Per Olov Enquist - Der Besuch des Leibarztes (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Es ist Reverdil, der den Ausdruck vom "Besuch des Leibarztes" benutzt. Er ist kaum ironisch gemeint. Im Gegenteil, er beobachtet mit klaren Augen, wie der Junge zerbrochen wird, und voller Zorn.

Von Christians Familie sagte man, daß seine Mutter starb, als er zwei Jahre alt war, daß er seinen Vater nur als ein übles Gerücht kannte und daß Graf Ditlev Reventlow, der seine Erziehung plante und leitete, ein rechtschaffener Mann war. Reventlow war eine starke Natur. Erziehung war seiner Meinung nach "eine Dressur, die der dümmste Bauer durchführen kann, wenn er nur eine Peitsche in der Hand hat". Deshalb hatte Graf Reventlow eine Peitsche in der Hand. Großes Gewicht sollte auf "seelische Unterwerfung" gelegt werden und darauf, daß "die Selbständigkeit gebrochen" werden müsse. Er zögerte nicht, diese Prinzipien auf den kleinen Christian anzuwenden. Die Methoden waren kaum ungewöhnlich in der Kindererziehung dieser Zeit. Das Einzigartige und das, was das Resultat auch für die Zeitgenossen so aufsehenerregend machte, war, daß es sich hier nicht um irgendeine Erziehung innerhalb des Adels oder des Bürgertums handelte. Derjenige, der zerbrochen werden sollte, durch Dressur und seelische Unterwerfung, um aller Selbständigkeit beraubt zu werden, mit der Peitsche in der Hand, war der von Gott ausersehene absolute Herrscher in Dänemark.

War er dann glücklich zerbrochen, unterworfen und willenlos gemacht, würde dem Herrscher alle Macht gegeben werden, und er würde sie seinen Erziehern abtreten.

Weit später, lange nach dem Ende der dänischen Revolution, fragt sich Reverdil in seinen Memoiren, warum er nicht eingriff.

Er gibt darauf keine Antwort. Er beschreibt sich als einen Intellektuellen, und seine Analyse ist klar und deutlich.
Aber keine Antwort, nicht auf diese Frage. S.38Es


Lesezitat nach Per Olov Enquist - Der Besuch des Leibarztes


Der Aufklärer
Per Olov Enquist - Der Besuch des Leibarztes

as Licht der Aufklärung ermöglicht die heutige Lebensweise, das in Frankreich im 18.Jh. von den Enzyklopädisten Voltaire, Diederot, D´Alembert u.a. entzündet und an der Schwelle des 19. Jh. von den napoleonischen Truppen in ganz Europa verbreitet wurde.

In Wahrheit war es aber keinesfalls die "grande nation", in deren gesellschaftlicher Experimentierküche das Zeitalter der Individualität anbrach, sondern im kleinen Staate Dänemark wurde erstmals das neuzeitliche Experiment eines befreiten, europäischen Bürgertums erprobt.

Als 1766 König Friederich von Dänemark stirbt, folgt ihm glücklicher oder unglücklicherweise der 16jährige Christian auf den Thron.
Ein schwacher, übersensibler Charakter, der sich voll und ganz dem Diktat seiner Erzieher duckt.
Ein Irrer, ein Geisteskranker, wie die am Hof in Kopenhagen akkreditierten Botschafter an ihre Herrscher zu Hause berichten, aber eben ein von Gott erwählter und damit unzweifelbar "absoluter" Herrscher seines Landes.

Aus strategischen und dynastischen Gründen wird die Ehe mit Caroline Mathilde, einer englischen Prinzessin, arrangiert. Guldenberg, ein von Schriftsteller Enquist hervorragend umrissener Charakter eines kleinwüchsigen, mittelmäßigen, aber äußerst ehrgeizigen und strebsamen Menschen, ist zum Berater des Königs aufgestiegen und verfügt, als sich unberechenbare Zornesausbrüche zur ansonsten üblichen, geistigen Abwesenheit des Königs gesellen, das Engagement eines persönlichen Leibarztes, der für die Bewachung seiner Majestät zuständig sein soll.

