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Belladonna, Arsen
und andere Gifte

Kathy Hepinstall - Ein Hauch von Bittermandel

ie beiden Geschwister Alice und Boone kennen sich in der Wirkung von Giften und ihren unterschiedlichen Symptomen besser aus, als mancher Arzt oder Apotheker. "Das brennende Gefühl in Mund und Kehle, das auf Eisenhutvergiftung hinweisen konnte. Pupillenerweiterung (Belladonna). Furchen in den Fingernägeln (Arsen). Abnorme Reflexe und Tremor (Thallium)." Diese Zusammenhänge lernen die beiden, die gerade elf und zwölf Jahre alt sind, wie andere Kinder Abzählreime.

Und sie haben allen Grund, denn der neue Stiefvater Simon, den ihre Mutter vor einigen Monaten geheiratet hat, ist mit äußerster Vorsicht zu genießen. In seiner Eifersucht, und er ist auf alles und jeden eifersüchtig, mit dem er meint, ihre Mutter teilen zu müssen, ist er unberechenbar. Noch hat niemand nachgewiesen, dass der überraschende und schnelle Tod ihres Hundes auf Simons Kappe geht. Doch für Alice und Boone waren die Vergiftungserscheinungen eindeutig. Für beide ist es jedoch nicht leicht, sich gegen Simons brutale Ausfälle zu schützen. Jede Mahlzeit wird für sie zu einer puren Horrorveranstaltung. Was ist genießbar und was nicht?

Lange Zeit lassen sich neben der Mutter auch die Freunde von Simons augenscheinlich charmanter Art täuschen, denn er kann sich im Handumdrehen in einen regelrechten Bilderbuch - Vater und Traum - Ehemann verwandeln. Doch Alice und Boone sind clever und sie kommen seinem Geheimnis auf die Spur. Denn Simons Geschichte über seine Familie, - er erzählt gerne mit zitternder Stimme über den Tod seiner ersten Frau und seines Kindes -, ist schlicht erlogen. Dieses Wissen wird schon bald höchst gefährlich für sie.

Kathy Hepinstall schickt ihre Leser nach dem überraschenden Publikumserfolg "Das Haus der zärtlichen Hände" in ihrem zweiten Roman "Ein Hauch von Bittermandel" in eine schwüle, dumpfe Atmosphäre des Grauens. Denn in dieser Familie herrscht der pure Horror für die beiden Kinder.
Allerdings hätte eine subtilere Form der Beschreibung der Vorfälle diesem Thriller noch mehr Spannung verliehen. Der Charakter Simons wird teilweise zu holzschnittartig dargestellt. Doch alles in allem sind das kleine Mängel in einer lesenswerten Geschichte, die manchmal an Pat Conroy ("Herr der Gezeiten / Die Herren der Insel") erinnert.
© manuela haselberger



Kathy Hepinstall - Ein Hauch von Bittermandel
Originaltitel: The Absence of Nectar, © 2001
übersetzt von Rainer Schmidt

© 2002, München, Schneekluth, 348 S., 18.90 € (HC)
© 2003, München, Dromer, 352 S.,  8.90 € (TB)

Kathy Hepinstall wurde im Süden Lousianas geboren und lebt in San Francisco. Sie studierte Literatur und Musik und arbeitet als Werbetexterin. Bei Schneeklurh erschien 1999 ihr erster Roman „Das Haus der zärtlichen Hände“, der zu einem großen Publikumserfolg wurde.






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NACH ALL DEN Jahren habe ich immer noch eine Narbe im Gesicht. Sehr dünn und gefärbt wie ein Imkerhandschuh. Mein Stiefvater Simon Jester stand eines Tages am Herd und wendete ein Ei. Ich trat hinter ihn und sagte irgendetwas. Erschrocken fuhr er herum.

»lch bin's nur«, sagte ich, und allein sein Blick ließ mich schaudern.

Statt zu antworten, drückte er mir die Kante des heißen Pfannenhebers ins Gesicht. Meine Mutter, die darauf be­stand, dass ihre Kinder sie beim Vornamen - Meg - anredeten, fand mich später auf der Veranda und strich weiße Creme auf die lange, schmale Blase. »Das ist die Hitze, Alice«, sagte sie dabei leise. »Macht ihn reizbar.« Das war nur die halbe Wahrheit, Megs Spezialität. Simons Wahnsinn war nicht Sklave der Temperatur allein. Wobei ich davon überzeugt bin, dass es die lodernde Hitze eines Sommernachmittags war - zusammen mit dem unverzeihlichen Verrat meines Bruders -, die Simon am Ende zu dem Ent­schluss brachte, uns beide umzubringen.

An jenem Tag stand ich vor dem Spiegel in einem Badezim­mer, das durchdringend nach Simons Aftershave roch, be­trachtete mich aufmerksam und suchte nach Hinweisen darauf, dass Simon meine Zahnpasta vergiftet hatte, mein Kopfkissen, meine Milch, die ich am Morgen ins Licht gehalten hatte. Meine Augen waren klar. Die Pupillen waren nicht geweitet. Meine Lippen waren nicht blau. Meine Haut hatte keinen gelblichen Ton. Nirgends ein Tremor. Ich beugte mich vor und entblößte die Zähne. Mein Zahnfleisch blutete nicht. Der Dunst meines Atems auf dem Spiegel sah harmlos aus. Und doch konnte mein Körper mich jeden Augenblick im Stich lassen. Das Herz konnte mir stehen bleiben.

Es war Anfang Juni. Das Gras stand hoch um die Zaunpfähle, wo mein Bruder vergessen hatte, es zu schneiden. Klee und Sonnenhut. Blühender Oleander. Marienkäfer, Grashüpfer, Grillen. Meine bloßen Füße konnten die Wiese nicht berühren, ohne lebende Dinge einzusammeln, aber ich wusste, dass etwas nicht stimmte mit dem Ökosystem dieses Gartens, dieses Hauses. Stiefväter haben sich nicht gegen ihre neuen Kinder zu verschwören, und wenn sie es doch tun, dann haben die Mütter dem ein Ende zu machen. Aber meine eigene Mutter wollte die Wahrheit über Simon nicht glauben, sperrte sich hartnäckig dagegen, ärgerte sich über Glut und Farbe dieser Wahrheit.

Ich beendete meine Inspektion vor dem Badezimmerspiegel und ging hinaus auf die hintere Veranda, wo mein Bruder saß und seine Brille polierte. Seine Hände zitterten, und der ner­vöse Tic an seinen Augen war so stark, wie ich es seit langem nicht gesehen hatte, aber anscheinend hatte er die seltsame Benommenheit abgeschüttelt, in der er sich seit jenem Morgen befand, und darüber war ich erleichtert. Ich setzte mich neben ihn und sagte: »Das Spiel ist aus, schätze ich.« Ich sagte es sehr beiläufig und mit einem Hauch von Müdigkeit, und ich hoffte, dass mein Ton meinen Bruder beruhigen würde.

»Ich weiß«, sagte er.
»Wir sind zu weit gegangen.« »Ich bin zu weit gegangen.«
»Ist doch egal, wer was getan hat.«
Boone sah hinüber zu unserer Mutter, die auf der Zypressenholzschaukel saß, mit Blick auf die Veranda, und sich den geschwollenen Bauch hielt. Ihren toten Bienenvölkern hatte sie den Rücken zugewandt. Sie schien in Erinnerungen an diese Bienen zu versinken. An ihr wechselndes Summen. Ihr perfektes Funktionieren. Ihren verzweifelten Drang nach Ordnung, der sich mit der Jahreszeit zu Wachs und Honig verrührt hatte. Die Letzten waren gestorben, bevor die Nar­zissen aufgeblüht waren, und die Rahmen in den Bienen­stöken hatten sich mit einem Filz überzogen, der sich bei näherem Hinsehen als verwesende Leichen erwies. Meg neigte indessen immer noch dazu, im Präsens von ihnen zu sprechen, als wären sie noch da und arbeiteten und summten und stächen sie in die ungeschützten Hände. Sie trug ein formloses grünes Schleiergewand und krümmte die bloßen Füße, wenn die Schaukel sie nach vorn trug. Selbst aus dieser Entfemung sahen wir den Glanz, den die Schwangerschaft in ihr Gesicht brachte. Den Triumph. Sie winkte uns träge zu, und Boone schüttelte ungläubig den Kopf.

»Warum hilft sie uns nicht?«, flüsterte er.
»Sie glaubt nicht, dass irgendetwas passieren wird.«
»0 Gott. « Er strich mit den Fingerspitzen über die buschigen Kurven seiner Augenbrauen und setzte die Brille wieder auf. Er sah mich an, und seine Brauen zuckten. Der Nachmittags. wind strich einen leisen Tic glatt. Er berührte meinen Arm. »Hasst du mich?«
»Nein. «
»Wirklich nicht?«

»Simon hat doch nur auf einen Vorwand gewartet. Wenn du es nicht getan hättest, wäre es etwas anderes gewesen. «
»Bitte, Alice. Geh und sprich mit ihr.« »Was soll das nützen?«
»Vielleicht glaubt sie uns endlich.«


Boone war vierzehn - zwei Jahre älter als ich -, aber er hatte nicht begriffen, was ich begriffen hatte: dass eine Schnappschildkröte sich leichter vom Angelhaken lösen lässt als eine Frau von ihrem Retter. Aber um ihm eine Freude zu machen, watete ich durch das Gras zu meiner Mutter hinüber und ließ dabei Mücken hochtanzen und Grashüpfer in ihren verrückten, ziellosen Sprüngen davonstieben. Hier und da lagen die aufgegebenen Objekte der Bienenzucht meiner Mutter im Gras: weiße Handschuhe, ein Nylonschleier, ein Stockmeißel, ein Rauchapparat, aus dem verkohltes Sackleinen quoll. Um diese Zeit hätten die Bienen eigentlich am Rand der Regentonne versammelt sein und Wasser für die dampfenden Körbe holen müssen. Jetzt waren alle Bienen tot. Bis auf ... Meg rutschte auf der Schaukel herüber und hielt mir den Handrücken entgegen. »Schau«, sagte sie entzückt. »Eine Biene! Sie kroch zwischen ihren Fingern und durch das rosige Tal zwischen den Knöcheln, kam hinten herum und den Ringfinger hinauf bis zu dem Diamanten auf ihrem Trauring, und dann balancierte sie halsbrecherisch auf dem winzigen Edelstein, dessen wahrer Wert zweifelhaft war. Es war eine wilde Biene keine von Megs italienischen Bienen, die hier in ihrem schmerzlichen Drang nach Nektar die Landschaft durchstreift hatten. Gleichwohl bewunderte Meg sie auf ih­rem Finger, als sei ihr Diamant plötzlich größer geworden. »Das ist mein neuer Freund«, sagte sie.

Die Biene war mit gelben Pollen bedeckt. Sie drehte sich noch einmal auf dem Ring und flog davon. Meine Mutter seufzte traurig, denn sie hasste es, verlassen zu werden.
»Simon wird uns umbringen für das, was Boone getan hat«, sagte ich. »Ich sehe es seinen Augen an.«
Sie antwortete nicht. Stattdessen nahm sie meine Hand und drückte sie an ihren Bauch. Ich spürte das Strampeln des Babys an der Handfläche.
»Fühlst du das?«, fragte sie. »Das ist dein Bruder.« »Halbbruder. Falls es ein Junge ist.«
»Oh, es wird ein Junge werden. Simon wünscht sich einen Jungen.«
»Hast du gehört, was ich gesagt habe, Meg? Über Simon?« »Das sind doch nur Worte. Es macht Simon Spaß, uns Angst zu machen. Nach dem Essen, wenn es kühler ist, wird er schon wieder zu sich kommen. «
»Wenn es kühler ist? Darauf kommt es nicht an. Er würde meinen Tod planen, wenn er auf einem Eisberg säße. « Ich holte tief Luft. »Willst du nicht wissen, was heute Morgen passiert ist?«
»Nein.« Wie Meg das Wort aussprach, klang es sanft und traurig.
Unter meiner Hand fing das Baby wieder an zu treten. »Dauert jetzt nicht mehr lange«, sagte Meg leise.
»Bis wir tot sind?«
»Ach Schatz . . . « Megs Stimme klang leise und traurig. »Es wird nichts Schlimmes passieren.« Sie strich mir das Haar zurück. Zog mich näher zu sich, so dass ich ihren Duft wahr­nehmen konnte: eine unreife Süße wie vom Geißblattnek­tat. Sie bewegte die Füße, und die Schaukel begann zu schwingen. Ich betrachtete ihren Bauch. Ein Tyrann, dieses Baby, ohne Zweifel. Temperamentvoll im Mutterleib. Ver­ärgert über das matte Licht, das durch die Bauchdecke dringt. Über die Wärme des Fruchtwassers. Die Anspannung der Nabelschnur.

Sanft schüttelte ich Megs Umarmung ab, wandte der Schau­kel den Rücken zu und ging durch das Gras zurück.
Boone war von der Veranda verschwunden. Wahrscheinlich war er in sein Zimmer gegangen, um da zu zittern. Die wilde Biene, die über Megs Finger gekrochen war, hockte auf dem Geländer. Sie hatte sich auf ihrer Suche nach Süßem verirrt

und schnupperte jetzt an dem Schweiß, den die Handfläche meines Bruders auf dem Holz hinterlassen hatte. Ich fragte mich, ob sie wohl schon über den stillen Bienenfriedhof ge­flogen war, vorbei an ihren toten Artgenossen.

Ich blickte zu Meg zurück. Sie schaukelte vor und zurück und hielt sich den Bauch.
Ich drehte mich wieder um und schlug mit der flachen Hand auf das Geländer. Die Biene starb unter meiner Handfläche zusammen mit all ihren geschäftigen Absichten, und ich ließ den zerquetschten Leichnam dort hängen, mit Pollen aus dem einen Magen und Nektar aus dem anderen. Ich ging ins Haus und kam am Wohnzimmer vorbei, als er mich rief. Beim Klang seiner Stimme setzte mein Herz aus.

Er lehnte aufrecht in seinem Sessel, einen leeren Porzellanteller auf dem Schoß, und inspizierte mit zusammengekniffenen Augen die Zinken seiner Gabel. Immer wieder drehte er die Gabel im Nachmittagslicht, das durch das unverhängte Fenster hereinströmte. Sein schwarzes Haar war von einem Gummiband zusammengehalten und so straff nach hinten gezogen, dass man ein Muttermal an seinem Ohr und ein an­deres am Haaransatz sehen konnte. In seinem Ziegenbärtchen saßen Krümel. Er drehte sich um und musterte mich mit seinen eng zusammenliegenden Augen. »Wo ist deine Mama?«
Draußen. «
»Wann gibt es Abendessen?« »Wann immer du willst.«

Er sah zu mir hoch, und ich entdeckte die Falte zwischen den Augen. Eine Runzel, die schlechte Laune bedeutete. Einer seiner beiden Ärmel hatte sich an diesem Tag rot gefärbt. Er verzog das Gesicht, als er den Arm hob und zur Küche deute­te. »Ist da noch mehr von dem Kuchen?«
Als ich nickte, sagte er: »Bring mir welchen.«
Ich ging in die Küche. An dem Pfirsich in der Obstschale hing immer noch ein Tropfen Blut; zwei Tropfen waren auf dem Boden vor der Spüle getrocknet, und einer war wie eine Träne an der weißen Front des Herdes heruntergelaufen. Ein Blutfleck wie ein Riss zog sich ankerförmig quer über den Vorhang, und ein kleiner brauner Streifen war noch auf der rosenfarbenen Seife zurückgeblieben.

Ich suchte ein Messer und schnitt ein Stück Kuchen für Si­mon ab, und dabei dachte ich über seine Pläne nach. Ich wusste, dass er Zugang zu Giften hatte; von Entsetzen und Unsicherheit getrieben, hatte ich alle seine Bücher zu diesem Thema gelesen, zu ihren Eigenschaften und Wirkungen, und ich wusste, dass innerhalb unseres Hauses, Gartens und der Garage ein halbes Dutzend tödliche Gifte zu finden waren: Strychnin, Arsen, Calciumcyanid, Sevin, Fluornatrium. Thallium in den älteren Produkten. Nicht mehr Gift als üb­lich für eine Familie, die sich mit Mäusen, Kakerlaken und Ratten zu plagen hatte, abgesehen von den jetzt toten Bienen. Eine Familie, die Silber zu polieren, Fußböden zu reinigen, Schränke zu beizen hatte.

Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und reichte Simon den Kuchen. Dann sah ich zu, wie er kleine Brocken davon abbrach und in den Mund steckte. Er schluckte sie wie Tab­letten. Bohrte die Finger hinein, drückte so fest zu, dass er Löcher hinterließ. Seine Hand zitterte. Dieser Mann. Tyran­nisiert Kuchen und Kinder. Er sah zu mir hoch, und seine Augen drängten sich dicht an die Falte zwischen ihnen. Weitere Falten auf der Stirn. »Immer noch hier?«
»Wo soll ich denn hingehen?«
»Mir aus den Augen, wenn du nichts dagegen hast.« »Hab ich nicht.«
»Moment.«
Er sah mich lange an, und Schweiß rann ihm übers Gesicht. . S. 7-13

Lesezitate nach Kathy Hepinstall - Ein Hauch von Bittermandel










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Titel von
Kathy Hepinstall
 Taschenbuch



Das Haus der zärtlichen Hände.

© 2002


 Hardcover



Das Haus der zärtlichen Hände.

© 1999



© 14.7.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de