Frédéric Beigbeder - Neununddreißigneunzig (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Kennt ihr den Unterschied zwischen Arm und Reich? Die Armen verkaufen Drogen, um sich Nikes zu kaufen, und die Reichen verkaufen Nikes, um sich Drogen zu kaufen. S. 227


Lesezitat nach Frédéric Beigbeder - Neununddreißigneunzig


Scheiße und Sex im Hirn
Frédéric Beigbeder - Neununddreißigneunzig

it seinem Buch 99 FF bewältigt der 1965 geborene Franzose Frédéric Beigbeder offenbar eine persönliche Sinn-Krise seines Lebens. Bislang gehörte er zum Establishment, sogar zu jener Spezies an Leuten, die als Marketingspezialisten in großen Werbeagenturen das erfinden, was der Rest der Bevölkerung als erstrebenswerten Lebenstraum anzusehen hat. "Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft. Der Sie von Sachen träumen lässt, die Sie nie haben werden ...". Und er fährt weiter fort "Alles ist käuflich: die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie und ich. Ich bin Werber, ich bin ein Weltverschmutzer...".

Mit solchen Sätzen seines Roman-Alter-Egos Octave über die Welt der Werbung schockiert der Autor seine Leserschaft und löste damit einen verkaufsträchtigen Skandal in der französischen Literaturszene aus.

Das Buch wird vermutlich auch in Deutschland polarisieren: Diejenigen, die glauben wollen, dass Octave Parango, der gemessen an den gesellschaftlichen Wertmaßstäben höchsten Luxus, größtes Einkommen, schönste Frauen und schneeweißes Koks als kreativer Kopf einer weltweit operierenden Werbeagentur genießt, und jetzt an einem Punkt in seinem Leben angelangt ist, an dem er rücksichtslos mit all den Statussymbolen bricht, ein wildes Pamphlet über sich und seine Branche verfasst, das schonungslos die Machenschaften der Werbewirtschaft anprangert.

Und andererseits denjenigen, die diese Welt als überzeichnet und den Roman als äußerst konstruiert ansehen - man merkt die Hand seines Schriftstellerkollegen und Freundes Michelle Houellebecq. Der Zwang zum Skandal verpflichtet den Autor einen Verkaufsschlager zu landen: Zotige Bemerkungen, geringschätzige Sichtweise der Frauen, die weite Strecken nur als Sexualobjekte des erfolgreichen Werbetexters und seiner Kollegen vorkommen, schaffen ein Millieu der Menschenverachtung wie es in Wirklichkeit hoffentlich nicht sehr weit verbreitet ist.

Doch vermutlich werden auch die Leser des ersten Lagers spätestens dann, wenn Octave in Florida in einer exzessiven Orgie von Rausch, Gewalt und Mord sich als Rächer der Enterbten der Welt aufspielt, zu der Meinung gelangen, dass sie sich mit den mannpubertären Hirngespinnsten eines Skandalschreiberlings beschäftigt haben, der als Autor offenbar keine andere Strategie verfolgt als er es vorher als spitzenbezahlter Werbetexter auch verstanden hat: Den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und ihnen dabei noch die Zeit stehlen.

Selbst wenn die Welt der Kreativen so säuisch und zynisch sein sollte, wie Beigbeder sie beschreibt, fragt es sich immer noch, ob irgendjemand sich mit dieser kleinen Gruppe an Spitzenkräften beschäftigen sollte. Oder um es mit Ranicki zu sagen: "Das interessiert mich nicht!", es sei denn ich bin so voyeuristisch, den Verfall eines Werbefuzzis mitverfolgen zu wollen.

Nach dem Genuß des Romans jedenfalls werden viele wohl nicht so sehr von den manipulierenden Machenschaften der Werbewirtschaft schockiert sein - was Werbung und Klappentext des Buches versprechen -, als von dem menschlichen Wrack, das eine derartige berufliche Tätigkeit hinterlässt: Ein zynisches, bindungsunfähiges und rauschgiftverseuchtes Wesen, das aus Profitgründen den noch Gesunden eine ins unendlich gesteigerte Traumwelt vorzugauckeln hat. © thomas haselberger


Frédéric Beigbeder - Neununddreißigneunzig
2001, Rowohlt Verlag, 288 Seiten, 19.90 EUR (HC)
2002, Rowohlt Verlag, 288 Seiten,   9.90 EUR (TB)   ab Nov 2002




ein paar Lesezitate und Satzanfänge

Ich heiße Octave und kaufe meine Klamotten bei APC. Ich hin Werber: ja, ein Weltverschmutzer. Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft. Der Sie von Sachen träumen lässt, die Sie nie haben werden. Immerblauer Himmel, nie flaue Frauen, perfektes Glück ...

Ihr Leiden dopt den Handel. In unserem Jargon nennen wir das die "Post-Shopping-Frustration". .... muss man Neid, Leid, Unzufriedenheit schüren - das ist meine Munition. Meine Zielscheibe sind Sie.

Mein Leben besteht darin, Sie zu belügen, und dafür werde ich fürstlich entlohnt. Ich verdiene 13000 € ....

Ich unterbreche Ihre Fernsehfilme, um Ihnen meine Logos aufzudrängen, .... und sie werden es kaufen, nur um es zu probieren, glauben Sie mir, ich kenne meinen Job.

Mmmhh, ist das geil Ihr Hirn zu penetrieren. Ich komme in der rechten Hälfte. Ihr Begehren ist nicht mehr Ihres: Ich zwinge Ihnen meines auf. ....... Ich entscheide heute, was sie morgen wollen." S. 15-17

Schriftsteller sind Nestbeschmutzer. Literatur ist immer Verrat. Ich wüsste keinen anderen Grund, Bücher zu schreiben, als um zu petzen. S. 26

Ich lächelte Duler freundlich an, konnte aber nicht umhin, an einen Satz aus Adolf Hitlers Mein Kampf zu denken: "Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt." S. 33

Ich werde oft gefragt, warum die Kreativen so überbezahlt sind. Ein freier Journalist, der für seinen Artikel im Figaro eine Woche braucht, kriegt fünfzigmal weniger als ein freier Texter, der sich in zehn Minuten ein Plakat aus den Fingern saugt. Und warum?
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Weil Philippe 300000 Francs im Monat verdient und du nicht."

Als Kreativer brauchst du keine Rechtfertigung für dein Gehalt; du hast einen Beruf, in dem dein Gehalt deine Rechtfertigung ist.

Und dann ist kreativ sein keine leichte Arbeit. Der Ruf des Metiers leidet unter dessen scheinbarer Einfachheit. .... Auch dafür werden wir so gut bezahlt.
S. 40-41


DIE ZEHN GEBOTE DES KREATIVEN:

1) Ein guter Kreativer spricht nicht die Konsumenten an, sondern ...

2) Die erste Idee ist immer die beste ...

3) Die Werbung ist der einzige Beruf, in dem man dafür bezahlt wird, Dinge schlechter zu machen. ....

4) Zu Meetings kommst du grundsätzlich zu spät. ....

5) Wenn du unvorbereitet bist, sprich als Letzter und greif alles auf, was vor dir gesagt wurde. ...

6) Der Unterschied zwischen einem Senior und einem Junior ist, dass der Senior mehr verdient und weniger arbeitet. ...

6b) Eine andere Methode, Junior und Senior zu unterscheiden: Der Junior macht lustige Witze und keiner lacht, ...

7) Pflege den Absentismus, komm mittags ins Büro, antworte nie, wenn man hallo zu dir sagt, ...

8) Frage keinen nach seiner Meinung zu einer Kampagne. Wenn du jemanden fragst, riskierst du JEDES MAL, ....

10) Zeigt dir ein Kollege eine gute Annonce, lässt du ihn keinesfalls merken, wie sehr du seinen Einfall bewunderst. Sag, das ist doch Hühnerkacke, poppt überhaupt nicht, wird nie verkaufen, und außerdem ist es Asbach uralt, zehntausendmal gesehen oder von einer englischen Kampagne von vor zig Jahren abgekupfert. Legt er dir wirklich Hühnerkacke vor, sagst du: "super Idee" und tust, als wärst du sehr neidisch. S. 51

Auf Ghost Island sind ein paar Monate vergangen. Sie haben vom Totsein die Schnauze voll. Sie finden, dass unter dem unverwandten Schein der Sonne das Elend ganz schön quält. Sie sind zu wohl genährt. Vegetieren in der üppigen Vegetation dahin. Wenn sie in Form sind, vermischen sie sich mit Trauben von Menschen: River Phoenix lässt sich von Caroline einen blasen, und Patrick fickt Ayrton Senna; die ganze kleine Welt bumst, vögelt, bläst, leckt Sperma, reibt sich die Klitoris, pumpt an Schwänzen, spritzt auf Gesichter, malträtiert Mösen, peitscht sich die Brüste, bepisst sich, schwuchtelt und wichst in Freude und Entspannung. S. 163

Lesezitate nach Frédéric Beigbeder - Neununddreißigneunzig













weitere Titel von
Frédéric Beigbeder:

Taschenbuch:


Memoiren eines Sohnes aus schlechtem Hause.

© 2001

gebunden
(engl. Ausgabe)


Barbie
(Universe of Fashion)

© 1998

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© 12.7.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de
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