"Anonymus - Wohin mit Vater"

Wohin mit Vater
"Anonymus - Wohin mit Vater"

ls der Anruf von der Schwester kommt, stürzt der Sohn aus allen Wolken: die Mutter hat einen Zusammenbruch erlitten, es besteht Lebensgefahr. Bis der Sohn im Elternhaus eintrifft ist die Mutter tot - Herzinfarkt. Es bleibt jedoch keine Zeit zur Trauer, denn das nächste Problem stellt sich in unübersehbarer Größe. Der Vater, Mitte achtzig, der seit fünf Jahren nicht mehr allein gehen kann und von der Mutter fürsorglich betreut worden war, kann nicht alleine leben. Der Sohn und die Tochter versuchen mit aller Kraft eine befriedigende Lösung zu finden.

Wollen sie wirklich, dass ihr Vater, ein ehemaliger Architekt und eigenbrötlerischer alter Mann, der sehr gerne in seinem selbst entworfenen Haus bleiben möchte, in einem Heim untergebracht wird? Nachdem sie zwei Pflegeheime besucht hatten, die trostlosen Zimmer in Augenschein genommen und den unverwechselbaren Geruch eingeatmet hatten, packte sie das blanke Entsetzen. Eine solche Lösung möchten sie dem Vater und sich selbst nicht zumuten.

Sollte die Schwester den Vater pflegen? Sie wohnt am entgegengesetzten Ende der Stadt, ist seit einigen Jahren wieder berufstätig und hat eigentlich keinen Platz in ihrem Haus. Doch war es nicht schon immer die Aufgabe der Frauen die Arbeit in der häuslichen Pflege zu übernehmen? Und wenn sie diese Aufgabe für sich ablehnt, wohin mit dem schlechten Gewissen?

Von staatlicher Seite werden für diesen Fall nur unzureichende Hilfen angeboten, die darüber hinaus kaum finanzierbar sind. Denn eine 24 Stunden Betreuung mit einem Pflegedienst in drei Schichten, würde pro Monat unerschwingliche 10.000 EUR kosten.

Der Sohn findet schließlich eine halbwegs befriedigende Möglichkeit, doch weil diese nicht der Legalität entspricht, muss er sein Buch anonym schreiben, um möglichen strafrechtlichen Verfolgungen zu entgehen. Aus Polen engagiert er eine Haushälterin, die in Deutschland zu einem viel geringeren Preis schwarz arbeitet und den Vater betreut. Sicher keine optimale Lösung, doch zumindest kann der Vater auf diese Weise in seiner gewohnten Umgebung bleiben und ist nicht auf sich alleine gestellt.

Das ganze Buch "Wohin mit Vater" nennt keine Namen, bleibt neutral, denn "der Vater, die Tochter, der Sohn - sie können alle sein, weil sich diese Frage allen stellen kann und fast allen stellt." Doch um so deutlicher zeigt es die skandalösen Fakten des Pflegesystems. Es ist erschreckend, dass bei wachsender Zahl der Alten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten keine halbwegs vernünftigen staatlichen Modelle auch nur in der Diskussion sind und die Lösung dieses Problems vollkommen der privaten familiären Initiative überlassen bleibt. Der Vater selbst kommt im Buch kaum zu Wort, manchmal meint man, er wird nur wie ein Paket herumgeschoben, ohne selbst die Möglichkeit zu haben sich zu seiner Situation zu äußern. Mit seiner Gebrechlichkeit und in seiner Trauer ist er völlig darauf angewiesen, dass die Kinder eine adäquate Lösung finden.

"Wohin mit Vater" zeigt gravierende gesellschaftliche Missstände im Bereich der Pflege, die keinesfalls auf Dauer so hingenommen werden können und uns alle betreffen, denn heute suchen wir einen Platz für unsere Eltern und in einigen Jahren sind es unsere Kinder, wenn wir überhaupt noch welche haben, die für uns diesen Platz aussuchen werden.
manuela haselberger

Anonymus -    Wohin mit Vater     Originaltitel: »«, © 2001     Übersetzt von     © 2007, Frankfurt, S. Fischer Verlag, 190 S., 16.90 € (HC)     ISBN-13 9783100617064               gebundenes Buch
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