Die Wahl fällt auf Johann Friedrich Struensee aus dem vormals dänischen Altona. Kein Jude, wie Christians früherer Erzieher Reverdil, sondern ein aufgeschlossener, junger Freidenker mit beachtlicher medizinischer Reputation für die damalige Zeit.

Am 5. April 1768 wird Struensee angestellt und zum Unmut des dänischen Hofes binnen kürzester Zeit zum mächtigsten Mann im Staat.

Das aber eher Befremdliche ist, dass er selbst diese Rolle niemals angestrebt hat und auch augenscheinlich keinen persönlichen Nutzen aus dieser Machtfülle für sich ziehen will, sondern sich aufrichtig um das Befinden seines Schützlings kümmert. Er betrachtet sich eher als eine Art Besucher.

Dieser Umstand macht ihn zunächst unangreifbar und lässt ihn innerhalb der nächsten vier Jahre mehr als 600 Dekrete erlassen, die den dänischen Hof weit über seine Grenzen hinaus zu einem der aufgeklärtesten und modernsten Staaten Europas machen, der von den restlichen Potentaten als der Funken, der das Pulverfass des Individualismus und der Aufklärung entzünden könnte, gefürchtet wird.

Dass es nicht soweit kommt, dafür sorgt der gelehrte Struensee, der im Namen des Königs mit einer Unzahl von Reformen das Leben des dänischen Volkes verbesserte, selbst: Er vertritt Christian nicht nur an der Regierungsfront, sondern offenbar mit dessen stillem Einverständnis auch in seinem Ehebett.

Einfühlsam widmet Enquist ganze Kapitel dieser leisen und innigen Beziehung zwischen Struensee und der Königin. Nur als er Caroline Mathilde schwängert, überspannt das den Bogen.

Die reaktionären Kräfte des Hofes sprengen diese psychologisch vom Autor glänzend ausgelotete menage à trois.
Christian VII wird schlagartig von seinen Beratern wie Ove Hoeg-Guldenberg dominiert, Caroline Mathilde ihrer beiden Kinder beraubt nach Celle verbannt und der, dem der eigentliche Ruhm und Dank der Dänen gehören sollte, öffentlich enthauptet, gevierteilt, verscharrt und (fast) vergessen.

Per Ole Enquist verdankt das heute kleine, nordische Volk, dass einer ihrer Helden aus dem Dunkel der Geschichte gerissen wird. In eigenwilligem Schreibstil entwirft er sein Buch, das zwischen erzählerischen Elementen des historischen Romans, Vor- und Rückblenden an verschiedenen Schauplätzen nutzend, und zwischen sachbuchbezogenen Gegenwartsbeurteilungen des Schriftstellers (Vergleiche zu Bohr, Heissenberg und Hitler) hin- und herpendelt.

Offenbar glänzend die historischen Fakten recherchiert ("Der Student Wolfgang Goethe rezensiert Struensees politischen Widerruf in einer Frankfurter Tageszeitung"), gibt Enquists Roman einen meisterhaften Einblick auf die Psyche der Beteiligten.

Einzig völlig unbefriedigend ist die dürftige Kunde über Struensees reformerische Leistungen: Hier hätte sich der Leser mehr Sachbuch-Fakten und Interpretationen gewünscht als nur feinfühlige Persönlichkeitsanalysen. So bleibt Struensee eher der, der die Königin geschwängert, als der, der die Zensur abgeschafft und die Aufhebung der Leibeigenschaft in die Wege geleitet hat.

Insgesamt ein gelungenes Buch, in dessen Stil man sich allerdings einlesen muss, das aber einen Blick in die Seele des dänischen Volkes erahnen lässt - waren sie doch erst jüngst wieder bei der Abstimmung zum Beitritt der Europäischen Gemeinschaft prophetisch eigenwillig - vielleicht ein Erbe Struensees. © manuela haselberger


Per Olov Enquist -
Der Besuch des Leibarztes
© 1999, Liv läkarens Besök
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt
© 2001, München, Hanser, S. 371, 21.50 € (HC)
© 2003, Frankfurt, Fischer, S. 371, 9.90 € (TB)
© 2002, Dhv - Verlag, 2 CDs, 17.90 € (CD)
© 2002, Dhv - Verlag, 2 Cass, 17.90 € (MC)



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Fortsetzung des Lesezitats ...

Am 18. Januar 1765 teilte der Minister Bernstorff dem jungen Thronfolger mit, daß die Regierung in ihrer Dienstagssitzung, und nach nahezu zweijährigen Verhandlungen mit der englischen Regierung, beschlossen habe, ihn mit der dreizehnjährigen englischen Prinzessin Caroline Mathilde, einer Schwester des englischen Königs Georg III., zu vermählen.

Die Hochzeit sollte im November 1766 stattfinden.
Christian war bei dieser Mitteilung des Namens seiner Zu-künftigen in seine gewöhnlichen Körperbewegungen verfallen, hatte mit den Fingerspitzen seine Haut beklopft, auf seinen Bauch getrommelt und seine Füße wie in spastischen Zuckungen bewegt. Nachdem er die Mitteilung entgegengenommen hatte, fragte er:
"Soll ich zu diesem Zweck besondere Worte oder Sätze auswendig lernen?S. 55

"Nach und nach entdeckte ich, daß das, was ich >Erziehung< nannte, in seiner Vorstellungswelt aus den >abhärtenden< Erlebnissen bestand, mit deren Hilfe er >Fortschritte< machte. Sie bestanden im wesentlichen im Aufruhr gegen all das, was sein Heranwachsen gewesen war, vielleicht auch gegen den Hof, an dem er lebte. Es gab keine Verirrungen, keine Ausschweifungen, keine Roheiten, derer er sich nicht als Mittel dazu bediente. Für ihn war dies alles in dem Ausdruck >ein Kerl sein< zusammengefaßt, das heißt befreit von Vorurteilen, Würde und Pedanterie. Ich beschwor ihn damals, seine Aufgabe bestehe darin, dieses Reich wieder auf die Beine zu bringen.

Das Reich, das er erbte, war nach fünfundachtzig Jahren Frieden höher verschuldet und schwerer von Steuern belastet, als es nach einem Krieg gewesen wäre. Er sollte, beschwor ich ihn, versuchen, die Staatsschulden abzutragen und die Last des Volks zu erleichtern, ein Ziel, das er erreichen könnte, wenn er all die gänzlich unnötigen Ausgaben des Hofstaats striche, das Heer verkleinerte, die Bauern in Dänemark befreite und durch eine vernünftige Gesetzgebung Norwegens Fischerei, Bergbau und Waldwirtschaft förderte."

Die Antwort war, daß er in seine Gemächer ging und onanierte. Die Königin wollte er nicht besuchen Vor ihr empfand er nichts als Schrecken.
Christian hatte viele Gesichter. Eins leuchtet von Schrecken, Verzweiflung und Haß. Ein anderes ist gesenkt, ruhig, über die Briefe gebeugt, die er an Herrn Voltaire schreibt, den Mann, der ihn, wie er selbst sagt, zu denken gelehrt hat."S. 68

Struensee hatte daraufhin gelächelt und ihn fragend angesehen.
"Dem Höchsten? Ich dachte nicht, daß Sie dem Glauben an den Höchsten so innig zugetan sind?"
"Die Macht ist König Christian VII. von Dänemark gegeben worden, Doktor Struensee. Gegeben worden. Wer sie ihm auch gegeben haben mag, er hat sie. Nicht wahr?"
"Er ist nicht geisteskrank", hatte Struensee nach einem Moment des Schweigens gesagt.
"Aber wenn es so ist. Aber wenn es so ist. Ich weiß es nicht. Sie wissen es nicht. Aber wenn es so ist ... dann schafft seine Krankheit ein Vakuum im Zentrum der Macht. Derjenige, der in dieses Vakuum eintritt, hat eine phantastische Möglichkeit."
Sie standen beide schweigend.
"Und wer", fragte schließlich Struensee, "wer sollte wohl dort eintreten können?"
"Die üblichen. Die Beamten. Der Adel. Die, die einzutreten pflegen."
"Ja, natürlich."
"Oder jemand anders", hatte Herr Diderot da gesagt.
Er hatte Struensee die Hand gegeben, war in den Wagen gestiegen, hatte sich dann herausgebeugt, und hinzugefügt:
"Mein Freund Voltaire pflegt zu sagen, daß die Geschichte manchmal durch einen Zufall einen einzigartigen Spalt in die Zukunft öffnet."
"Ja?"
"Dann muß man sich hindurchdrängen."
S. 136

