Sibylle Knauss - Evas Cousine (Buchtipp/Rezension/lesen)
... reinlesen




... reinlesen

Hinter München fährt man immer wie durch ein Tor in eine andere Welt. Eine Welt höherer Schönheit, größerer Verheißungen. Beim ersten Blick auf die Berge spürt man es: Die Lust anzukommen, zu bleiben, am nächsten Morgen mit dem Blick auf schneebedeckte Gipfel zu erwachen. Selbst wer nur die Transitpässe benutzt, ahnt etwas davon.

Ich nehme die Ausfahrt Bad Reichenhall. Wer erinnert sich noch daran, welche verführerische Nacht solche Ortsnamen einst über uns hatten Bad Reichenhall . . . Berchtesgaden .. . Unsere Sehnsucht nach dem außerordentlichen Glück, wie man es nur auf Reisen findet, zielte einst dorthin. Wenn man so alt ist wie ich, sieht man, dass die Reisebegierden der Menschen selber auf Reisen sind, dass sie vagabundieren, von hier nach dorthin weiterziehen, über die Alpen, das Mittelmeer, den Atlantik, über die ganze Welt, und der Tross folgt ihnen. Die Tourismusgeschichte des Jahrhunderts, auch ich bin ein Teil davon. Sie beginnt in Berchtesgaden.

Ein Sehnsuchtsziel. Lange vor der Zeit, von der ich erzählen will, kam schon die Mode auf, nach Berchtesgaden zu fahren und, wenn es ging, sich dort heimisch zu machen. Trendsetter unter den Städtern wie Carl Linde, der Eisschränkefabrikant, und Carl Bechstein, Pianos, erwarben Sommersitze dort. Auch, unvorsichtigerweise, ein Fabrikant namens Eichengrün. Konnte er sich eine schlimmere Sommerfrische suchen? Er muss hier glücklich gewesen sein. Es war genau das Glück, das er sich erträumt hatte: Holzbalkone mit Geranien und Alpenglühen vor dem Haus. Er wollte, dass seine Kinder ausreichend gesunde Bergluft einatmeten. Man schwor damals darauf. Es half gegen Tuberkulose, Bleichsucht und andere Übel der Verstädterung. Es half nichts gegen ein Übel, das die Eichengrüns zwang, ein Paar Jahrzehnte später ihr Refugium zu verlassen und Haus weit unter Marktpreis zu verkaufen. Da erst begann die große Zeit von Berchtesgaden. S. 8

Es ist ein seltsamer Ort für touristische Ausflüge im Jahr 1999. Nichts weist auf etwas hin. Keine Gedenktafeln, keine Orientierungshilfen. Nichts klärt darüber auf_ wo man sich befindet. Wer zufällig hierher kommt, vermutet, dass es um den Kehlstein geht. Eine Bergstation, wie es so viele in den Alpen gibt.

Ein Riesenspielzeug. Ein Ding, Millionen Jahre alt, 1939 auf dem fast zweitausend Meter hohen Berg von Besuchern aus dem Weltall abgesetzt. Vielleicht ihr heimliches, als Gipfelhaus getarntes Raumschiff, mit dem sie ganz am Schluss doch nicht mehr abzuheben vermochten? Eine Teeküche, ein Arbeitszimmer für Hitler, die achteckige "Gesellschaftshalle", ein Speisesaal - das kann doch nicht alles gewesen sein. Dafür der vermessene Kraftakt, die Straße den Berg hinauf, achthundert Meter Steigung überwindend, die Sprengungen, Tunnelbauten, die Hangbefestigungen und Brückenkonstruktionen?

Treten Sie ein, genießen Sie den Blick der Nazis. Sagen Sie selbst: Es ist grandios.

S. 12

Wir sagten damals einfach "Berg" .Als Hermann Göring kam, hat er mit sicherer Hand das schönste Stück aus dem Obersalzberger Kuchen an sich gebracht, den Eckerbichl, auch Göringhügel genannt. S. 13


Lesezitat nach Sibylle Knauss - Evas Cousine


Bookinists Buchtipp zu


Hitlers Spionin

von Martha Schad
(Hitlers beste Geheimdiplomatin)




Eva Braun
Sibylle Knauss - Evas Cousine

ls die Autorin Sybille Knauss in einem SPIEGEL - Interview erzählt, dass es sie reizen würde, über die Geliebte Adolf Hitlers ein Buch zu schreiben, erhält sie kurze Zeit später den Anruf einer Frau, die sich als die Cousine Eva Brauns vorstellt. Zusammen mit Eva hat sie einige Zeit auf dem Obersalzberg verbracht.

