»Wir brauchen jemand Neues, Mr. Lake, und wir glauben, dass Sie dieser Jemand sind.«
Lake unterdrückte ein Lachen, indem er erst lächelte und dann hustete. Er überspielte seine Verblüffung und sagte:
»Sie wissen scherzen.«
»Sie wissen, dass ich nicht scherze«, sagte Teddy ernst, und nun gab es keinen Zweifel mehr, dass Aaron Lake in eine geschickt gestellte Falle gegangen war.
Lake räusperte sich und fand seine Fassung wieder. »Also gut. Ich höre. «
»Es ist ganz einfach. Das Schöne an unserem Plan ist seine Einfachheit. Sie sind zu spät dran, um sich in New Hampshire zur Wahl zu stellen, aber das macht gar nichts. Sollen die anderen sich dort zerfleischen. Wir warten, bis die Vorwahl dort gelaufen ist, und dann überraschen Sie die Nation mit der Bekanntgabe Ihrer Kandidatur. Viele werden fragen: »Wer zum Teufel ist eigentlich Aaron Lake?« Und das ist gut. Das ist genau da., was wir wollen. Sie werden nämlich sehr schnell erfahren, wer Sie sind.
Für den Anfang wird Ihr Programm nur aus einem einzigen Punkt bestehen: Ihrer Haltung zum Rüstungsbudget. Sie werden den Teufel in die an die Wand malen und allerlei düstere Aussagen darüber machen, wie sehr unsere Streitkräfte geschwächt werden. Und die allgemeine Aufmerkmerksamkeit ist Ihnen gewiss, wenn Sie eine Verdoppelung der Rüstungsausgaben fordern.
S. 30
Die Abteilung für juristische Fachliteratur nahm genau ein Viertel der Fläche der gesamten Bibliothek in Trumble ein. Sie befand sich in einer Ecke, die mit Glas und einer unverputzten Ziegelsteinmauer abgetrennt war. Das Ganze war sehr geschmackvoll ausgeführt und mit Steuergeldern bezahlt worden. In dieser juristischen Bibliothek waren Regale voller häufig benutzter Bücher so dicht aneinander aufgestellt, dass man sich kaum dazwischen hindurchzwängen konnte. Entlang der Wände standen Tische mit Schreibmaschinen, Computern und so vielen Bergen von Papier, dass man sich in eine große Kanzlei versetzt fühlte.
In der juristischen Bibliothek regierte die Bruderschaft. Selbstverständlich stand der Raum allen Insassen zur Verfügung, doch es gab ein ungeschriebenes Gesetz, das besagte, dass man die Erlaubnis der Richter brauchte, um sich dort aufzuhalten. Nun ja, vielleicht musste man sie nicht gerade um Erlaubnis fragen - aber wenigstens in Kenntnis setzen.
Richter Joe Roy Spicer aus Mississippi bekam vierzig Cent pro Stunde dafür, dass er den Boden fegte und die Tische und Regale in Ordnung hielt. Er leerte auch die Papierkörbe und stand in dem Ruf, diese niederen Arbeiten äußerst nachlässig zu verrichten. Richter Hatlee Beech aus Texas war offiziell der Bibliothekar der juristischen Abteilung und wurde mit fünfzig Cent pro Stunde am besten bezahlt. Er wachte mit Argusaugen über »seine Bücher« und stritt sich oft mit Spicer über dessen Arbeitsauffassung. Richter Finn Yarber, ehemals Oberrichter am Obersten Gerichtshof von Kalifornien, bekam als Computertechniker zwanzig Cent pro Stunde. Sein Lohn war deshalb so niedrig, weil er so wenig von Computern verstand.
