Ramón Díaz Eterovic - Engel und Einsame (Buchtipp/Rezension/lesen)
Lesezitat




Lesezitat

Und dann plötzlich Schweigen. Was sollte ich sagen. Allein in einer dieser Stunden, in denen das Geräusch der auf der Straße vorbeifahrenden Fahrzeuge sich durch die Wände der Wohnung fräst und die dunstige Luft der Stadt am Fendtrer hängt, von dem aus ich immer das Treiben in den Ecken und Winkeln des Stadtteils, das Kommen und Gehen der Bewohner beobachte, die, von Erinnerungen und dem kleinen alltäglichen Elend beladen, nicht aufgeben.

Eine Viertelstunde lang hatte ich den Umschlag nun schon angestarrt, der auf dem Schreibtisch neben dem von Kippen überquellenden Onyxaschenbecher und dem vertrauten Wodkaglas lag. Was sollte ich sagen. Um den Schreibtisch herum eine wilde Jagd von Gespenstern, und unvermittelt tauchte aus der Erinnerung scharf wie ein Messer das Bild dieser Frau auf. Das Glas, die Kippen; die Anziehungskraft des Umschlags, der mich still daliegend aufforderte, sein Inneres zu erforschen. Auf einer Seite mein Name, Heredia; auf der anderen drei Buchstaben, die Initialen, die mich zurück in eine Nacht vor fünf Jahren führten, in der ich diese Frau kennengelernt hatte.

Schön war sie gewesen und unweigerlich flüchtig wie alle, die ich über ein zufälliges Treffen hinaus mit zu mir nahm. Ich faßte den Umschlag, hielt ihn in dem Fingern und spielte mir ihm, als wäre er nach einer Pechsträhne die entscheidende Glückskarte. Was konnte ich Neues sagen? Wahrscheinlich würde sich nichts zwischen uns ändern. Die Briefmarken trugen den Stempel von Buenos Aires, und ich stellte mir vor, daß darin noch eine dieser Postkarten mir Reproduktionen von Bildern stecken würde, die wir beide liebten. Chagall, Hopper, Boticelli. Ihre Frage: Wie geht's dir? S. 7-8


Lesezitat aus Ramón Díaz Eterovic - Engel und Einsame


Engel und Einsame
Ramón Díaz Eterovic - Engel und Einsame

Wenn der chilenische Gelegenheits - Detektiv, Taxifahrer und Geldeintreiber Heredia geahnt hätte, dass er seine ehemalige Geliebte, die Journalistin Fernanda, nicht mehr wieder sehen würde, hätte er schneller auf ihren Brief reagiert.

Fernanda liegt tot in ihrem Hotel - eine Überdosis hat sie das Leben gekostet.

Heredias Nachforschungen ergeben, dass sie an einem brisanten Bericht über geheime Waffenproduktionen in Chile gearbeitet hat. Er wird nicht ruhen, bis der Mord an seiner Freundin aufgeklärt ist.

Bei uns ist der vielfach literarisch ausgezeichnete chilenische Autor noch ein Geheimtipp, der es lohnt, entdeckt zu werden.

Ramón Díaz Eterovic - Engel und Einsame
aus dem Chilenisch-Spanischen von Maralde Meyer-Minnemann
Originaltitel: © 1995, "Angeles y solitarios"
© 2000, Zürich, 331 Seiten, Diogenes, 19.90 €
© 2003, Zürich, 331 Seiten, Diogenes,  9.90 €


Fortsetzung der Lesezitat ...

"Mach den Umschlag auf! Du liebst es doch, Briefe zu bekommen und mit ihnen in der Tasche herumzuwandern und dir vorzustellen, daß dich jemand mag. Oder hast du Angst?" S. 10

Sie war nackt, ihre Beine ragten unter dem unteren Rand des blauen Tuches hervor, das sie bedeckte. Ich glaubte, einen Hauch ihres nach Waldkräutern und Limone duftenden Parfüms wiederzuerkennen. Ihr Gesicht drückte Müdigkeit aus, was ihre Züge und die vollkommene Dimension ihres Mundes hervorhob. Ich erinnerte mich an jene Nächte, in denen ich ihr zusah, wie sie ihre Artikel schrieb, unermüdlich die Tasten ihrer alten Smith-Corona anschlug. S. 25

"Im Augenblick kann ich dir den Grund nicht sagen, aber etwas stimmt nicht an ihrem Tod. Wenn du mir etwas Zeit gibst . . ." - "Der Tod deiner Freundin wird in den Akten als Selbstmord geführt, und bislang gibt es nichts, was mich das anders sehen ließe. Wenn ich zu dir gekommen bin, dann nur, weil ich dachte, du könntest mir über ihre Art, ihre Arbeit oder ihre Freundschaften etwas sagen."

"Ist ihre Familie benachrichtigt worden?" - "Niemand wußte, daß sie im Lande war. Es scheint so, als habe sie sich mir ihrem Vater nicht besonders gut verstanden. Ich habe ihn gesprochen, und er schien nicht sehr betroffen zu sein. Er stellte ein paar Fragen und wollte dann seinen Privatsekretär schicken, damit er sich um die Beerdigung kümmert." S. 31

Im Zusammenhang mit dem Irangate-Skandal, schrieb Fernanda, mußten die Vereinigten Staaten ihre Vorsichtsmaßnahmen bei der Lieferung von Waffen an Länder verstärken, die in Kriege verwickelt waren und nicht über für langfristige Konfrontationen geeignete Waffen verfügten. Die Belieferung von Konfliktherden ist für das Überleben ihrer Kriegsindustrie unabdingbar - auch wenn sich seit dem Ende des Kalten Krieges Opposition dagegen regt. Deswegen und weil der Schein im Konzert der Weltpolitik wichtig ist - manchmal macht man sogar Geschäfte mit allen an Konflikten beteiligten Ländern -, sehen sich die USA gezwungen, ein kompliziertes Netzwerk für den Waffenhandel zu schaffen Die Anordnungen kommen weiterhin aus Washington, obwohl ein Teil ein Teil der Waffen in anderen Ländern hergestellt wird. Beispielsweise in den Ländern Asiens, die hochwertige Technologien entwickelt haben, und sogar in Ländern Südamerikas wie in Chile, das unter der Militärdiktatur Pinochets zu einem der weltweit führenden Waffenhersteller wurde, für dessen Produktion sich verschiedene arabische Länder interessieren.

"Was weißt du über Waffen?" fragte ich Simenon, der wieder neben mir saß und sich die Pfoten mit besonderer Hingabe leckte.

"Nichts", antwortete er vollkommen uninteressiert. "Und Fernanda? Normalerweise schrieb sie Kolumnen über Gesundheit, Diäten und attraktive Urlaubsreiseziele. Wieso diese Veränderung? S. 34-35

Santiago hüllte seinen dunstigen Himmel in Dunkel: Im Westen ein roter Fleck am Horizont über den schwarzen Umrissen der Kirchen und Gebäude, im Osten ein letzter Widerschein auf der Kordillere, und vor mir verwandelte sich die Avenida Los Leones ganz allmählich in ein Karussell künstlicher Lichter. Die Leute gingen langsam, erholten sich wohl von den ermüdenden Arbeitszeiten und Aufgaben in den Büros, blieben vor den Imbissen, Eisdielen und an den Kiosken stehen, um die Schlagzeilen der Zeitungen zu lesen.

Es hatte gerade acht Uhr geschlagen, als Baeza sein Büro verließ. Er schien zufrieden und redete angeregt mit seinem Bodyguard, einem massigen Mann mir großem Schnurrbart und steifem Gang, der, seinen beruflichen Pflichten treu, aufmerksam um sich schaute. S. 295

Lesezitate aus Ramón Díaz Eterovic - Engel und Einsame


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 26.7.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger