Kerstin Ekman - Am schwarzen Wasser (Buchtipp/Rezension/lesen)
... reinlesen




... reinlesen

Hillevi kam am fünften März 1916 mit dem Zug nach Östersund. Damals waren die Straßen geschottert, und es gab elektrisches Bogenlicht. Das Centralpalais in der Prästgatan hatte Türme mit Spitzen. Weiter unten in der Straße liefen auf einem großen Bild an Erik Johanssons Haus seltsame Tiere in einem Wald umher. Es war auf den Putz gemalt. Das Staverfeltsche Haus hatte schmiedeeiserne Balkone, verzierte Giebel und Gewölbebogen. Die Markthalle gleich daneben hatte einen prächtigen Treppengiebel. Und das Märtenssonsche Haus in der Storgatan gleich mehrere. Hillevi kam also nicht gerade in die Wildnis.

Als sie nach Lomsjö kam, wurde es schon schlimmer. Das war am siebten März.
Am Nachmittag befanden sich in der Schankstube des Gasthofs nur zwei Leute. Zum einen ein alter Lappe, der auf dem Fußboden saß. Zum anderen Hillevi, die auf der Bank an der Wand saß und gleich ihre Pelzmütze verlieren würde. Ihr war der Kopf nach vorn gekippt. Sie schlief.

Draußen war es still. Der Schnee rieselte auf Schlittenspuren und Pferdeäpfel. Der alte Lappe hatte sein Messer hervorgehol tund schnitt an einem Tabakstrang. Als die Gastwirtin hereinkam, schimpfte sie mit ihm, weil er auf dem Fußboden hockte. Der Alte entgegnete, seine Hose sei hinten dreckig. Hillevri wachte von dem Palaver nicht auf. Erst als die Wirtin sie am Arm faßte und "Fräulein!" rief, zuckte sie zusammen.
"Sollet es doch hier nicht sitzen."
Fügsam erhob sie sich und ging mit. In der Tür zum Speisesaal blieb sie stehen und schaute zurück in die Schankstube, als hätte sie diese noch gar nicht gesehen oder im Schlaf vergessen. S. 7


Lesezitat nach Kerstin Ekman - Am schwarzen Wasser


Am schwarzen Wasser
Kerstin Ekman - Am schwarzen Wasser

Im Frühjahr 1916 macht sich die junge Hebamme Hillevi, mutig wie sie ist, auf die Reise nach Röbäck, einer kleinen schwedischen Gemeinde, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

Sie folgt ihrem heimlichen Verlobten, dem zukünftigen Pfarrer Nolin.
Doch ob er sie heiraten wird, ist unsicher.

Kerstin Ekman stellt in den Mittelpunkt ihres umfangreichen Romans das Leben einer jungen Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts und schildert es mit einer bezaubernden Plastizität und Lebendigkeit.

Ihre Sprachkraft lässt die harte Realität des Daseins mit Leichtigkeit vor den Augen ihrer Leserschaft entstehen.




Kerstin Ekman - Am schwarzen Wasser
aus dem Amerikanischen von
Originaltitel: © 1999, "Guds Barmhärtighet"
2000, München, Piper Verlag, 462 S.,

Buch bestellen


Fortsetzung des Lesezitats ...

Ihr ging durch den Kopf, wie wahnsinnig das mit Edvard alles war. Derbe Liebeslust. Diese Worte staken wie ein Messer senkrecht in einem Butterfaß. Und Tugend. Das war ein richtiges Edvard-Nolin-Wort.
"Hillevi zürnet", sagte er. '"Muß ich sie wieder guten Muts machen."

Und dann legte er seinen Mund an ihren Hals.
Das war es, was geschah. Sein feuchter Mund und der Regen. .Und er nahm seine Lippen nicht fort. Küßte auch nicht, ließ sie nur dort liegen, feucht auf der Haut ihres Halses und dennoch warm.
Was geschieht, geschieht. Man denkt es sich nicht aus. Eine wilde Freude durchfuhr den Körper. Das hatte sie bisher nur bei kleinen Kindern gesehen. Sie wandte schließlich den Kopf, aber nicht von ihm ab, sondern so, daß er an ihren Mund herankam. Sie befühlte sein schwarzes Haar, das nicht mehr so kurz war. Es lockte sich jetzt im Nacken. Und es war feucht, außer ganz oben auf dem Scheitel, wo der Hut es vor dem Regen geschützt hatte. Sie war wahnsinnig. Wohin das führte, wurde ihr erst richtig klar, als er fragte:
"Will sie es denn, Hillevi?"
Sie war ganz verdutzt, daß er diese Sache in Worte faßte. Auch wenn er sie nur mit "es" bezeichnete.
Sie war ja nicht unschuldig. Womöglich nahm er das als selbstverständlich an? Sie glaubte zu wissen, wie es vor sich ging. Hast, heftiges Atmen. Küsse, die bemänteln sollten, daß Häkchen aus Ösen gehakt und Hosenträger heruntergezogen wurden. Nichts dergleichen. Er nahm seine Lippen von den ihren und strich ihr mit dem Zeigefinger über den Mund. Seine Augen waren ganz braun, und aus dieser Nähe sah sie, daß er geschwungene Wimpern hatte. Sie dachte an seine Mutter, daran, welche Freude diese empfunden haben mußte, als sie zum ersten Mal den Körper dieses Jungen hielt, und sie fragte sich, wer seine Mutter war.

Man hätte annehmen können, daß in einem Regen wie diesem alles ganz eilig vonstatten gehen müßte. Halvorsen schien jedoch alle Zeit der Welt zu haben und zog ihr ganz sorgfältig die Nadeln aus dem Haarknoten, so daß ihr Zopf herabfiel. Sie wollte eigentlich nicht, daß er ihn löste, weil sich in der Feuchtigkeit das Haar kräuselte und unmöglich wieder in Fasson bringen ließe. Doch daß sie jemals wieder unter Leute kommen würden, schien ihr völlig fern, und deshalb ließ sie ihn gewähren. Immerhin dachte er ein bißchen weiter, denn er steckte die Haarnadeln in die Innentasche seiner Jacke. Dann pusselte er den Kragenknopf ihrer Bluse auf und legte seine Lippen und seine Zungenspitze an ihre Drossetgrube. Wieder durchfuhr dieser wirbelnde Stoß ihren Körper. Es war eine Art elektrische Strom, der ohne Leitungen umherfloß, allerdings ein köstlicherer und sanfterer als der, der in den Lampen leuchtete.

Es ist klar, daß ein Mensch immer derselbe Mensch ist, egal, was er tut. Auch Halvorsen blieb sich gleich, sorgfältig und geduldig, ob er nun eine Ladefläche mit Waren belud, die Mähre anschirrte oder Fräulein Hillevi Klarin entkleidete. S. 139

Lesezitate nach Kerstin Ekman - Am schwarzen Wasser


© 13.10.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de