Gewöhnlich verbrachten die drei sechs bis acht Stunden täglich in der juristischen Bibliothek. Wenn einer der Insassen ein juristisches Problem hatte, vereinbarte er einfach einen Termin mit einem der Richter und suchte ihn dort auf. Hatlee Beech war Experte für Strafmaße und Berufungen. Finn Yarber kümmerte sich um Konkursverfahren, Scheidungen und Sorgerechtsfragen. Joe Roy Spicer besaß keine formale juristische Ausbildung und hatte daher auch kein Spezialgebiet. Er wollte kein Spezialgebiet. Er schrieb die Briefe.
Strenge Regeln verboten es den Richtern, für ihre Beratungen ein Honorar zu verlangen, doch strenge Regeln bedeuteten wenig. Immerhin waren sie ja alle verurteilte Verbrecher> und wen störte es schon, wenn sie ein bisschen nebenbei verdienten? Am meisten brachten die Strafmaße ein. Bei etwa einem Viertel der Neuankömmlinge in Trumble enthielt die Urteilsbegründung juristische Fehler. Beech konnte sich eine Akte über Nacht vornehmen und etwaige Schlupflöcher finden. Vor einem Monat war es ihm gelungen, für einen jungen Mann, der fünfzehn Jahre bekommen hatte, vier Jahre herauszuschinden. Dessen Familie hatte nur zu gern bezahlt, und so hatte die Bruderschaft ihr bisher höchstes Honorar verdient: 5000 Dollar. Spicer hatte über ihren Anwalt in Neptune Beach eine Überweisung auf ihr geheimes Konto arrangiert.
Am hinteren Ende der juristischen Bibliothek befand sich ein kleines Besprechungsziinrner, dessen verglaste Tür hinter Regalen verborgen und daher vom Hauptsaal aus kaum zu sehen war. Es interessierte sich ohnehin niemand dafür, was dort geschah. In diesen Raum zogen sich die Richter zurück, wenn sie vertrauliche Dinge zu besprechen hatten. Sie nannten ihn das Richterzimmer.
Spicer hatte soeben Besuch von ihrem Anwalt gehabt, der ihm Post gebracht hatte - ein paar wirklich erfreuliche Briefe. Er schloss die Tür, zog einen Umschlag aus einem Schnellhefter und zeigte ihn Beech und Yarber. »Gelb«, sagte er. »Ist das nicht hübsch? Ein Brief für Ricky.«
»Von wem?« fragte Yarber.
»Von Curtis aus Dallas.«
»Ist das der Bankier?« fragte Beech aufgeregt.
»Nein. Curtis ist der mit den Schmuckgeschäften. Hört zu.« Spicer faltete den auf weichem, gelbem Papier geschriebenen Brief auseinander und las ihn vor: »Lieber Ricky! Dein Brief vom 8. Januar hat mich zum Weinen gebracht. Ich habe ihn dreimal gelesen, bevor ich ihn aus der Hand legen konnte. Du armer Junge! Warum lassen sie dich nicht raus?«
»Wo ist Ricky? « fragte Yarber.
»Ricky sitzt in einer teuren Drogenklinik, die sein reicher Onkel bezahlt. Er ist jetzt seit einem Jahr da drin, dean und völlig geheilt, aber die bösen Leute von der Klinik wollen ihn erst im April rauslassen, weil sie 20000 Dollar pro Monat von seinem Onkel kriegen, der ihn hinter Schloss und Riegel haben will und ihm kein Taschengeld schickt. Weißt du das etwa nicht mehr?«
»Jetzt fällt's mir wieder ein. «
Wir haben doch gemeinsam an der Geschichte gefeilt. Darf ich jetzt weiterlesen? «
»Bitte «
Spicer fuhr fort: »Am liebsten würde ich auf der Stelle kommen und diese verbrecherischen Leute zur Rede stellen. Und deinen Onkel ebenfalls. Was für ein Versager! Reiche Leute wie er denken immer, wenn sie Geld schicken, brauchen sie sich nicht selbst zu kümmern.
S. 37-39
»Meine Bitte ist ein bisschen ungewöhnlich. Ich möchte Sie um die Begnadigung von drei Häftlingen in einem Bundesgefängnis bitten. «
Der Präsident hörte auf zu kauen und zu lächeln - nicht vor Schreck, sondern aus Verwirrung. Eine Begnadigung war gewöhnlich eine simple Angelegenheit, es sei denn, es handelte sich um einen Spion, einen Terroristen oder einen straffällig gewordenen Politiker. »Spione?« fragte der Präsident.
»Nein, Richter. Einer ist aus Kalifornien, einer aus Texas und einer aus Mississippi. Sie sitzen ihre Strafe in einem Bundesgefängnis in Florida ab.«
» Richter? «
»Ja, Mr. President.«
» Kenne ich sie? «
»Ich bezweifle es. Der aus Kalifornien war früher Oberrichter am dortigen Obersten Gerichtshof. Er wurde abgewählt und hatte ein bisschen Ärger mit dem Finanzamt. «
»Ich glaube, ich erinnere mich.«
»Er wurde wegen Steuerhinterziehung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er zwei abgesessen hat. Der aus Texas war ein von Reagan eingesetzter Bundesrichter. Er ist betrunken mit seinem Wagen durch den Yellowstone Park gefahren und hat zwei Wanderer überfahren und getötet. «
»Ich kann mich dunkel daran erinnern.«
» Das war vor mehreren Jahren. Der aus Mississippi war Friedensrichter und hat Einnahmen aus Bingospielen veruntreut. «
»Das muss mir irgendwie entgangen sein. «
Sie schwiegen lange und bedachten die Implikationen. Der Präsident war verwundert und wusste nicht, was er sagen sollte. Teddy hingegen wusste nicht, was nun kam, und so beendeten sie das Mahl schweigend. Keiner von beiden wollte ein Dessert.
Die Bitte war leicht zu erfüllen, jedenfalls für den Präsidenten. Die Häftlinge und ihre Opfer waren praktisch unbekannt. Etwaige Folgen der Begnadigung würden kurz und schmerzlos sein, besonders für einen Politiker, der in weniger als sieben Monaten aus dem Amt scheiden würde. Man hatte ihn schon zu weit problematischeren Begnadigungen gedrängt. Die Russen machten eigentlich ständig Druck, damit ein paar Spione freigelassen wurden. In Idaho saßen zwei mexikanische Geschäftsleute wegen Drogenhandels ein, und jedes Mal wenn irgendein Vertrag verhandelt wurde, kam das Thema Begnadigung auf den Tisch. Und es gab einen kanadischen Juden, der wegen Spionage lebenslänglich bekommen hatte und den die Israelis unbedingt freibekommen wollten.
Drei unbekannte Richter? Der Präsident konnte drei Unterschriften leisten, und die Sache wäre erledigt. Und Teddy wäre ihm etwas schuldig.
Es war im Grunde ganz einfach, aber das war kein Grund, es Teddy zu leicht zu machen.
»Ich bin sicher, es gibt gute Gründe für diese Bitte «, sagte der Präsident.
»Natürlich.«
»Berührt diese Sache die nationale Sicherheit?«
»Eigentlich nicht. Es geht um einen Gefallen, den ich alten Freunden schulde.«
»Alten Freunden? Kennen Sie diese drei Männer?«
»Nein. Aber ihre Freunde.«
Das war so offensichtlich gelogen, dass der Präsident beinahe nachgehakt hätte. Wie konnte Teddy Freunde von drei Richtern kennen, die zufällig im selben Gefängnis saßen?
Aber wenn er versuchte, Teddy Maynard ins Kreuzverhör zu nehmen, würde nichts dabei herauskommen. Diese Blöße wollte der Präsident sich nicht geben. Er würde nicht um Informationen betteln, die er nie bekommen würde.
S. 407
Lesezitate nach John Grisham - Die Bruderschaft