uch in seinem Roman "Die Unwissenheit" arbeitet der tschechische Autor Milan Kundera, der seit vielen Jahren in Frankreich lebt und seine Bücher mittlerweile auf französisch verfasst, an seinem Thema: Das Leben im Exil. Selbstverständlich bezieht er die neuen politischen Verhältnisse OstEuropas mit ein, wenn seine Hauptpersonen erstmals, nachdem sie jahrelang im Ausland gelebt haben, die Rückkehr in die Heimat wagen.
Vor zwanzig Jahren folgte Irena ihrem Mann von Prag nach Paris, das erste Kind im Schlepptau, mit dem zweiten Kind war sie bereits schwanger. Sehr früh stirbt ihr Ehemann und sie ist gezwungen, sich mit den beiden Kindern alleine durchzuschlagen, bis sie Gustave, einen erfolgreichen Geschäftsmann, trifft. Als dieser eine Niederlassung in Prag für sein Büro plant, steht einer Reise Irenas in ihre alte Heimat nichts mehr im Wege.
Auf dem Pariser Flughafen begegnet sie Josef, einem ehemaligen Freund aus Prag. Doch während Irena sich an ihre kaum begonnene Liebesgeschichte vor vielen Jahren erinnert, weiß Josef nichts mehr davon. Er lebt heute in Schweden, hat ebenfalls seine Frau verloren und ist dabei, nach langer Zeit wieder seinen Bruder und dessen Familie zu besuchen.
Irena und Josef verabreden sich in Prag zum Essen. Beide sind enttäuscht über ihren Empfang und über die sonderbaren Gespräche mit den alten Bekannten. "Ich hatte vergessen wer sie waren; und sie interessierten sich nicht für das, was aus mir geworden ist. Kannst du dir vorstellen, dass niemand hier mir eine einzige Frage über mein Leben dort gestellt hat? Keine einzige Frage! Nie! Ich habe immer den Eindruck, dass man mich hier um zwanzig Jahre meines Lebens amputieren will."
Irena, die endlich ihr Leben, "so wie es ist, nicht mehr ausbessern, sondern selbst in die Hand nehmen will, um es vollständig umzukrempeln", bietet Josef eine gemeinsame Zukunft an. Doch auch hier stehen zwanzig Jahre zwischen ihnen, die sich nicht wegwischen lassen.
"Die Unwissenheit" ist ein typischer Roman aus der Feder Kunderas. Das Ignorieren, nicht Wahrnehmen der Vergangenheit der Exilanten von den Daheimgebliebenen, ist das Hauptthema des Buches, - im Original "L' Ignorance".
Kundera beschränkt sich nicht nur auf einen interessanten Plot mit differenziert angelegten Protagonisten, der zugegeben in einigen Passagen etwas konstruiert wirkt, er unternimmt mit seinen Lesern ebenfalls wunderbare Exkurse in die Philosophie und Literatur. Sehr gut gelungen sind seine Worterklärungen zu Nostalgie und seine Ausführungen zu Homers Odyssee. Nicht zu vergessen seine klugen Kommentare zur europäischen Geschichte. Sie bildet die allgegenwärtige Oberfläche des Romans.
Gleich Strudeln, die immer tiefer in die Wasserdecke eindringen, lässt Kundera das Leben von Irena und Josef vor diesem Hintergrund verlaufen. Sie berühren sich, verirren sich zwanzig Jahre in unterschiedliche Richtungen, um sich noch einmal zu vereinigen und sich dann endgültig zu trennen.
Ein Buch, das auf viele Arten gelesen werden kann und auch nach mehrmaliger Lektüre immer wieder mit neuen Zusammenhängen überrascht. Die präzise, sehr virtuose Sprache macht es zu einem Genuss. Ein Roman, den man nicht versäumen sollte.
© manuela haselberger