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"Wo ist Jule", fragt Ma und streicht die Marmelade so dünn auf die Weißbrotscheiben, dass kaum was Rotes zu sehen ist. "Wenn sie sich heute nicht in die Schule bequemt, wird Wachtmeister Rusk hier aufkreuzen, bevor ich mit dem Frühstücksgeschirr fertig bin." "Der kann ruhig kommen, Ma", sagt Charleen. ''Er findet Jule nicht, und selbst wenn, dann kann er sie nicht zwingen in der Schule zu bleiben. Höchstens, wenn er sie an Miss Hambles Schreibtisch bindet." Ich habe mich draußen versteckt, auf der inneren Veranda, und beobachte die anderen durchs Fenster. Meine Finger liegen auf dem rauen Holz. S. 7
Die Leute hier behandeln uns wie Fremde. Wir kriegen nur Besuch von der Schule und von Wachtmeister Rusk, der für Schulschwänzer zuständig ist, und von der Frau, die Mas Teppiche an Hüte und Kiefernnadelkörbe in der Stadt verkauft. Aber einfach so zu Besuch kommt niemand. S. 14
Mir fällt auf, dass Pa immer einen Grund hat, dabei zu sein, wenn ich meinen Unterricht bekomme, und ich Überlege, ob er genauso wenig lesen kann wie ich. Wenn Pa nicht lesen kann, vielleicht gibt's dann auch für mich keine Hoffnung. Vielleicht ist bei uns beiden irgendwas nicht in Ordnung und wir werden es nie lernen. S. 57


Lesezitat nach Karen Hesse - Nennt mich einfach Jule


Nennt mich einfach Jule
Karen Hesse - Nennt mich einfach Jule

Jule ist neun und macht sich nicht viel aus der Schule, und, ehrlich gesagt, die Schule macht sich auch nicht viel aus ihr. Warum soll sie denn dann ausgerechnet auch noch regelmäßig zum Unterricht gehen?

Viel lieber verbringt sie die Tage mit ihrem Papa. Der ist in letzter Zeit, seit er keine Arbeit hat, sehr traurig. Darum heitert ihn Jule bei ihren Spaziergängen ein wenig auf. Mama hat mit dem neuen Baby im Bauch genug um die Ohren und Jules vier andere Schwestern halten sie auch ganz schön auf Trab.

Hin und wieder kommt Wachtmeister Rusk vorbei und bringt Jule persönlich zur Schule, denn so einfach daheim bleiben darf man natürlich nicht.

Jule wiederholt bereits ihre Klasse, das ist kein Wunder. Wenn ihre neue Lehrerin/ Miss Hamble sie lesen lässt, fallen ihr immer neue Tricks und Kniffs ein, sich vor den verhassten Buchstaben zu drücken. Sie schafft es einfach nicht, die blöden Zahlen und verschnörkelten Linien, die A und 0 heißen sollen, zu entziffern. Bis zu dem Tag, als die Geburt des neuen Babys bevorsteht und kein Mensch weit und breit ist. Jetzt muss Jule ganz allein für ihre Mama den Diabetes-Wert ablesen. Und es ist für die Mutter lebenswichtig, dass sie dabei keinen Fehler macht, das weiß Jule genau.

Karen Hesse erzählt sehr warmherzig von den Schwierigkeiten beim Lesen lernen und packt dabei auch sehr selbstverständlich ein tabuisiertes Thema an, den Analphabetismus. Denn auch Jules Vater kann nicht lesen. Weil er alle Briefe der Behörden ignoriert, entwickeln sich für die Familie ein Berg von Missverständnissen. Doch Jule lässt sich nicht unterkriegen, sie nimmt den Kampf mit den Buchstaben auf und ,wird auch ihrem Vater zeigen, dass dies gar nicht so schwer ist. Wie das unkomplizierte, praktisch veranlagte Mädchen ihr Leben anpackt und eine Menge Optimismus verbreitet, ist bewundernswert.

Eine leicht lesbare, sehr unterhaltsame Geschichte einer reichlich ungewöhnlichen, aber sehr sympathischen Familie.

Lesealter ab 9 Jahren



Karen Hesse - Nennt mich einfach Jule
© 1998, "Just Juice"
aus dem Amerikanischen von Heike Brandt
Zeichnungen von Heike Vogel
2000, München, dtv, 123 S.,

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 15.6.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger