Russell Andrews - Anonymus (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Washington, DC.

Erneut erwachte er schreiend.
Es war immer derselbe Traum, derselbe furchtbare Traum, aus dem es kein Entrinnen gab.
Aber diesmal war etwas anders. Diesmal gab es keinen Abstand, kein Gefühl der Sicherheit. Der Traum war real geworden. Die Farben leuchteten, die Töne waren scharf. Er konnte die Gesichter sehen, die Stimmen hören. Den Schmerz fühlen. Und er mußte sich das Schreien anhören.
Als ihm klar wurde, daß er wach war, daß das Geräusch, das er hörte, wirklich war, unterdrückte er einen Schrei, und die körperliche Anstrengung schmerzte in seinem Hals, als würde man ihm das Geräusch aus der Kehle reißen. Er mußte sich zwingen, daran zu denken, wo er war, wer er war, um nicht erneut zu schreien. Und dann mußte er sich so fest auf die Lippe beißen, daß Blut floß. Er wußte, sonst hätte er minutenlang, stundenlang geschluchzt und geweint.
Er war schweißgebadet; das Laken unter ihm war so feucht, daß er glaubte, er hätte ins Bett gemacht. Aber das alles war nichts Neues. Daran war er gewöhnt. Nein, das Ende des Traums ließ ihn so schwach und zitternd zurück. Das war anders daran.
Diesmal hatte er geträumt, er hätte geredet.
Und weil er an die Wahrheitstreue von Träumen glaubte, war er entsetzt aufgewacht. S. 9


Lesezitat nach Russell Andrews - Anonymus


Bookinists Buchtipp zu

Wen dieses Thema fesselt und sich vorstellen möchte wie in 40-50 Jahren eine durch ein elektronisches Netzwerk kontrollierte Erde möglicherweise aussehen könnte, der wird von den vier Bänden der Otherland-Geschichte von Tad Williams sich nicht mehr losreißen können.


Otherland

von Tad Williams




Gideon
Russell Andrews - Anonymus

er ist Gideon?

Mit großem Lob soll man sparsam umgehen und eine Rezension schon gar nicht damit beginnen. Doch der neue Thriller "Anonymus" lässt einen diese Regeln einfach unbesehen über Bord werfen. Es muss sofort deutlich gesagt sein: Russel Andrews, leider ein Pseudonym, aber ganz sicher ein begnadeter Autor, hat den Thriller der Saison geschrieben. Es wäre voreilig ihn schon als den Krimi des Jahres zu handeln, doch er gehört mit Sicherheit zu den Top Ten 2001.

Doch zunächst zum Inhalt. Carl Granville ist ein junger, nicht sehr erfolgreicher amerikanischer Autor. Als ihm von seiner Lektorin das Angebot seines Lebens gemacht wird traut er seinen Ohren nicht. "Die Frage lautet: Würden Sie gern eine Viertelmillion Dollar verdienen, eine Nummer eins auf der New Yorker Bestsellerliste haben und vom besten Verleger in New York gefördert werden?" Carl traut seinen Ohren kaum, doch die Dollars locken und er greift zu.

Die Vorlage für sein Manuskript sind Tagebuchaufzeichnungen, die er lediglich ein wenig abändern muss. Neue Namen, andere Schauplätze, doch was er zu lesen bekommt, hat es in sich. Vor vielen Jahren zogen im Süden, irgendwo im Mississippi Delta ein neunjähriger Junge mit seiner Mutter von Stadt zu Stadt, immer auf der Suche nach einem Job. Als die Mutter das zweite Kind bekommt, ist die Hebamme, die bei der Geburt dabei ist, entsetzt. Mit dem Jungen, Gideon genannt, stimmt etwas nicht. Er schreit unentwegt. Eines Tages schreit Gideon nicht mehr. Sein Bruder hat für Stille gesorgt.

Granville arbeitet wie besessen an seinem Buch. Die Handlung hält ihn in Atem, denn er bekommt die Tagebuchseiten nur häppchenweise geliefert. Dass sein Stoff brisant ist, merkt Granville, als seine Lektorin ermordet wird, das Mädchen, das in der Etage über ihm wohnt, tot ist, und jemand seine komplette Wohnung auf den Kopf stellt und seinen Computer mit sämtlichen Dateien zerstört. Als er in den Lauf einer Pistole blickt, weiß er dass sein Buch gefährlich ist.

Wer steckt hinter dieser Geschichte? Carl ist sich sicher, dass höchste politische Kreise Washingtons betroffen sind, schließlich stehen in Kürze Präsidentschaftswahlen an, doch als er tatsächlich den Einsatz, um den das Spiel der Macht gespielt wird erkennt, ist er verblüfft. Es geht längst nicht mehr um militärische Machtblöcke, es geht viel mehr darum, wer in Zukunft die Informationen beherrscht, die über Rundfunk- und Fernsehprogramme verbreitet werden, wer den Menschen die Welt erklärt, ihnen sagt, wen sie wählen sollen, vorschlägt was sie lesen, letztlich was sie denken sollen.

"Anonymus" ist brillante Krimiunterhaltung, mit unvorhersehbaren Verwicklungen, die auch den abgebrühten, coolen Krimi- Leser durch das Buch hecheln lassen. Die deutlichen Ähnlichkeiten zu Bill Clinton und seiner Ehefrau machen das Krimivergnügen perfekt. Und wenn Sie in diesem Jahr nur einen einzigen Krimi lesen, dann greifen Sie zu "Anonymus". © manuela haselberger


Russell Andrews - Anonymus
Originaltitel: »Gideon«, © 1999
Übersetzt von Uwe Anton und Michael Kubiak

gebunden
© 2001, Berlin, Rütten und Loening, 450 S., 22.50 € (HC)
Taschenbuch
© 2003, Berlin, aufbau verlag, 450 S., 8.95 € (TB)

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Fortsetzung des Lesezitats ...

»Etwa eine halbe Million«, sagte Carl mit schwacher Stimme.
»Mindestens.«
Maggie legte den Katalog in die Aktentasche zurück. Dann zog sie einen Umschlag hervor, reichte ihn ihm und bedeutete ihm, ihn zu öffnen.
Er tat, wie geheißen. Darin befand sich ein auf ihn ausgestellter Scheck über 50000 Dollar. Zahler war Quadrangle Publications. Eiij neuer Tochterverlag von Apex, wie Maggie ihm erklärte, der sich auf besonders aktuelle Bücher spezialisieren würde. Gideon würde der erste Titel des neuen Verlags sein. Selbst als erzählende Literatur hatte das Buch Informationswert.
»Wenn Sie ein zufriedenstellendes Manuskript abliefern, bekommen Sie einen weiteren Scheck über Einhundertundfünfzigtausend. Da ich Ihnen weitere Fünfzigtausend für Ihren Roman zahle, machen Sie einen ganz guten Schnitt. Die Verträge werden in diesem Augenblick aufgesetzt. Aber Anwälte brauchen ewig, und ich habe nicht so viel Zeit. Sie müssen sofort anfangen. Und wir müssen Ihnen wohl auch einen neuen Agenten besorgen, nicht wahr?«
Carl war sprachlos. Diese Frau gab ihm den Schlüssel zum Zauberland. Sie sagte: Kommen Sie einfach rein - Sie gehören hierher.
»Also«, sagte sie. »Die Frage lautet: Würden Sie gern eine Viertelmillion Dollar verdienen, eine Nummer eins auf der Bestsellerliste haben und vom besten Verleger in New York gefördert werden? «
Carl mußte darauf nicht antworten. Statt dessen trat er zu einer Wand mit gläsernen Bücherregalen und nahm einen Gegenstand heraus, den er beäugt hatte, seit er die Wohnung betreten hatte. Er hielt ihn in der Hand und streichelte ihn, fast, als wäre er lebendig. Es war eine kleine goldene Statue. Ein Oscar.
»Ist der echt?« fragte er.
»Bei mir ist alles echt«, sagte sie.
»Sie haben den gewonnen?«
»Gekauft. Bei einer Auktion von Christie´s.«
Erlöste den Blick von der Statue und musterte sie verblüfft.
»Warum?« fragte er. S. 52

Senatorin Hearns: Sie wissen, Sir, daß Vizepräsident Bickford im späteren Verlauf des heutigen Tages vor diesem Komitee erscheinen sollte, nicht wahr? Lindsay Augmon: Soweit ich gehört habe, ist er schwer erkrankt.
Senatorin Hearns: So steht es in Ihren Zeitungen. Aber wir sind nicht hier, um Klatsch und Tratsch über den vermutlichen Gesundheitszustand des Vizepräsidenten auszutauschen. Ist Ihnen bekannt, daß Vizepräsident Bickford vor kurzem eine Erklärung abgegeben hat, die folgendermaßen lautet, und ich zitiere: »Moderne Kommunikationsimperien wie das von Lindsay Augmon sind die neuen militärisch-industriellen MachtbIöcke. Eine der größten Gefahren für die amerikanische Gesellschaft und die ganze Welt, besteht darin, daß Apex International bereits soviel von dem kontrolliert, was die Welt liest und sieht. Lindsay Augmon, nicht der Präsident, nicht irgendein Politiker, ist der mächtigste Mann der Welt, weil er auf hinterhältige Art und Weise die Menschen dahingehend beeinflussen kann, zu denken, was sie seiner Meinung nach denken sollen.« Wie denken Sie über diese Erklärung, Mr. Augmon?

Lindsay Augmon: Ich denke erstens, daß ich mich geschmeichelt fühle, weil der Vizepräsident mir soviel Einfluß zuschreibt. Und zweitens bin ich gespannt, welche politischen Pläne für die Zukunft er hat, damit ich die Macht, die er mir zuschreibt, angemessen einsetzen kann. S. 267

Es gab die Möglichkeit, hundert Millionen Fernsehapparate China zu erreichen. Einhundert Millionen Fernsehapparate. Für den Anfang! Für eine Grundgebühr von eintausend Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren. Vernünftig geschätzt.
Und es addierte sich zu ebenso vernünftig geschätzten hundert Milliarden Dollars. Und je eher der Kapitalismus sich der Nation bemächtigte - was ganz sicher geschehen würde, so es in Rußland geschehen war, desto schneller würden aus diesen hundert Milliarden zweihundert Milliarden. Dreihundert Milliarden. Es gab keine Grenze!
Zusammen mit seinen Unternehmungen in Südamerika, Mittelamerika, Indien, im Mittleren Osten und in Europa würde er zwei Drittel der Weltbevölkerung erreichen. Er würde ihnen Rundfunk- und Fernsehprogramme liefern, ihnen Informationen übermitteln, ihnen erklären, wen sie wählen sollten, ihnen sagen, was sie denken sollten. S. 303

»Können Sie sich überhaupt vorstellen, was einhundert Milliarden Dollar bedeuten? Ich habe da aufrichtige Zweifel. Und würde irgend jemand von Ihnen mir glauben, wenn ich erklärte, daß das Geld an und für sich überhaupt nicht der entscheidende Punkt ist? Auch das bezweifle ich entschieden. Wie könnten Sie auch? Aber Tatsache ist, daß es in der heutigen Welt eine Währung gibt, die noch wichtiger, noch entscheidender ist als Geld. Diese Währung lautet Information. Wer kontrolliert den Äther? ? Wer entscheidet, was die Menschen erfahren? Dort liegt die wahre Macht. Und ich bin im Begriff, der mächtigste Mensch der Weltgeschichte zu werden. Ich werde kontrollieren, was Milliarden von Menschen sehen und lesen und denken. Ich werde ihre Regierungen kontrollieren. Ich werde sie kontrollieren. Und glauben Sie mir, das ist keine Science fiction. Das ist die Wirklichkeit.« Er blieb jetzt stehen und fuhr sich ein wenig zerstreut mit einer Hand durch das Haar. S. 436

Lesezitate nach Russell Andrews - Anonymus









Bookinists Buchtipp zu

Russell Andrews

Icarus

© 2003



© 22.3.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de