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Die Tätowierung
Helene Tursten - Die Tätowierung

Helene Tursten kommt aus Schweden und ihre sympathische Inspektorin Irene Huss ermittelt bereits in ihrem dritten Fall. Allein das sind beste Voraussetzungen, um im kriminellen literarischen Milieu erfolgreich zu sein. Begonnen hat alles sehr zaghaft im Taschenbuch mit "Der Novembermörder", das jedoch in kurzer Zeit zu einem heimlichen Bestseller der Leser avancierte. Dann folgte "Der zweite Mord" und nun wird der endgültige Durchbruch mit dem Hardcover "Die Tätowierung" erwartet.

Als eines Morgens am Fjordufer von Göteborg der Torso einer unbekannten Person entdeckt wird, steht die Truppe von Irene Huss vor einem Rätsel. Wer ist der Tote? Ein Mann oder eine Frau? Einzig die ausgefallene Tätowierung könnte Aufschluss bringen. Der Fall führt die junge Kommissarin bis nach Kopenhagen und es scheint, als folgte ihr ein grausamer Serienmörder, denn sobald Irene Huss auftaucht und ihre bohrenden Fragen stellt, ist der nächste Tote nicht weit.

Helene Tursten traktiert ihre Leser mit besonders grausamen Todesfällen, Kettensäge und scharfe Messer sind unverzichtbares Zubehör, auch vor kannibalistischen Elementen schreckt sie nicht zurück. Ihre Morde in der homosexuellen Szene sind harter Tobak. Also bestimmt kein Krimi, der am Frühstückstisch verschlungen werden sollte. Der Plot ihrer Handlung ist jedoch hervorragend angelegt, spannend bis zur letzten Seite und an der Psychologie der Protagonisten gibt es nichts auszusetzen.

Wer es einmal mit einem Hardcore Krimi mit sensibler Machart versuchen möchte, dem kann "Die Tätowierung" durchaus empfohlen werden, denn mit dieser neuen Mixtur setzt Helene Tursten neue Akzente im Thriller. Ihre Konkurrentinnen, wie Liza Marklund, überholt sie damit spielend.
© manuela haselberger


Helene Tursten - Die Tätowierung
Originaltitel: Tatuerad torso, © 2000
Übersetzt von Holger Wolandt

© 2002, München, btb, 447 S., 21.90 € (HC)





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PROLOG Durch nichts ließ der Wind auf das Entsetzliche schließen. Im Gegenteil. Für Anfang Mai war die tanggesättigte Meeresbrise, die vom eisigen Wasser herüberwehte, erstaunlich mild. In den niedrigen Wellenkämmen funkelte die Sonne und versuchte so zu tun, als sei der Sommer bereits gekommen. Es war einer dieser ungewöhnlich warmen Frühlingstage, die so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Die Frau mit dem schwarzen Labrador war allein unten am Strand. Der Hund tat, was er konnte, um eine Lachmöwe aufzuscheuchen, die nur wenige Meter über der Wasserfläche ihre Kreise zog und ihrem Namen alle Ehre einlegte.

Schließlich war der Hund die ärgerliche Möwe leid. Unmittelbar am Wasser, bei dem von den Winterstürmen angeschwemmten Treibgut, fand er einen schweren Ast, den er sich schnappte. Er war über einen Meter lang und ließ sich nur schwer in der Schnauze balancieren. Leicht schwankend nahm er Kurs auf seine Besitzerin. Flehenden Blickes legte er ihr den grauen, von Sonne und Salzwasser gebleichten Ast vor die Füße. Sie beugte sich vor und versuchte vergeblich, ein Stück davon abzubrechen. Schließlich gab sie es auf und warf den ganzen Ast unbeholfen und nicht sehr weit, was den Hund nicht weiter störte. Eifrig rannte er los und trug ihn stolz zu ihr zurück, ließ sich loben und kraulen, ließ sein schönes Spielzeug wieder auf den Boden fallen und wartete ungeduldig darauf, dass sie den Ast ein weiteres Mal schleudern würde. Sein glänzendes schwarzes Fell bebte vor ungebändigter Kraft. In dem Moment, in dem sie den Ast erneut über den Kopf schwang, machte er schon einen Satz nach vorne.

Es war ein lustiges Spiel, und der Hund wurde nicht müde, es zu spielen. Dagegen begann die Kraft, die seine Besitzerin in die Würfe legte, bald zu schwinden. Schließlich ging sie zu einem flachen Stein und setzte sich. Mit lauter Stimme sagte sie:
»Nein, Allan. Jetzt ist gut. Frauchen muss sich ausruhen.«
Vor Enttäuschung fiel der Hund förmlich in sich zusammen. Der eben noch so stolz wedelnde Schwanz fiel schlapp nach unten. Er stupste ihre Hände noch ein paar Mal mit der Schnauze an, aber sie ließ sie eilig in ihren Jackentaschen verschwinden, drehte das Gesicht zur Sonne und schloss die Augen. Lange saß sie reglos so da.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihn nicht mehr an dem menschenleeren Strand. Beunruhigt stand sie auf und schaute sich in alle Richtungen um. Erleichtert lachte sie schließlich laut auf, als sie seinen Schwanz plötzlich hinter einem großen Felsbrocken entdeckte, der ein Stück weiter draußen im Wasser lag.
Im Sommer spielten die Kinder immer zwischen den drei mächtigen Felsbrocken, die ein kleines, dreieckiges Bassin bildeten. Der eine Winkel des Dreiecks zeigte nach Westen. Die Öffnung aufs Meer zu war eng, nur knapp einen halben Meter breit. Die Kinder schrien immer laut auf vor Entzücken, wenn sich die Wassermassen zwischen den Klippen hindurchpressten und über sie hinwegbrandeten. Es gab nicht viel Platz, aber zehn Kindern gelang es immer, sich zwischen den Steinblöcken zusammenzudrängen.

Jetzt stand das Wasser ungewöhnlich niedrig, und deswegen hatte der Hund es auch gewagt, zu den Klippen hinauszutrotten. Er hatte sich zwischen zwei Felsblöcken hindurchgezwängt und stand jetzt vollkommen unbeweglich da.
»Allan! Bei Fuß!«
Immer wieder rief die Frau, aber vergeblich. Plötzlich verschwand der Hund ganz hinter den Klippen. Unwillig ging sie ans Wasser hinunter, um ihn zurückzulocken. Zögernd blieb sie vor den plätschernden Wellen stehen. Das Wasser war eiskalt.
»Allan! Komm jetzt! Bei Fuß!«
Aber egal, welches Kommando und welchen Tonfall sie auch verwendete - der Hund reagierte nicht.
Wütend streifte sie Schuhe und Strümpfe ab. Leise fluchend krempelte sie die Hosenbeine auf und begann, in das eisige Wasser hinauszuwaten. Glücklicherweise reichte es ihr nur knapp über den Spann. Die Klippenformation lag vielleicht zehn Meter weit im Wasser. Bereits Meter davor bemerkte sie einen schwachen, ekelhaften Geruch. Wütend, wie sie war, nahm sie ihn jedoch erst dann richtig wahr, als sie sich mit großer Mühe zwischen den großen Steinen hindurchgezwängt hatte. In dem dreieckigen Bassin schwamm ein schwarzer Plastiksack, in den die Möwen Löcher gehackt hatten. Schnell watete die Frau auf den Hund zu und schrie:
»Nein! Allan! Nein! «

Sie packte den Hund im Nacken. Mit wütendem Knurren verteidigte der seine Beute. Unter Einsatz ihrer ganzen Kräfte gelang es der Frau, die Hinterbeine des großen Labradors zu packen und ihn herumzuwerfen. Jetzt ragten seine Beine in den stahlblauen Himmel. Erst da ließ er ab. Jaulend plumpste er ins Wasser. Nur noch sein Kopf ragte über die Oberfläche. Schnell drückte sie ihm eine Hand gegen die Gurgel und hielt mit der anderen die eine Vorderpfote in einem eisernen Griff. Durchdringend starrte sie dem Hund in die Augen, während sie gleichzeitig ein brummendes Geräusch von sich gab. Er knurrte wütend zurück und starrte sie aus rot unterlaufenen Augen an. Schließlich verstummte er und schaute zur Seite, um zu zeigen, dass er aufgab. Langsam ließ sie ihn wieder aufstehen. Mit klammen Fingern leinte sie ihn an. Erst dann warf sie einen Blick auf den durchlöcherten Sack.

Erst hielt sie es für einen Stempel vom Schlachthof. Sekunden später erkannte sie jedoch, dass es sich nur um eine Tätowierung handeln konnte.
Einzig Kommissar Sven Andersson, Inspektorin Irene Huss und ihr Kollege Jonny Blom hatten sich an diesem Abend im Zimmer des Kommissars im Polizeipräsidium versammelt. Es ~ar schon fast halb acht. Der Kommissar hielt es für unnötig, sämtliche Inspektoren des Dezernats für Gewaltverbrechen zusammenzutrommeln. Die zwei, die am Tatort gewesen waren, mussten genügen. Die Übrigen würden am nächsten Tag bei der Morgenbesprechung alles erfahren. Mit ihren dampfenden Kaffeebechern machten sie es sich um den Schreibtisch herum bequem. Ohne weitere Vorrede begann Sven Andersson:
»Was habt ihr rausgekriegt?«
»Die Meldung kam mittags herein. Eine Dame mittleren Alters war am Strand mit ihrem Hund spazieren gegangen .. . «
Fast schroff unterbrach der Kommissar Jonny:
»Wo am Strand?«
»Bei der Insel Stora Amundön. Eher etwas unterhalb, fast vor der Insel Grundsö. Dort gibt es einen schönen kleinen Sandstrand, der Killevik heißt. Besonders auffallend sind ein paar Felsen, die ein Dreieck bilden. In diesem Dreieck hat der Hund der älteren Dame einen schwarzen Plastiksack gefunden und...«
»Entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber die ältere Dame ist auch nur zwei Jahre älter als ich und drei Jahre jünger als du. Außerdem heißt sie Eva Melander. Sie wohnt in Skintebo am Klyfteräsvägen. Nicht weit von Killevik«, sagte Irene Huss.
»Hat sie keinen Job? Ich meine, weil sie mitten in der Woche freihat?«, wollte Andersson wissen.
»Sie ist Kinderkrankenschwester und hatte am Wochenende Dienst. Deswegen hatte sie zwei Tage frei. Gestern blies der Wind zu stark. Da war sie mit dem Hund nicht am Strand, aber heute war ja auf einmal Superwetter. So schönes Wetter hatten wir seit Ostern nicht mehr. Seither hat es doch nur noch gestürmt und geregnet. Wirklich ein fürchterlicher Frühling.«
»Könnten wir aufhören, übers Wetter zu reden, und uns auf das Wesentliche konzentrieren?«, sagte Jonny Blom scharf.

Ehe die beiden anderen noch etwas darauf erwidern konnten, fuhr er fort, wo er unterbrochen worden war:
»Im Sack war ein großes Loch, für das wahrscheinlich die Vögel verantwortlich sind. Offenbar hat der Hund seine Schnauze in dieses Loch gesteckt und die Leiche mit den Zähnen gepackt. Am Ende vom Armstumpf kann man deutlich den Abdruck seiner Zähne erkennen, und das Gewebe ist zerfetzt. Die Arme sind etwa zehn Zentimeter unterhalb der Achseln abgetrennt worden. Auf der rechten Achsel befand sich eine große mehrfarbige Tätowierung. Das ist alles, was wir bislang wissen. Die Pathologie wird uns wahrscheinlich bald mehr über das Leichenteil sagen können.«
»Was heißt Leichenteil? Es gibt also weder Kopf noch Unterleib?«
»Nein. Der Größe nach zu urteilen scheint der Körper in der Mitte geteilt worden zu sein.«
»Ihr wisst nicht, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt?«
Irene und Jonny sahen sich an, ehe Jonny etwas zögernd meinte:
»Nein. Das wissen wir nicht, aber wir haben darüber nachgedacht. Irene und ich haben gesehen, dass dort, wo die Brust hätte sein sollen, nur eine einzige große Wunde ist... S. 7-11

Lesezitate nach Helene Tursten - Die Tätowierung










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Titel von
Helene Tursten
 Taschenbuch



Der zweite Mord.

© 2001



Der Novembermörder.

© 2000


© 3.7.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de