Als Christian eines Abends, wieder einmal, Struensee von seinen Alpträumen um den schmerzhaften Tod des Segeanten Mörl erzählte und sich in Einzelheiten verlor, hatte Struensee überraschend im Raum auf und ab zu gehen begonnen und den König wütend aufgefordert aufzuhören.
Christian war bestürzt gewesen. Solange Reverdil da gewesen war, bevor er zur Strafe ausgewiesen wurde, hatte er hierüber sprechen können. Jetzt schien Struensee die Fassung zu verlieren. Christian hatte gefragt, warum. Struensee hatte nur geantwortet:
"Majestät, Sie verstehen nicht. Und haben sich nie darum bemüht zu verstehen. Obwohl wir uns so lange kennen. Aber ich bin kein mutiger Mensch. Ich habe Angst vor Schmerzen. Ich will nicht an Schmerzen denken. Ich bin leicht zu erschrecken. So ist es, wie Majestät hätten wissen können, wenn Majestät interessiert gewesen waren. "
Christian hatte Struensee während dieses Ausbruchs verwundert angesehen und dann gesagt:
"Ich habe auch Angst vor dem Tod."
"Ich habe keine Angst vor dem Tod!!!" hatte Struensee ungeduldig erwidert. "Nur vor Schmerzen. Vor Schmerzen!!!"

Aus dem Spätsommer 1770 gibt es eine Zeichnung von Christians Hand, die einen Negerjungen darstellt.
Er zeichnete sonst sehr selten, doch die Zeichnungen, die erhalten sind, verraten große Begabung. Die Zeichnung stellt Moranti, den Negerpagen dar, der dem König gegeben wurde, um seine Melancholie zu verringern, und "damit er jemanden zum Spielen hatte".

Keiner sollte sich so ausdrücken. Melancholie war das richtige Wort, nicht Spielkamerad. Aber Brandt, von dem die Idee stammte, drückt sich genau so aus: einen Spielkameraden für die Majestät. Eine Stimmung dumpfer Resignation hatte sich um den König verbreitet. Schwer war es, unter den Hofleuten Spielkameraden zu finden. Der König schien alle Energie des Tages auf die Stunde zu konzentrieren, in der er die Dokumente und Schreiben unterzeichnete, die Struensee ihm vorlegte; aber nachdem sie sich für den Tag getrennt hatten, verfiel er in Apathie und versank in sein Gemurmel. Brandt war der Gesellschaft des Königs müde geworden und hatte einen Negerpagen als Spielzeug für ihn gekauft. Als er um die Erlaubnis bat, hatte Struensee nur resigniert den Kopf geschüttelt, aber eingewilligt.
Struensees Stellung am Hof war jetzt so selbstverständlich, aß es auch für den Kauf von Negersklaven seiner Zustimmung bedurfte. S. 180/181

Am dritten Nachmittag las er den Essay, der mit dem Satz beginnt: "Sittlichkeit nennt man das, was mit der zu einer bestimmten Zeit herrschenden Mode übereinstimmt, und Unsittlichkeit das, was im Gegensatz dazu steht." Dann las er den Essay Nummer 20 in Buch IV, der von dem Satz eingeleitet wird: "Die seltsamste Eigenschaft des Menschen ist die, daß er auf das, was am strengsten verboten ist, die größte Lust bekommt."
Sie fand, daß er eine schöne Stimme hatte.
Sie mochte auch Ludwig Holberg. Es war, als verschmölzen Struensees Stimme und die Holbergs zu einer Einheit. Es war eine dunkle, warme Stimme, die zu ihr sprach von einer Welt, die sie bis dahin nicht gekannt hatte; die Stimme umschloß sie, es war, als ruhe sie in einem lauwarmen Wasser, und das schloß den Hof und Dänemark und den König und alles aus; als schwimme sie im warmen Meer des Lebens und sei ohne Furcht.
Sie fand, daß er eine schöne Stimme hatte. Das hatte sie ihm auch gesagt.
"Sie haben eine schöne Stimme, Doktor Struensee."
Er las weiter.
Sie hatte ein Abendkleid getragen, es war ein leichter Stoff, weil es ein warmer Spätsommer war, ein sehr leichter Stoff, den sie aufgrund des milden Sommerabends gewählt hatte. Sie hatte sich darin freier gefühlt. Das Kleid war ausgeschnitten. Ihre Haut war sehr jung, und manchmal, wenn er vom Buch aufsah, hatte sein Blick diese Haut gestreift; dann war er bei ihren Händen verweilt, und Struensee hatte sich plötzlich eines Gedankens erinnert, wie diese Hand sein Glied umschloß, eines Gedankens, den er einmal gehabt hatte, und dann hatte er weitergelesen.
"Doktor Struensee", hatte sie plötzlich gesagt, "Sie müssen meinen Arm berühren, wenn Sie lesen."
"Warum", hatte er nach einer kurzen Pause gefragt.
"Weil die Worte sonst trocken werden. Sie müssen an die ~aut rühren, dann kann ich verstehen, was die Worte bedeuten "
Da rührte er an ihren Arm. Der Arm war unbedeckt und sehr weich. Er wußte auf einmal, daß er sehr weich war.
"Bewegen Sie Ihre Hand", hatte sie gesagt. "Langsam."
"Majestät", hatte er gesagt, "ich fürchte ..."
"Bewegen Sie sie", hatte sie gesagt.
Er hatte gelesen, die Hand war sanft über ihren bIoßen Arm geglitten. Da hatte sie gesagt:
"Ich glaube, Holberg sagt, daß das am strengsten Verbotene eine Grenze ist."
"Eine Grenze?"
"Eine Grenze. Und da, wo die Grenze ist, entsteht Leben und Tod, und deshalb die größte Lust."
Seine Hand hatte sich bewegt, da hatte sie seine Hand in ihre genommen und sie an ihren Hals geführt.
"Die größte Lust", hatte sie geflüstert, "ist an der Grenze. Es ist wahr. Es ist wahr, was Holberg schreibt."
"Wo ist die Grenze", hatte er geflüstert.
"Suchen Sie sie ", hatte sie gesagt.
Und da war das Buch aus seiner Hand gefallen.

Sie, nicht er, hatte die Tür verschlossen.

Sie war weder furchtsam noch linkisch gewesen, als sie ausgezogen hatten; sie empfand es noch immer so, als befinde sie sich in diesem warmen Wasser des Lebens, und nichts gefährlich und der Tod ganz nahe und alles deshalb erregen Alles erschien sehr weich und langsam und warm.

Sie hatten sich nebeneinander gelegt, nackt, in dem Bett im hinteren Teil der Hütte, in dem der französische Philosoph hätte liegen sollen, aber nie gelegen hatte. Jetzt lagen sie dort. Es erfüllte sie mit Erregung, dies war ein heiliger Ort, und sie würden über eine Grenze gehen, es war das äußerste Verbotene, das Alleräußerste. Der Ort war verboten, sie war verboten, es war fast vollkommen.

Sie hatten aneinander gerührt. Sie hatte mit ihrer Hand sein Glied gerührt. Sie hatte es gemocht, es war hart, aber sie wartete, weil die Nähe zur Grenze so erregend war und sie die Zeit festhalten wollte.
"Warte", hatte sie gesagt. "Noch nicht."

Er hatte an ihrer Seite gelegen und sie gestreichelt, sie atmeten ineinander, ganz ruhig und lustvoll, und sie verstand auf einmal, daß er war wie sie. Daß er atmen konnte wie sie. Im gleichen Atemzug. Daß er in ihren Lungen war und daß dieselbe Luft atmeten. S. 198-200

Lesezitate nach Per Olov Enquist - Der Besuch des Leibarztes













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© 30.4.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de