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Eine Lehrerin zieht Bilanz Marga Bayerwaltes - Große Pause!
arga Bayerwaltes ist Lehrerin an einem Gymnasium und leistet sich den Luxus
eines Sabbatjahres. Nein, verfallen Sie jetzt bitte nicht in das übliche
Fahrwasser: Ach Gott, natürlich, wieder eine gestresste Beamtin, die
sich über ihren unerträglich harten Job beklagt, dabei kann sie
sich vor Ferien nicht retten und bekommt dazu mit ihrem Anspruch auf Pension
genug Geld für ihren Job. Und sogar noch ein ganzes Jahr frei. Die
Fortschreibung dieser Vorurteile bringt uns keinen Schritt weiter.
Im Gegenteil: Marga Bayerwaltes nutzt diese Zeit als Gelegenheit zu einer
persönlichen Rückschau und kritischen Bestandsaufnahme. Die Erkenntnisse
ihrer Überlegungen sind nun in ihrem Buch "Große Pause" nachzulesen.
Es
ist schon erschreckend, wenn sie einen normalen Schultag aus ihrer Sicht
beschreibt. Kaum ein Erwachsener wäre erpicht darauf, sich ständig
und vor allem liebevoll mit diesen "unerzogenen, frechen, egozentrischen,
verhaltensgestörten Monstern (Klasse 5 und 6), die uns auf den Fluren
in ihrem wilden Aktionismus oft genug wie ferngesteuerte gefährliche
Roboter" begegnen, jeden Tag aufs Neue auseinander zu setzen. Doch genau
darum handelt es sich beim Lehrerberuf heute. Ehrlich, keine leichte Aufgabe.
Wen wundert, dass "viele Lehrer den Kontakt mit ihren Schülern (Feindberührung)
auf das absolute Minimum beschränken?
Wer bereit dazu ist, sich einmal unvoreingenommen den Problemen an unseren
Schulen zu widmen, schließlich geht es nicht zuletzt um unsere Kinder,
der wird Marga Bayerwaltes Ausführungen sehr interessiert lesen. Denn
sie bewältigt das Kunststück, einerseits ein fundiertes Sachbuch
zu verfassen, das sich mit dem Problemfeld Schule in seiner vielfältigen
Ausprägung beschäftigt, andererseits spart sie nicht an persönlichen
Ausführungen. Sie selbst ist Mutter einer zehnjährigen Tochter
und auf der Suche nach einem neuen Impuls in ihrem Leben. So erhält
ihr Buch auch einen privaten Tagebuch-Charakter.
Wohlfeile Patentrezepte, wie sie nach den katastrophalen Ergebnissen der
PISA-Studie nun im Schnellgang überall gesucht werden, nach denen
wird man in diesem Buch vergeblich Ausschau halten. Die gibt es schlicht
auch nicht. Allerdings bietet Marga Bayerwaltes eine Fülle von Denkanstössen,
wie das Leben von Lehrern und Schülern in Zukunft etwas erträglicher
gestaltet werden könnte. Der heute verfolgte Plan, das Wissen der
Schüler an ökonomischen Forderungen großer Industriebetriebe
auszurichten, wird sich als Irrweg erweisen, wenn nicht dafür gesorgt
ist, dass die Schüler in ihrem späteren Berufsleben auf eine
vielseitige Bildungsreserve zurückgreifen können; damit sind
vor allem musische und künstlerische Inhalte gemeint. Fachwissen wird
sich jeder in großem Umfang lebenslang auch ohne Lehrer selbst aneignen
müssen
"Mit der Vorbereitung der Kinder auf das Leben sollten wir es in Zukunft
so halten, als stünde eine große Hungersnot bevor: Wir werden
sie nicht mehr hungern lassen, damit sie sich frühzeitig an den Hunger
gewöhnen, sondern wir werden sie mit allem war wir haben, so gut füttern,
dass sie rund und gesund, groß und stark werden und noch lange von
ihren Reserven zehren können." Fernsehgeräte, Computer oder Internet
werden diese Pflicht nicht übernehmen können.
Alles
in allem richtet sich "Große Pause" nicht nur an die Berufsgruppe
der Lehrer, sie werden sich verstanden, aber auch motiviert fühlen,
sondern selbstverständlich auch an Eltern, die sich mit dem Ort, an
dem sich ihre Kinder so viele Stunden aufhalten, beschäftigen möchten.
Geschrieben
ist das Buch so, wie wir alle uns eine gelungene Unterrichtsstunde vorstellen:
Gut verständlich, mit persönlichen Anmerkungen und Erfahrungen
angereichert, die uns ermutigen, Erziehung nicht als lästige Pflicht
zu begreifen. Dienstagmorgen, 9.35 Uhr. Erste Große
Pause. Dauer:zehn Minuten.
Ich bin auf dem Weg in die Bibliothek.
Möchte dort ein paar Minuten allein sein und zur Ruhe kommen, denn
in der nächsten Stunde muss ich unbedingt in guter Verfassung sein.
Ich hin schon fast an der Tür, da sagt plötzlich jemand hinter
mir: - Marga? Wo willst du denn noch hin? Du hast Aufsicht!
Oh nein, das darf nicht wahr sein!
Das hab ich vollkommen vergessen! Schnell bedanke ich mich beim Theo für
den Hinweis, drehe um und renne die 500 Meter bis zum Altbau, Flur AI,
Unterstufentrakt. Die schwere Büchertasche habe ich zu allem Überfluss
auch noch dabei.
Auf A1 hat sich der Inhalt der vier
Fünferklassen schon auf den Flur ergossen. Ein unüberschaubares
Gedränge, Gerenne, Geschubse und Geschrei. Der Flur liegt fast völlig
im Dunkeln. Wir sind eine umweltbewusste Schule, und manche Kollegen machen
überall, wo sie hinkommen, erst mal das Licht aus. Ich gehöre
zu denen, die das Licht überall wieder anmachen. Einer unserer zahllosen
stillen Kämpfe.
Sofort sehe ich die Katastrophe. Ein
Schüler liegt verletzt am Boden. Windet sich vor Schmerz. Ein anderer
kniet vor ihm. Oder auf ihm. Ein kleiner Halbkreis hat sich um die beiden
gebildet. Ich lasse meine Tasche fallen, stürze hin, schiebe die Herumstehenden
beiseite. Was ist passiert? Er antwortet nicht. Das Gesicht schmerzverzerrt.
Bist du verletzt?
Ich selbst komme nur langsam wieder
auf die Beine. Mein linkes Knie tut seit heute Morgen wieder sehr weh.
Ganz hinten, am Ende des Flurs, jetzt
lautes Getöse. Ich Ich kämpfe mich durch. Drei, vier Schüler
stemmen sich mit aller Kraft gegen die Klassentür und halten sie von
außen zu. Von innen tritt ein Wahnsinniger mit voller Wucht dagegen.
Gleich wird die Tür bersten oder aus den Angeln fliegen.
Ich gehe und suche auf dem Flur nach
meiner Tasche. jemand hat ihr einen Tritt verpasst; sie liegt irgendwo
in einer Ecke, ein Buch und ein paar lose Blätter sind herausgerutscht.
.Rasch sammle ich alles vom Boden auf und stopfe es wieder hinein. Dann
gehe ich in den Unterricht. Philosophie in der 12. Klasse. Kants Ethik.
Auf meinem Weg durch die endlosen Flure
denke ich voller Verzweiflung: Warum beschäftigt man für diese
Überwachungsaufgaben keine externen Hilfskräfte; Es gibt genug
Leute, die diesen (ob für ein paar Mark gut und gern erledigen würden.
Irgendetwas zwischen arbeitslosem Sozialarbeiter mit pädagogisch wertvollen
Pausenspieldeen und zur Bewährung entlassenem Profikiller. Alles wäre
besser als Lehrer, die erschöpft aus dem Unterricht kommen und statt
einer Tasse Kaffee einen Schmetterball aufs Ohr kriegen, um dann bis zum
Anschlag geladen in die nächste Stunde zu gehen.
Meine persönliche, wenig attraktive
und keinesfalls zur Nachahmung empfohlene Selbsthelfer-Lösung sah
am Ende so aus: Ich habe die Aufsichten nicht mehr gemacht. Ich konnte
mir diesen zusätzlichen Ärger in der kurzen Pause zwischen anstrengenden
Stunden einfach nicht mehr leisten. Im letzten Schuljahr habe ich alle
Pausen, in denen ich Aufsicht gehabt hätte, still versteckt in einer
Toilette verbracht. S. 19-21
Lesezitate nach Marga Bayerwaltes
- Große Pause! |
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©15.4.2002 by Manuela Haselberger Quelle: http://www.bookinist.de |