Dieser Stoff dient als Ausgangspunkt von ,Evas Cousine'. Es entstand ein Roman, der auf Tatsachen beruht und doch in der Handlung frei erfunden ist. Eine spannende Mischung.

Durch die Augen der jungen Frau Marlene betrachtet, zeigt sich die ganze Absurdität des Dritten Reiches. Gerade zwanzig Jahre alt, fällt ihr im Herbst 1944 keine andere Aufgabe zu, als der einsamen Eva Braun die Zeit zu vertreiben.

In der geschützten Alpenfestung spüren die Damen kaum etwas vom Krieg. Nur die allgegenwärtige Anwesenheit Hitlers, er reist zwei Tage vor der Ankunft Marlenes ab, lässt sich nicht verleugnen.

Die Gedanken der beiden Frauen bewegen sich um die richtige Rocklänge, ein Problem mit dem Eva Braun nach wie vor ihre eigene Schneiderin in München beschäftigt, die sie regelmäßig besucht. Immerhin leistet sie sich den Luxus, mehrmals am Tag in völlig neuer Garderobe aufzutreten, während die meisten anderen Frauen in Deutschland schon froh darüber sind, ein ordentliches Paar Schuhe an den Füßen zu haben.

Evas Cousine registriert diese Marotten und Absurditäten, kann sich aber dennoch ihrer Faszination nicht entziehen. Von ihrem Elternhaus weiß sie, dass ihr Vater überhaupt nichts von Hitler hält. Vor ihm hat sie auch den Besuch bei Eva geheim gehalten. Der Empfang ausländischer Sender ist ihr nicht fremd, so nutzt sie das Radio, das sie im Teehaus des Obersalzbergs vorfindet, um sich über den Kriegsverlauf zu informieren. Und eines Tages versteckt sie dort einen jungen Ukrainer, den sie bis Kriegsende mit Nahrung versorgt. Eine äußerst gewagte Aktion.

Der Jahreswechsel 1944/1945 wird mit einem rauschenden Fest begangen. Von Lebensmittelknappheit ist am Obersalzberg nichts zu spüren. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird auf den Endsieg angestoßen und Marlene verliebt sich in einen hohen Offizier.

Durch die vielen Facetten, die Sybille Knauss ihrer Protagonistin gibt, schildert sie dem Leser ein sehr plastisches Bild über die allgegenwärtige Banalität des Bösen. Über die Frau an Hitlers Seite, die er erst kurz bevor sie sich beide das Leben nehmen, heiratet, gibt es in der Literatur wenig Informationen. Sybille Knauss verleiht dieser berühmten Geliebten Leben. Ihre Kunst im Beleidigtsein, oder beispielsweise das endlose nervöse Warten auf einen Anruf Hitlers. ""Eine Telefonliebe. Es kommt darauf an, dass er anruft. Das Gespräch bringen wir so gut es geht hinter uns. (Was machst du? Ich lasse töten. Und du?)" Natürlich nur ein ironisches Gedankenspiel. Aber von der Realität nicht weit entfernt.

Der sehr unterkühlte und nüchterne Stil des Buches erlaubt keine ldentifikation mit den Figuren, doch die schillernden, nicht einfachen Charaktere der beiden Frauen werden so sehr gut getroffen. Eine Romanbiografie, die sich lohnt zu lesen. © manuela haselberger


Sibylle Knauss - Evas Cousine

© 2000, München, Claassen Verlag, 367S., 21 €
© 2002, München, Ullstein Verlag, 367 S, 8.95 € (HC)
© 2001, München, Econ Verlag, 4 Cds, 24 €, (CD)
© 2001, München,Econ Verlag, 3 MusikCass, 24€, (MC)






Evas Cousine
als Audiobook von
Sibylle Knauss:

4 CDs bestellen

Audiobook auf CDs

...eine neue
Dimension...

vorlesen lassen


Audiobook auf Hörcassetten

...eine neue
Dimension...

vorlesen lassen

Evas Cousine
als Audiobook von
Sibylle Knauss:

3 MCs bestellen


Fortsetzung des Lesezitats ...

