Eine Küstenlandschaft in Brasilien. Ein großer Schwarm von Vögeln fliegt kreischend vom Meer auf und der Abendsonne entgegen. Die Berge und der Dschungel am Horizont. Eine Blende in die Silhouette der Freien und Hansestadt: 1858 bringt ein Schiff ein junges Mädchen von Brasilien nach Lübeck.
Die engen Gassen unter den Spitzgiebeln. Annäherung über den alten Markt vor der Marienkirche an das Buddenbrookhaus, wie es heute genannt wird. Ein Schlachter hackt das Fleisch auf dem Block zurecht, Fische werden prüfend angehoben - das lebendige dampfende Lübeck im späten 19. Jahrhundert.
Oben im ersten Stockwerk des alten Patrizierhauses schließt eine schöne dunkelhaarige Frau die Fenster. Es ist Julia da Silva Bruhns, die elf Jahre nach ihrer Ankunft aus Parati 1869 in Lübeck die Ehe mit dem Kaufmann, Senator und Konsul Thomas Johann Heinrich Mann eingeht. Zwei Welten treffen aufeinander. Norden und Süden, Ordnungssinn und Leidenschaft. Das wird das Erbe in dieser Familie. Der Senator und die schöne Halbbrasilianerin haben fünf Kinder.
Über eine alte Aufnahme des Ehepaars blenden wir in das Wohnzimmer, in dem sich die Großfamilie vor einer gemalten Tapetenwand für den Fotografen aufstellt. Der Vater tritt in Eile als Letzter hinzu. Er blickt auf die Uhr. Der Fotograf öffnet den Verschluss der Kamera.
Das Familienbild zeigt: Mutter Julia mit Nachzügler Viktor auf dem Arm und die Kinder Heinrich (19 Jahre), Thomas (15 Jahre), Lula (13 Jahre) und Carla (9 Jahre).
Die beiden ältesten Söhne, Heinrich und Thomas, werden Schriftsteller. Thomas heiratet 1905 in München Katia Pringsheim, Tochter aus reichem jüdischem Elternhaus. Die beiden bekommen sechs Kinder. Erika und Klaus werden 1905 und 1906 geboren, 1909 und 1910 folgen Golo und Monika und schließlich 1918 und 1919 Elisabeth und Michael.
In München hat sich Thomas Mann noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Villa ganz nach seinen Vorstellungen bauen lassen. Ein Großbürgerhaus mit Köchin, Kinderfrau, Stubenmädchen und Chauffeur. Der "Verfall einer Familie", wie die Geschichte der Buddenbrooks im Untertitel heißt, verkaufte sich gut genug. In der Poschingerstraße 1 wird ein weiterer großer Roman, Der Zauberberg, abgeschlossen, hier werden die sechs Kinder aufwachsen, ihre Schulzeit verleben oder, die Älteren, immer wieder dorthin zurückkehren. Bis zum Jahr 1933, dem Beginn des Exils, bleibt "die Poschi" das Lebenszentrum der Familie.
Nach der Vertreibung der Manns durch die Nazis wurde die Villa enteignet und schließlich im Krieg weitgehend zerstört. Klaus Mann wird 1946 als amerikanischer Soldat der Familie darüber berichten. Auf dem Grundriss des alten Hauses und unter Verwendung des Mauerwerks im ersten Stock entstand dann eine Art Neubau, der noch heute existiert und die ursprüngliche Anlage des Hauses vage erkennen lässt. Dieser Bau steht schon einige Jahre leer, als wir 1999 für eine Besichtigung mit
Elisabeth Mann Borgese von den Besitzern die Schlüssel bekommen.
An einigen dicht wuchernden Büschen vorbei bahnen wir uns einen Weg in den hinteren Teil des Gartens. Elisabeth hat anfangs große Schwierigkeiten, sich zu orientieren. "Das sieht alles sehr anders aus. Sehr anders! Abgesehen von der Terrasse, die war natürlich an dieser Stelle. Aber das hier war ein schöner quadratischer Rasen mit einem Kiesweg drum herum. Und dort stand ein großer Kastanienbaum..." Elisabeth Mann schaut jetzt genauer auf die Treppen, die vom Garten über die Terrasse in das Arbeitszimmer ihres Vaters führten. Und ihr Blick scheint die Szene aus den zwanziger Jahren unmittelbar heraufzubeschwören.
Ein altes Filmdokument zeigt uns, wie es hier vor 80 Jahren ausgesehen hat. Thomas Mann schlendert beiläufig aus seinem Arbeitszimmer die Treppe hinunter. Unten im Garten wird die etwa zwei Jahre Elisabeth zu ihm ins Bild geschickt. Eine zufällige Begegnung, die sich die Kameramänner der Wochenschau ausgedacht haben. Die Kleine wackelt auf den Vater zu, der sie erfreut hochhebt und auf seinen Arm nimmt. Eine Naheinstellung holt sein fröhliches Lächeln heran S. 9-11
Lesezitate nach Heinrich Breloer, Horst Königstein - Die Manns