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Am 11. März 2002 ist Marion Dönhoff im Alter von 92 Jahren auf Schloss Crottorf (Hamburg) gestorben. Über ein halbes Jahrhundert war die Gräfin das moralische Rückgrat, die seelische Achse der Wochen- zeitung "Die Zeit".
Zwei ihrer Wegbegleiter und engsten Vertrauten, Haug von Kuenheim und Theo Sommer, haben in den letzten Monaten ihres Lebens zahlreiche Gespräche mit ihr geführt. Noch einmal sagte sie, was ihr im Leben wichtig war und was sie weitergeben wollte an die Nachwelt. Wie hielt sie es mit der Religion? Was dachte sie über die Monarchie als Staatsform, über die noch immer unvollendete Demokratie in Deutschland? Gab es für sie ewige, unverrückbare Wahrheiten? Welche Spielregeln braucht die Gesellschaft, welche Normen ein Gemeinwesen? Es waren lange Gespräche, unterbrochen von Pausen, die die Krankheit erzwang: ein öffentliches Testament. Es blieb unvollendet; der Tod vereitelte den Abschluss. Dieses nachgelassene Buch nimmt auch die wichtigsten Texte aus ihren letzten Lebensjahren auf: Reden, Dankesworte, Aufzeichnungen. Es eröffnet Einblick in die letzten Gedanken einer eindrucksvollen Frau.
Haug von Kuenheim arbeitete über Jahrzehnte verantwortlich in der "Zeit", Theo Sommer war viele Jahre Chefredakteur und Mitherausgeber der "Zeit".

Klappentext
Siedler -Verlag



Was mir wichtig war
Marion Gräfin Dönhoff - Was mir wichtig war

nter dem Titel "Was mir wichtig war " haben ihre Freunde und Kollegen aus der ZEIT - Redaktion, Theo Sommer (viele Jahre Chefredakteur und Mitherausgeber) und Haug von Kuenheim (langjähriger Mitarbeiter) das Vermächtnis von Marion Gräfin Dönhoff publiziert.

Darunter finden sich eine Reihe bisher unveröffentlichter Reden, die sie beispielsweise alljährlich an der nach ihr benannten polnischen Schule, dem Gymnasium in Mikolajki, zur Abitursfeier gehalten hat. Ebenso enthalten sind ihre bekannten Artikel "Ritt gen Westen" oder "Die Männer des 20. Juli".

Aber am lebendigsten und eindringlichsten sind die Gespräche, die die beiden Herausgeber noch kurz vor ihrem Tod mit ihr führen konnten. Hierbei geht es um große Themen, die Marion Gräfin von Dönhoff lebenslang bewegten: Staatsform und Gesellschaft, der Mensch und die Religion sowie Gleichheit und Freiheit?

Die drei Gesprächspartner führen einen sehr lebendigen Gedankenaustausch und bewundernswert ist die große Gelassenheit, mit der die Gräfin die Dinge bewertet.

Als eine Art Vorbild für sehr viele Menschen nennt sie Richard von Weizsäcker. "Er denkt eine Schicht tiefer, eine Dimension weiter als die meisten anderen Leute." (S.35) Auch wenn sie einschränkt: "Die Gesellschaft ist heute so aufgefächert, dass es ein Vorbild für alle eigentlich gar nicht mehr geben kann."

Sehr rigide wendet sie sich gegen den alles überwuchernden Kapitalismus und verlangt, wie schon in ihrem letzten Buch "Zivilisiert den Kapitalismus" ein entschiedenes Vorgehen dagegen.

Es sind nicht mehr alle Gesprächstermine zustande gekommen, der Tod war schneller. Marion Gräfin Dönhoff, eine Frau, die mit ihrem Handeln und Denken Maßstäbe setzte, starb am 11. März 2002. Was bleibt, sind die Gedanken der Grande Dame.
manuela haselberger



  Marion Gräfin Dönhoff -
  Was mir wichtig war
 
  © 2002, Berlin, Siedler Verlag, 202 S., 18 €

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Staatsform und Gesellschaft

Eines ihrer Bücher trägt den Titel " Von Gestern nach Übermorgen". ihr Leben umspannt fast das ganze 20. Jahrhundert bis hin zum stürmischen Übergang in das 21. Jahrhundert. Als Sie geboren wurden, gab es noch den Kaiser in Deutschland.

Ja, den habe ich ja noch gesehen.

Sie haben ihn gesehen, als er schon im Exil war?

Ja. In Doorn. Wir besuchten gute Freunde von uns. Die hatten eine enge Beziehung zum Kaiser und sagten: Kommt doch mit, wir fahren morgen zu ihm an die Zuidersee. Und da sind wir mitgefahren.

Welche Rolle spielte das Kaiserhaus, spielte Wilhelm II. für ihre Familie?

Für meine Mutter eine große, weil sie ja als Palastdame viel bei Hofe war und die Kaiserin sehr liebte, die umgekehrt auch sie gern mochte.