Die hohe Treppe, die zur Empfangsterrasse führte: Wir hatten Göring und Ribbentrop gesehen, Bormann, Himmler, Goebbels, Speer, wie sie sie emporstiegen, den Blick nach oben gerichtet, wo sie nach rechts zwischen den Kolonnaden verschwanden, unter denen man den Eingang zum Haus vermutete. S. 36

Von tief unten sahen wir sie die Treppe beschreiten, die steil und ausladend wie zu einem nicht für Sterbliche gemacht, außer wenn sie sich in der Absicht nähern, anzubeten, ihre Gaben darzubringen oder eine höhere Weisung entgegenzunehmen. Und da stand er, der Hausherr, sah, wie ihre Gesichter sich vor Anstrengung röteten, hörte das Keuchen, das sich ihrer Brust entrang. Sie waren stets außer Atem, wenn sie vor ihm standen. Er ganz bei sich, seelenruhig. S. 36

Selbst Chamberlain ging er nur bis zur obersten Stufe der Freitreppe entgegen. Der alte Gentleman, fast siebzig, hatte zum ersten Mal in seinem Leben ein Flugzeug bestiegen, um Hitler in jeder Weise entgegenzukommen, und, noch etwas benommen von seiner Kühnheit, seinem beherzten Schritt ins neue Zeitalter, fand er sich am Fuße der Treppe, Hitler weit über sich in der unerwarteten Pose des Zuwartenden, ungeduldig, als könne er davon ausgehen, dass man sich etwas mehr beeilt, wenn er zu sich gebeten hat. Und noch während der Brite um das schmale Lächeln rang, das er für die Fotografen bei solcher Gelegenheit zur Schau zu tragen pflegte - für dieses Ma! ließ man sie auch auf die Eingangsterrasse -, hatte Hitler ihm schon wieder den Rücken zugewandt, mit einer sparsamen Geste, einem Ausschwenken der rechten Hand nach hinten, das seltsam schlaff und unentschieden ausfiel, wie es seinen Gesten überraschenderweise häufig eigen war, seinem Gast bedeutend, dass er ihm folgen möge, wenn er denn auf der Unterredung bestehen wolle. *an sollte mit niemandem ein Appeasement versuchen, der an einem solchen Ort empfängt.

Wer zu Hitlers Berghof kam, ließ sich zunächst auf den Trick mit der Treppe ein. S. 37

Ich wusste, dass Hitlers Wohnhalle auf dem Berghof in ihren Ausmaßen gigantisch war, von dunkel geäderten Marmorstufen in zwei Ebenen unterteilt, Ton denen1e tte ere zum Tal hin vor dem großen Fenster lag, so dass es dem Gast, der von oben her eintrat, den Atem verschlug und er begriff, wie die Welt für den aussieht, dem sie zu Füßen liegt. Ich kannte auch den Kamin an der Stirnseite, von demselben Marmor gerahmt, aus dem die Stufen waren. Die schwere braune Holzdecke kannte ich, aus wuchtigen Kassetten bestehend, vielfach abgesetzt, mit den zwei riesigen Lüstern, die in jedem Teil der Halle von ihr herabhingen, kreisrund, einen dichten Kranz von hohen Glühbirnenkerzen tragend. ...

O, Eva passte in dieses Bild. Sie passte in diese Halle. Ich wusste es, bevor ich sie dort sah. Ihr Erbauer hatte Sinn fürs atmosphärische Detail bewiesen. Die Gemälde an den Wänden in ihren schweren Goldrahmen, die Feuerbachs, der Bordone, wirkten demgegenüber wie ein Zugeständnis an eine mehr oder weniger fremde Zivilisation. Wie Beutestücke, die im Palast ausgestellt sind, damit man sieht: Auch dies ist sein, des Eroberers.

Hitlers Wohnzimmer, nichts anderes war es. Der Ort, an dem er bei sich war. 285 Quadratmeter groß, ausgestattet mit Sofas und Sesseln, um es sich bequem darin zu machen. Die wohnlich möblierte Zone seiner privaten Welt. S. 38-40

"Der Führer möchte auch gerne, dass du kommst."

Ich irrte mich nicht. Das hatte sie wirklich gesagt. Und jedes Mal, wenn ich es für mich wiederholte, bekam es mehr Gewicht, wurde unwiderstehlicher.

Er muss in den nächsten Tagen weg, hatte sie gesagt. Irgendein grässlicher Ort irgendwo in Ostpreußen, wo er näher am Krieg ist. Er macht sich Sorgen um mich, wenn ich so viel allein bin . . .

