den sich Literaturfreunde unbedingt einprägen sollten.



Jhumpa Lahiri - Melancholie der Ankunft
aus dem Englischen von Barbara Heller
Originaltitel: © 1999, "Interpreter of Maladies"
2000, München, Blessing Verlag, 252 S.,

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Wenn Mr. Pirzada zum Essen kam

Im Herbst 1971 kam jeden Abend ein Mann zu uns, mit Süßigkeiten in der Tasche und voller Hoffnung, etwas über Leben oder Tod seiner Familie zu erfahren. Er hieß Mr. Pirzada und stammte aus Dhaka, der Hauptstadt des heutigen Bangladesch, das damals noch zu Pakistan gehörte. In jenem Jahr herrschte in Pakistan Bürgerkrieg. Der Osten des Landes, in dem Dhaka lag, kämpfte um seine Unabhängigkeit von der Regierung im Westen. Im März hatte die pakistanische Armee Dhaka überfallen, in Brand gesetzt und bombardiert. Lehrer waren auf die Straße gezerrt und erschossen worden. Bis zum Ende des Sommers war von dreihunderttausend Toten die Rede. Mr. Pirzada hatte in Dhaka ein zweistöckiges Haus, eine Botanikdozentur an der Universität, eine Frau, mit der er seit 20 Jahren verheiratet war, und sieben Töchter zwischen sechs und sechzehn, deren Namen alle mit A anfingen. ";Eine ldee der Mutter", erklärte er einmal und zog aus seiner Brieftasche ein Schwarzweißfoto von sieben Mädchen mit schleifengeschmückten Zöpfen hervor, die bei einem Picknick mit gekreuzten Beinen nebeneinander aufgereiht saßen und Curryhuhn aus Bananenblättern aßen. "Wie soll ich sie auseinander halten? Ayesha, Amira, Amina, Aziza - Sie sehen, es ist nicht leicht." S. 37
Lesezitate nach Jhumpa Lahiri - Melancholie der Ankunft


© 1.10.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de