Was hieß das denn konkret: " Palastdame "? Lady-in-waiting?

Nein, Lady-in-waiting ist, glaube ich, nicht die richtige Beschreibung. Es war keine Funktion mit dem Titel verbunden.

Ihre Mutter musste nicht regelmäßig an Ort und Stelle sein und der Kaiserin die Zöpfe flechten?

Nein, nein. Palastdame war mehr ein Titel als eine echte Funktion. Mein Vater stand weit darüber, der fand das Hofleben vollkommen blöde. Er fand alles Kokolores.

Was fand er Kokolores? Den Betrieb bei Hofe? Die Monarchie an sich? Oder diesen Kaiser?

Wahrscheinlich mehr dieses auf die Minute festgelegte Protokoll. Dass man um Punkt 12.12 Uhr dies oder jenes tun musste und dass alles so bürokratisch geordnet war, fand er schrecklich.

Aber er war letztlich doch ein Monarchist?

Ja.

Die Monarchie wurde nicht in Frage gestellt?

Das weiß ich natürlich nicht, weil ich noch sehr klein war, aber ich glaube nicht, dass er die monarchische Ordnung ändern wollte.

Sie waren zehn Jahre alt, als der Kaiser ins Exil über die holländische Grenze gegangen ist. Herrschte da große Betroffenheit im Hause? Hatten die Dönhoffs das Gefühl: Dies ist das Ende der Welt? Das Ende unserer Welt?

Nee, eigentlich hat man rein gefühlsmäßig eher gedacht: Das hätte er längst machen können, der Kaiser. Er war ja aus allen möglichen Gründen sehr angefochten, und es musste ziemlich auf ihn eingeredet werden, dass er überhaupt wegging.

Herrschte nicht eine Art Weltuntergangsgefühl, weil das Deutsche Reich den Krieg verloren hatte und für die Niederlage in Versailles dann bitter bezahlen musste?

Das war sicher der Fall. Man wusste ja auch gar nicht, wo es hingeht, so wie heute eigentlich auch. Kein Mensch wusste, was Demokratie ist. Ein Onkel von mir sagte über einen Verwandten: "Ach, das ist auch so ein verfluchter Demokrat" - bloß weil er das System ändern wollte. Infolgedessen wollte man die Demokratie nicht.

Weil sie die Monarchie abschaffte?

Weil sie den Kaiser abschaffte und die alte Hierarchie obendrein. Auch die, die nachher eigentlich gerne Demokraten waren, hatten ja zunächst nicht gewusst, was Demokratie bedeutet.

Griffen denn die Revolutionswirren auf Ostpreußen über bis hin nach Friedrichstein, oder herrschte weiter die alte Ordnung?

Auf Königsberg ja, aber auch nicht schrecklich furios.

Auf dem Land blieb alles beim Alten - mehr oder weniger?

Mehr oder weniger.

Können Sie sich an einen Zeitpunkt erinnern, an dem Sie sich bewusst mit dieser Frage "Konstitutionelle Monarchie oder demokratische Republik" auseinander gesetzt haben?

Wir alle, meine Geschwister auch, waren eigentlich aufsässig gegen die Obrigkeit, und das ganze Getue mit dem Kaiser und der Kaiserin fanden wir ein bisschen lächerlich.

Andererseits waren die Dönhoffs doch eng verbunden mit der Geschichte Preußens.

Das ja. Preußen verehrte man sehr, aber da fanden viele eben, dass Wilhelm II. schon ein Abstieg war. Das war ja auch wirklich so.

Aber Wilhelm I., der war noch ein richtiger Preuße?

Ja, der war ein Preuße, zwar ein etwas fantasieloser, dennoch ein makelloser Preuße. Wilhelm II. hingegen hat viel Blödsinn verzapft.

Das wusste man? Darüber redete man auch?

Seine öffentlichen Reden waren doch fürchterlich. Denken Sie nur an die berüchtigte Hunnenrede, mit der er 1900, während des Boxeraufstands, das deutsche Expeditionskorps nach China verabschiedete. Natürlich war man da empört. Die "Daily Telegraph"-Affäre spielte sich ein Jahr vor meiner Geburt ab. Da sagte der Kaiser über die Engländer: Sie sind verrückt wie die März-Hasen.

Ein Bruch war doch wahrscheinlich die Jahrhundertwende.

Die Jahrhundertwende ist ja immer ein Einschnitt, war es auch diesmal. Da sagen die Leute dann immer: Jetzt ändert sich alles, jetzt werden wir bestraft für unsere Sünden. Das ist stets eine Zäsur.

Sie haben oft darüber geschrieben oder davon erzahlt, wie nach dem gewonnenen deutsch franzosischen Krieg von 1870/71 Ihr Großvater das Gefühl hatte, dass das alte Preußen aufgehört hatte zu existieren.

Auch mein Vater beklagte, dass in der Gründerzeit das Geld zum Maßstab aller Dinge wurde.

Heißt dies, dass Preußen und die preußischen Tugenden gebunden waren an die feudale Agrargesellschaft? Und dass es mit Preußen zu Ende ging, als mit der Industriegesellschaft plötzlich große Unternehmen entstanden, die auf den Proftt achten mussten?

Es gab da gewiss eine bestimmte Beziehung. Die hierarchische Gesellschaft war ständisch gegliedert. Jedem Stand war eine bestimmte Aufgabe zugewiesen - dem Adel die Gestellung der Offiziere, dem ehrbaren Kaufmann der Handel und so weiter. Jeder hatte seine Art Verpflichtung.

In dieser ständischen Ordnung gehörten Sie einer privilegierten Schicht an.

Ja. Nur war dieses Privileg nicht so famos, wie viele heute denken, weil unsere Altvorderen natürlich kolossal viel dafür leisten mussten. Sie erhielten furchtbar wenig Geld und mussten dennoch ständig präsent sein. Jedes Privileg hat eben seinen Preis, umsonst gibt es nichts.

Man hat sich seine Privilegien verdient durch Selbstverpflichtung oder Verpflichtung gegenüber dem Staat?

Man musste sich standesgemäß benehmen, sonst flog man raus. Wenn zum Beispiel ein Adliger sich scheiden ließ, dann musste er verschwinden. Dann hieß es rüde: Er muss ab nach Amerika. Das war eine Art Verbannung.

Herrschte da nicht eine große Heuchelei?

Eigentlich nicht. Der Kodex war doch akzeptiert. Es gab Seitensprünge, gewiss. Aber es gab keine Korruption im heutigen Sinne.

Gab es Verpflichtung, die schon den Kindern auferlegt wurden?

Ja, es hieß immer: Das tut man nicht, oder das tut man. Und was das war, das sagten die Erwachsenen an.

Trotz Ihrer Aufsässigkeit, Gräfin, nahmen Sie das ernst? Die gegebenen Regeln, "das tut man, und das tut man nicht" - wurden sie eingehalten?

Ja, die wurden von uns akzeptiert. Aber das waren im Grunde keine anderen Regeln als jene, die auch für das einfache Volk galten. Ob man lügen darf ob man für Fehler gerade steht - das war alles geregelt durch die Zehn Gebote. Das war eben sehr einfach.

Sie haben ein wunderschönes Büchlein geschrieben über "Preußen - Maß und Maßlosigkeit". Ein andermal schrieben Sie über Preußen und seine Pervertierung. Wie viele Preußenbilder haben Sie im Kopf? Was ist das wahre Preußen, das auch heute uns noch Vorbild sein sollte oder konnte? Was ist das pervertierte Preußen?

Das pervertierte ist das von Adenauer, der ein Zerrbild benutzte, um sich zu legitimieren.

Und das wahre Preußen?

Ich bin ein großer Verehrer Friedrichs des Großen. Wenn man den richtig liest und nicht mit den Vorurteilen seiner Gegner, dann muss man schon sagen: Echtes Preußentum war eine Kultur; eine Moral.

Der Mann hat philosophiert, er hat komponiert, er hat musiziert, er hat auch böse Eroberungskriege geführt.

Zunächst einmal galt damals natürlich Hegemonie, galt Landerwerb überall als große Sache. Alles andere war unwichtig. Man muss das schon auch innerhalb der Zeit sehen.

Wie Sie es schildern, ist der preußische Gedanke erst später pervertiert worden, am schlimmsten von Adolf Hitler: Aber es gab ja nicht nur das Allgemeine Preußische Landeecht, sondern es gab auch die Prügelstrafe, und es gab den Kadavergehorsam...

Das alles hat Friedrich der Große sofort abgeschafft, in den ersten fünf Tagen nach seiner Thronbesteigung, Prügelstrafe und alle diese Dinge.

Kann man denn von diesem Preußen, das Ihnen vorschwebt, etwas in die Gegenwart hinüberretten? Die letzten, die im Sinne Ihres Preußentums regierten, waren ja wohl die Männer des 20. Juli. Heute ist von diesem Geist wenig zu spüren.

Die Stimmung schlägt ja auch schon wieder um. Sehr oft höre ich von jungen Leuten bei Diskussionen: Wir denken genau so wie Sie. Aber was sollen wir nun machen? Dann sage ich immer: Man kann gar nichts machen, man kann kein Gesetz verabschieden, keine Verordnung erlassen, man kann nur hoffen, dass nach dem dialektischen Gesetz, das in der Geschichte waltet, eines Tages den Leuten nicht mehr nur Geld und Macht wichtig sein werden und preußische Tugenden wieder auf die Tagesordnung kommen.
S. 17-23
Lesezitat nach Marion Gräfin Dönhoff - Was mir wichtig war




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