Er machte sich Sorgen. Er wollte für seine Mätresse eine Gespielin. Mich. Dies war mein Kriegseinsatz. S. 43

So fand ich Eva, als ich am fünfzehnten Juli !944 nach Berchtesgaden kam. S. 67

Am 13. Juli 1944 verließ Hitler den Berghof. S. 70

Meine Cousine Eva, halb ohnmächtig vor Hoffnung, dass er noch einmal zurückgekehrt sei, um sich von ihr zu verabschieden, was er bereits genauso gnadenlos beiläufig entschlossen war, sich auf der Stelle nach seiner Abreise das Leben zu nehmen, damit er zurückkehren müsse, in Klagen ausbrechen, sie, sei es drum, schon tot in seine Arme reißen, um einmal - ein einziges Mal - den leidenschaftlichen Abschiedsgruß sprechen, den sie nie zu hören bekam - S. 71

Sie war beleidigt. Eine große Begabung eignete ihr, beleidigt zu sein. In allem war sie maßvoll, vernünftig, durchschnittlich. Nur im Beleidigtsein war es ihr gegeben, jedes Maß zu sprengen. Darin war sie außerordentlich. Und in Hitler hatte sie ihren Meister gefunden, der Anlass dazugab, in großem Maßstab beleidigt zu sein.

Er war selten zu Flause, hatte wenig Zeit für sie, ließ sich gern und vorzugsweise mit anderen Frauen sehen: Magda Goebbels, Winifred Wagner, Annie Ondra, Leni Riefenstahl. . . Frauen, Jenen meine Cousine in keiner Hinsicht gewachsen war. Er vernachlässigte sie, wenn auch nicht sicher war, dass er sie betrog. Ich vermute sogar eher, dass er ihr treu war. Doch Gelegenheit, beleidigt zu sein, gab es genug. In Berlin musste sie einen Hinteraufgang zu den privaten Räumen in der Reichskanzlei benutzen. Am Obersalzberg hatte sie sich In Luft aufzulösen, wenn offizielle Besucher angesagt waren. Nur im allerengsten Kreis durfte sie sich sehen lassen. Auf Reisen nahm er sie nicht mit. S. 73

Selbst wenn man zu dieser Zeit, im März 45' noch mit dem Zug durch Deutschland hätte fahren können - was man nicht konnte, nirgendwo war man so gefährdet wie auf den Bahnlinien, unsere Feinde griffen sie nicht nur mit Bomben, sie griffen sie mit Tieffliegern und Bordkanonen an - selbst wenn ich auf die Art mein Leben riskiert hätte, um nach Hause zu gelangen, ich hätte mir nicht einmal eine Fahrkarte am Bahnhof kaufen können. Ich glaube nicht, dass Eva sich das bewusst gemacht hat, als sie mich allein auf dem Berg zurückließ, um zu Hitler zu fahren. Es war nicht ihre Gewohnheit, sich allzu konkret die Konsequenzen ihrer Handlungweise vorzustellen. Nicht, wenn es nicht sie betraf und den Mann, um den ihr alles ging. S. 296

Am 1.Mai sind die Plünderer auf einmal mitten unter uns. Sie kommen auch in die Bunker hinunter und dringen in die privaten Kavernen ein, wo wir sind. Niemand verwehrt ihnen mehr den Zutritt. Sie kommen mit Taschen, mit Jutesäcken, mir Koffern. Sie packen alles ein, Lebensmittel, Geschirr, Bestecke, Tischdecken, sie ziehen die Betten ab, in denen wir bisher geschlafen haben, sie schrauben die Armaturen in den Bädern ab, die Klodeckel, ja, sie klopfen die Kacheln von den Wänden, rollen die Teppiche ein, schneiden die Telefone von den Leitungen, tragen das Grammophon fort, Schallplanen, Bücher, in Windeseile beginnen sie damit, Evas Kleiderschränke auszuräumen, bis auch ich mich unter sie mische. Auf einmal bin auch ich eine Plünderin unter Plünderern. Ich nehme mir, was ich brauche, bevor es andere tun. Und das ist es wahrscheinlich- Das ist das Gesetz des Handelns, das jetzt herrscht. Es ist nichts anderseits eine neue An des Kofferpackens. Die anarchistische.

Wir haben erfahren, dass Hitler nicht mehr lebt.

Ein großes Abreisen hat eingesetzt. Ein großes Forttragen, das nur auf den ersten Blick planlos und ungesteuert wirkt. Schon bald erkenne ich neue Befehlshierarchien, ganz unerwartete.

Am Kopf der großen Berghoftreppe steht eines der Hausmädchen und kommandiert den Abtransport von Möbelstücken aus dem Haus. Ich kenne es als verschüchtert, ängstlich bemüht, nicht durch Ungeschicklichkeit aufzufallen. Unsichere Augen. Gesenkter Kopf.

Das alles ist jetzt von ihr abgefallen. Mit großer Entschiedenheit lenkt sie die Ereignisse. Auch die Hausverwaltersfrau hört auf ihr Kommando. Mich kennen sie beide gar nicht mehr. S. 356

Lesezitate nach Sibylle Knauss - Evas Cousine


© 10.12.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de