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Lucys verbrecherische Plätzchen

Sie stellte eine tiefe, feuerfeste Auflaufform aus Glas auf den Tisch und machte sich auf die Suche nach braunem und weißem Zucker, nach Mehl, Vanilleextrakt, Eier, Salz und Backpulver. Als sie zehn war, hatte ihre Tante ihr beigebracht, diese speziellen, gesetzlosen Plätzchen zu backen. Seitdem machte sie sie intuitiv. Sie maß nichts ab und schaute nicht auf die Uhr. Sehr früh hatte sie gelernt, die Sache zu beschleunigen, indem sie möglichst wenig Geschirr benutzte. Zunächst war es wichtig, eine Tasse Breakstonebutter in der Glasschüssel zu zerlassen. Die Butter durfte warm, aber nicht heiß werden. Dann rührte sie dunkelbraunen und weißen Zucker ein, bis das Ganze eine dicke Masse ergab. Schließlich gab sie Eier dazu. Aus Erfahrung nahm sie zwei, um dann gerade so viel Mehl dazuzugeben, daß der Teig eine feuchte, bröselige Konsistenz hatte und weder zu naß noch zu trocken war. Backpulver durfte man nicht vergessen, und bevor sie nach Geschmack Salz und Vanille hinzufügte, streute sie einen Teelöffel davon darüber. Mittlerweile war der Teig abgekühlt, und Lucy knetete gehackte Hickorynüsse, Zartbitterschokolade und Butterscotchchips darunter. Ihre Tante war, was die Zahl der Zutaten anbetraf, anderer Meinung, doch Lucy fand, man könne gar nicht genug daran tun.

Sie stellte den Backofen weiter....


Kay Scarpetta bittet zu Tisch
Patricia Cornwell - Kay Scarpetta bittet zu Tisch

Die Gerichtspathologin Kay Scarpetta wetzt auch an Weihnachten wieder einmal die Messer und schnippelt nach Herzenslust. Doch diesmal hat sie die unvermeidlichen Gummihandschuhe und den obligaten Mundschutz abgelegt. Professionell wird lediglich das Gemüse in der Küche seziert, das sie für ihre einzigartige Festtagspizza benötigt, denn wie ihre Fans wissen, kocht die messerscharf denkende Ärztin für ihr Leben gern, am liebsten natürlich für Gäste.

Die Weihnachtstage verbringt sie mit ihrer Nichte Lucy und ihrem Freund, dem Polizeichef Pete Marino. Wobei Marino das Festessen mit seiner absoluten Spezialität "Marinos todbringender Eggnogg" zum Aperitif einläutet. Die gut gemeinte Warnung liefert er gleich mit: "Wenn Sie ihn nicht gewöhnt sind, sollten Sie ihn nur trinken, wenn Sie innerhalb der folgenden zwölf Stunden nicht vorhaben, zu verreisen oder sich auch nur schnell zu bewegen."

Im wohl sortierten Gefrierschrank von Scarpetta herrscht peinlich genaue Ordnung und jedes Fach ist selbstverständlich ordentlich beschriftet, doch bei ihren Rezepten hat sie auf diese Pingeligkeit verzichtet und die genauen Mengenangaben weggelassen, so dass jeder ausreichend Platz für eigene Improvisationen hat und dem Gericht seine persönliche Note verleihen kann.

Doch ihre jahrelange Berufserfahrung lässt sich auch bei ihren Rezepten nicht ganz verleugnen. Schon gar nicht bei ihrem berühmten Eintopf. "Was für einen Mordprozess gilt, gilt auch hier: Der Eintopf wird nur so gut, wie es das eingereichte Beweismaterial zulässt. Wenn Sie mit ihrer Zeit knausern oder mit ihren Zutaten, werden Sie genau das bekommen, was sie kochen."

Am schönsten liest sich das schmale Bändchen über die italienische Kochkunst der berühmten Pathologin während der Braten im Ofen schmort, bei einem gemütlichen Glas Wein, denn appetitanregend sind die zeitaufwendigen Rezepte allemal.


Patricia Cornwell - Kay Scarpetta bittet zu Tisch
aus dem Amerikanischen von Peter Beyer
Originaltitel: © 1998, "Scarpetta´s Winter Table"
1999, München, Goldmann Verlag, 83 S., 5 Euro

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Sie stellte den Backofen auf 180° C und bestrich das Backpapier dünn mit cholesterinfreiem Pflanzenöl, das Lucy ein Lächeln abnötigte. Ihre Tante war anspruchsvoll, was die Gesundheit betraf.

»Das liegt schlichtweg daran, daß du schon so viele Leichen gesehen hast«, hatte Lucy sie oft getadelt, wenn Scarpetta ihr keine Softdrinks oder Kaugummis kaufen wollte und nur im Notfall mit ihr einen Schnellimbiß besuchte.

Bei den vielen Besuchen, die Lucy als Kind ihrer Tante abgestattet hatte, war stets frischer Fruchtsaft im Kühlschrank gewesen, und es hatte immer Obst gegeben: Äpfel, Bananen, Mandarinen oder helle Trauben. Im Kino war Popcorn kein Problem, aber Süßigkeiten, besonders harte Bonbons wie Zitronendrops oder Fire Balls, woran man womöglich ersticken konnte, gab es nicht. Lutscher kamen nicht in Frage, schon gar nicht die, die man auf der Bank oder beim Arzt geschenkt bekam und die auf einem harten Stiel steckten.

»Stell dir vor, du hast so ein Ding im Mund und fällst hin oder stößt gegen irgendwas«, sagte Scarpetta immer.

»Warum kann ich's denn dann nicht vom Stiel abbeißen?«

»Schlecht für die Zähne. Überhaupt ist an diesem ganzen Süßkram nichts dran, das gut für dich wäre, Lucy. Der schmeckt ja nicht mal besonders gut, wenn du ehrlich bist.«

Vielleicht war es weniger der Lutscher selbst als vielmehr die Tatsache, daß Lucy ihn als Belohnung dafür bekommen hatte, daß sie einen Zungenspatel tief in der Kehle ausgehalten hatte oder ewig in einer Schlange hatte warten müssen, bis ihre Tante ihren Gehaltsscheck eingelöst hatte. Die Liste der wegen ihres Sicherheitsbedürfnisses verbotenen Lebensmittel wurde mit der Zeit immer länger, da ihre Tante Zeugin von immer mehr neuen Todesursachen wurde.
Lesezitat nach Patricia Cornwell - Kay Scarpetta bittet zu Tisch, S.57

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-12-04

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger