Mein Mann betrügt mich, ich weiß es genau. Vorgestern
sind wir aus Italien zurückgekommen, Familienostern mit
Gästen, bunten Eiern, Passcha, Piroggen und festlichem
Frühstück, wie gewohnt nach russischer Art. Zehn Tage
Umbrien in der Frühlingssonne, viel Wein, viel Gequatsche, viel Gelächter, auch der Hund bester Laune.
Nichts,
aber auch überhaupt nichts kündigte ein Erdbeben an,
oder mein Seismograph funktionierte nicht. Helmut und
ich reisten am Donnerstag ab, am Wochenende habe er
eine Konferenz in Heidelberg Die Nacht wie üblich in Tübingen und auch das übliche Aufwiedersehen. Ihn rufe die
Konferenz, jetzt gleich, aber in München, nicht in Heidelberg, der Zug fahre in zwei Stunden. Mich ruft Berlin, der
Schreibtisch mit dem erst zu einem Drittel fertigen Sachbuch. Er komme wahrscheinlich schon in dieser Nacht zurück, spätestens am Montag sähen wir uns in Berlin. Kuss,
danke schön, ein Krauler für den Hund. Wir telefonieren,
heißt die Formel für bis bald.
In Berlin die Katastrophe, der GAU, wie lächerlich im
Nachhinein. Um das Haus steht ein Gerüst, die Bauarbeiten sind monatelang angekündigt, wer hätte an einen
Ernstfall noch gedacht. Die Fenster sind mit grünen Plastikfolien verklebt, die Sonne scheint herein, und es sieht
aus wie im Leichenschauhaus. Anruf in Tübingen, natürlich Anrufbeantworter. Helmut, Helmut, die Katastrophe,
der Ernstfall, der GAU, wie soll ich denken, schreiben,
wenn der Presslufthammer dröhnt und Mikrostaub sich
durch Plastikfolien und geschlossene Fenster auf den
Computer legt. Hilfe, Trost, wenigstens ein paar aufmunternde Worte, ich warte, Italien war so schön.
Keine Reaktion am Samstag, keine am Sonntag, keine
Reaktion am Montag, wie gemein. Anruf im Institut. Der
Herr Professor ist in Berlin, weiß die Sekretärin. Aber der
Herr Professor ist nicht in Berlin und kommt auch nicht
wie angekündigt am Montagabend. Dafür ein Handygespräch mit unserem Sohn. Er komme 24 Stunden später
als geplant, informiert er Andreij, also Dienstagabend, es
tue ihm Leid, es habe Verzögerungen gegeben, aber am
Mittwoch, dies wisse er genau, könne er ihn zu seinem
Prozess um den Autounfall in Tschechien begleiten. Grüße
an Maja, er freue sich, uns bald zu sehen.
Dienstagabend erscheint er dann. Freundlich, die Arme
weit geöffnet. Das Berufsleben ist eben so, immer kommt
was dazwischen. Ich bin wie gefroren, ich weiß, er lügt.
Meinen Katastrophenanruf will er nicht empfangen haben.
Was, ein Baugerüst steht vor dem Haus? Er hat es beim
Hereinkommen nicht einmal gesehen. Mit seiner Verspätung solle ich mich nicht anstellen, er habe mir seine Terminschwierigkeiten doch aufs Band gesprochen.
Hast du
nicht.
Habe ich doch.
Hast du nicht.
Habe ich doch.
Hast
du nicht.
Ein blödes Geplänkel ist es, ein lächerlicher Nebenschauplatz. Ich gehe wütend ins Bett, für ihn stehe die
Gästekammer bereit. Zum Prozess würde ich nicht mitkommen, ein Elternteil reiche für einen 27-Jährigen, der
selbst bald Vater wird.
Das Landgerichtsurteil fällt milde aus, Andreij, die
schwangere Beinaheschwiegertochter und Helmut gehen
frühstücken. Ich komme hinzu, meinem Mann kann ich
nicht in die Augen sehen, picke ihm nur ein wenig Rührei
vorn Teller. Ein Gespräch will nicht in Gang kommen, auch
in der schönen Altbauwohnung nicht, mit dem ekligen
Gerüst und der grünen Plastikfolie vor den Fenstern.
Die Großflasche Dior Parfüm, Marke Opium, die ich am
Morgen auf dem Küchentisch gefunden habe, will ich
nicht annehmen. Ich brauche keine Blumen aus Bangkok,
und obendrein ist es die falsche Sorte. Ich versuche Business as usual, korrigiere ein wenig das Sachbuch, tue so,als ob mich die amerikanische Besatzungszeit ernsthaft interessiere. Ja, du hast Recht, sagt er plötzlich und zündet
sich die zehnte Zigarette an diesem späten Vormittag an,
ich habe dich belogen. Ich war nicht in Tübingen. Aber die
Wahrheit könne er mir im Moment nicht sagen. Vielleicht
später. Aber ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Alles sei ganz anders, als ich denke. Es gebe keine Liebe neben mir. Wirklich nicht. Aber es gebe da eine Ausnahme.
Oder eine Ausnahmesituation. Mit mir habe sie nichts zu
tun, rein gar nichts. Wieso auch? Er habe immer nur mich
geliebt, liebe nur mich. Er will mich umarmen, aber ich stehe vom Schreibtisch nicht auf. Von seinen Einmetervierundneunzig beugt er sich herunter, streichelt meine Brüste, ach Susi, Süße, glaub mir, es ist nur eine Ausnahme,
mehr kann ich jetzt nicht sagen.
Ich bleibe cool und pädagogisch und sitzen, es fällt mir
nicht leicht. Er solle bitte wieder nach Tübingen fahren, er
dürfe wiederkommen, wenn er wieder beieinander sei, er
sei ja gar nicht mehr er selber. Auch ich würde ihn lieben,
im Prinzip natürlich, nicht immer und zu jeder Zeit, das
wisse er doch. Das müsste er doch wissen, wenn er nicht
total bescheuert sei. Aber im Moment könne ich ihn nicht
ertragen, sein Gestottere sei zu dämlich und das Gerede
von der Ausnahme erst recht.
Er fährt tatsächlich ab, die Umarmung an der Tür ist
traurig. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter, seinen
Kuss erwidere ich nicht. Er ist weg. Ich vermisse ihn schon
eine Minute später.
Lesezitat nach Anita Lenz - Wer liebt, hat Recht. Die Geschichte eines Verrats