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Werde ich es machen wie ein Kind, das sich einen Zahn herausbricht? Oder auf behutsamere Weise, wie ein Blatt, das im Wind davonfliegt? Fünfundzwanzig geteilte Jahre, derselbe Name, dieselben Tische, dieselben Toten, und von heute auf morgen nichts Gemeinsames mehr: »Schwägerin«, »Schwiegervater«, »Schwiegermutter«, Worte, auf die ich kein Anrecht mehr habe, Worte, die eine andere in den Mund nehmen wird. Um die Bande zu bezeichnen, die wir geknüpft hatten, und die Liebe, die ich ihnen entgegenbrachte, gibt es im Wörterbuch keine Entsprechung: kein Flickwort für den Anhang. Ich werde die Sprache der Einsamkeit vollkommen neu erfinden müssen - ob ich, wenn ich jene Frau meine, die einmal meine Wahlschwester war, von nun an »die Frau des jüngsten Bruders meines früheren Ehemannes« sagen muß? Recht lang für eine Gefühlsäußerung.

Ich bin in Trauer um unsere Freunde. Ich bin böse auf die, die mich nicht anrufen; und ich bin böse auf die, die mich anrufen. Weil sie mich dazu zwingen, »darüber zu reden«, und weil ich kein wahres Wort herausbringen kann, ohne mir dabei nicht weh zu tun. Ich sehne mich nach Ruhe, nach Abgeschiedenheit, ich möchte fliehen mich verkriechen, und sie sind da, wollen mich ablenken, wollen Erklärungen von mir hören. (S 9)

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Lesezitat nach Francoise Chandernagor - Die erste Frau


Die Erste = die Einzige?
Francoise Chandernagor - Die erste Frau

In der Statistik heißt es sehr nüchtern und lapidar: Jede dritte geschlossene Ehe wird wieder geschieden. Doch der Schmerz, der diesem Entschluss vorausgeht, bleibt unerwähnt oder wird mit dem Hinweis auf einen schlauen Ratgeber nach dem Motto: "Scheidung leicht gemacht", abgetan.

Die erfolgreiche französische Romanautorin Francoise Chandernagor überrascht ihre Leser mit einem autobiografischen Protokoll, das sie nach der Trennung von ihrem Ehemann geschrieben hat. Und es sind qualvolle Passagen, die sie über die Dauer von zwei Jahren zu Papier bringt. Immerhin war sie dreißig Jahre mit diesem Mann verheiratet, der sie auf dem Bahnsteig, völlig überraschend, kurz bevor ihr Zug abfährt vor die Frage stellt "Scheidung oder Trennung?". Gut, sie hat ihn bereits mit achtzehn kennengelernt und das Vorbild ihrer Ehe war eine offene Beziehung à la Sartre - Beauvoir, von Treue hat ihr Gatte nie viel gehalten, das hat sie gewußt.

Akribisch untersucht Francoise Chandernagor das Scheitern ihrer Ehe und ihren Schmerz. "Ich seziere das Unglück bei lebendigem Leib. Ich schürfe, ich schabe." Ihr Buch beginnt mit folgenden Sätzen: "Ich bin in Trauer. In Trauer um einen lebenden Mann. ... Wer würde schon die Frau eines Lebenden wegen ihrer Witwenschaft trösten? Noch dazu eines so offenkundig Lebenden - indiskret, verliebt und triumphierend!"

Wohin mit der Wut, wenn plötzlich eine neue Frau, die erste Frau an seiner Seite ist? Wenn die Neue in das Ferienhaus der Familie in der Provence einzieht und selbstverständlich bei Familienfesten eingeladen wird? Wie verhalten sich die vier Kinder?

Es sind unsagbar viele Kleinigkeiten, ein Foto, eine Party bei Freunden, die ein Verheilen der Wunden nicht gestatten und die Erinnerung immer wieder wach rütteln.

Eine Scheidung ist ein unbarmherziger, gnadenloser Krieg, in den ein Paar eintritt, wenn es sich trennen will, doch es ist "kein Krieg der Profis, sondern ein Krieg der Amateure." Selten wurde dieses tabuisierte Thema so ehrlich und offen beschrieben. Allein in Frankreich wurden sofort nach Erscheinen 300.000 Exemplare des Buches verkauft.



Francoise Chandernagor - Die erste Frau
Übersetzt von Sabine Schwenk
Originaltitel: © 1998, "La première épousse"
2000, München, Malik, 320 S.

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Denn ich habe seinen Trauring wiedergefunden. Er hatte ihn achtlos in eine Schublade seines Schreibtischs gelegt, unter einen Stapel Prospekte. Als er weg war habe ich seinen Ring zu meinem gelegt, habe beide in ein altes Kästchen gebettet, das jetzt auf meiner Kommode steht. Durch den Deckel und die Seitenteile aus Glas kann man die beiden Ringe, einer neben dem anderen, auf einem weißen Seidenkissen sehen. Man möchte meinen, ein Sarg aus Eis. Traurig und schön.

Daß mein Mann seiner »Neuen« den Ring, den ich ihm geschenkt hatte, nicht übergeben hat, erleichterte mich zunächst; später erstaunte es mich, daß er ihn nicht irgendwo bei sich trug, in einer Hosentasche, einer Brieftasche, einem Brillenetui. Ihn zwar versteckte, aber verwahrte. Was fürchtete er? Daß es bei ihr weiterhin eine Spur von mir gab? Dabei gab es bei mir so viele Spuren von ihr! ... An solchen Skrupeln erkenne ich, daß er sie liebt und daß er mich nicht geliebt hat.

Wenn ich so lange gehofft habe, ihm zu gefallen, ihn halten zu können, dann lag das tatsächlich daran, daß er keine Frau besser behandelte als mich: »Ring für Chine, Ring für Dine . . . « Seine Mätressen auf Zeit bedauerte ich. Ich hielt mich für seinen Liebling: »Guten Morgen, mein Herz, meine Schöne.« Seine erste Frau ... Wieviele Jahre habe ich gebraucht, um zu begreifen, daß ich all die anderen nicht deshalb besiegte, weil er mich mehr liebte, sondern weil er auch sie nicht liebte. Auch sie nicht . .. Von dem Tag an, da diese Frau in sein Leben trat, war alles anders: er war verliebt. Er ist boshaft geworden. Und lächerlich. Zum ersten Mal. S.90


Lesezitate nach Francoise Chandernagor - Die erste Frau


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 7.03.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger