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Straße der Wölfe Gabriele Krone-Schmalz - Straße der Wölfe
Gabriele Krone-Schmalz, langjährige ARD-Korrespondentin in Moskau und Autorin der Bestseller "In Wahrheit sind wir stärker", "...an Rußland muß man einfach glauben", erzählt in ihrem neuen Buch, "Straße der Wölfe" die Geschichte zweier junger Frauen in den dreißiger Jahren in Rußland. Kennengelernt hat sie Anna, eine der beiden, im Sommer 1984. Gebannt lauscht sie der alten Frau, die eher beiläufig aus ihrer Jugend berichtet. Anna reiste mit siebzehn Jahren, zusammen mit ihren Eltern, in die südliche Steppe des Ural. Dort war in Magnitogorsk ein gigantisches Industrialisierungsprojekt geplant. Um es zu realisieren hatten sich die Sowjets, neben einer bunten Mischung junger sowjetischer Bürger, auch internationale Hilfe ins Land geholt. Annas Vater, ein Architekt, der für die "May-Gruppe" arbeitete, gehörte zu diesen ins Land gerufenen Fachleuten. Ernst May, der Gründer, arbeitete im "Bauhaus- Stil", (oberste Gebote waren Funktionalismus und Zeckmäßigkeit) und war mit der Planung von Wohn- und Industrieanlagen beauftragt worden. In der armseligen Baracken-Unterkunft angekommen, freundete sich Anna mit der Holländerin Meike und deren Mann an. Beide arbeiteten ebenfalls als Architekten. Voller Enthusiasmus waren die jungen Menschen dabei in dem rohstoffreichen Gebiet, trotz aller klimatischen Widrigkeiten und den mehr als primitiven Unterkünften, eine Industriestadt aus dem Boden zu stampfen. Gabriele Krone-Schmalz schildert sehr überzeugend die ungeheure Kraftanstrengung und die ungebremste Energie, mit der in den dreißiger Jahren ein solches Projekt in der Sowjetunion angegangen worden war. Allerdings macht sie im Rahmen der Lebensläufe ihrer Personen auch überaus deutlich, welche Belastung es für den einzelnen bedeutete. Etwas trocken sind die eingefügten langen Passagen über die geschichtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe. Lesern, die sich dafür interessieren, wie es zum Scheitern der kommunistischen Ideen kam, sei dieses Buch ans Herz gelegt, denn in den dreißiger Jahren waren die Chancen für Utopien noch in alle Richtungen offen.
Anna ließ sich von der Metropole Moskau in den Bann schlagen, bekam sofort Kontakt zu anderen Architektenfrauen und hatte im Handumdrehen ein vollgepacktes Programm. Den vielfältigen, kulturellen Angeboten konnte sie nicht widerstehen. Zwar beherrschten propagandistische Stücke Schauspiel, Oper und Ballett, aber allein die Auswahl an Klassikern und Neuer Moderne, in hoher künstlerischer Qualität inszeniert und dargeboten, war für en Kunstinteressierten zeitlich gar nicht zu bewältigen. Dennoch war jede Vorstellung bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die ausländischen Spezialisten hatten den Vorteil, auch in so begehrten Spielstätten wie dem Bolschoi-Theater relativ problemlos Karten zu bekommen. Anna nutzte dies.
Schon im November 1928 entschied sich das Politbüro, Magnitogorsk forciert auszubauen. Im September 1930 führte Magnitogorsk eine Liste von vierundfünfzig förderwürdigen Projekten an ... Ganz schön mutig, dachte John, einen solchen Klotz in Auftrag zu geben, ohne die detaillierten Ergebnisse abzuwarten. Aber die Resultate übertrafen zum Glück selbst die optimistischsten Erwartungen. Demnach lagerten in und um Magnitogorsk 228 Millionen Tonnen Erz, zum großen Teil mit einem Eisengehalt von 56 Prozent und mehr. Darüber hinaus fand man ausgedehnte Vorkommen von feuerfestem Ton, Kalk, Kreide, Dolomit, Magnetit, Sand, Manganerz und Granit. Also beste Voraussetzungen für dieses Industriekombinat. Der etwa zehn Kilometer lange unbefestigte Weg schlängelte sich durch die Steppe. Die unfreiwilligen Wanderer orientierten sich teils an schwach erkennbaren Reifenspuren, teils an der über der Stadt thronenden Rauchsäule. Der beschwerliche Marsch kostete sie weitere zwei Stunden. Ein russischer Ingenieur kommentierte bitter: "Zwei Stunden von Tscheliabinsk bis Magnitogorsk, eine Reise, die mit der Bahn zwanzig Stunden dauert - und dann brauchen wir zwei Stunden, um vom Flughafen in die Stadt zu kommen. Das ist bolschewistisches Tempo." Niemand lachte. Und dann passierte etwas Merkwürdiges. Als das Grüppchen aus Russen und Ausländern den Hügel erreicht hatte, von dem man auf Magnitogorsk herunterschauen konnte, machten die Menschen nicht etwa vor Erschöpfung Rast, sondern weil sich trotz des ganzen Ärgers ein Gefühl des Stolzes ausbreitete, das der Ingenieur in Worte kleidete: "ln dieser Einöde, Hunderte von Kilometern vom nächsten Sammelpunkt menschlicher Tätigkeit entfernt - dieses riesenhafte Werk, innerhalb von wenigen Jahren errichtet. Und wir sind dabei." | ||
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