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Bookinists Buchtipp zu

Nicci French

In seiner Hand

© 2003



Leichen am Fluss
Nicci French - Das rote Zimmer

nter dem Pseudonym Nicci French verbergen sich gleich zwei Personen: seit Jahren veröffentlicht das englische Ehepaar Nicci Gerard und Sean French unter diesem Namen ihre Psychothriller. Aus ihrer gemeinsamen Feder stammt auch der neue Krimi "Das rote Zimmer" und die Schauplätze und Personen bieten das nötige spannende Ambiente.

Die Londoner Psychiaterin Dr. Kit Quinn fühlt sich zunächst geschmeichelt, als die Polizei sie um ihre Mitarbeit bittet, einen aufgegriffenen, randalierenden Alkoholiker psychologisch zu beurteilen. Dass ihr dieser Job eine lange Narbe im Gesicht einträgt, ist dabei ziemlich unangenehm. Ganz so harmlos ist Michael Doll, mit dem Kit ihr Gespräch führt, anscheinend doch nicht.

Als wenige Tage später eine Frauenleiche am Fluss gefunden wird, ist ausgerechnet Michael ein wichtiger Zeuge. Oder gehört er zum Kreis der Verdächtigen? Und wieder soll Kit für die Polizei die ausschlaggebenden Hinweise, die zur Lösung des Falls führen, herausarbeiten. Es kostet sie einige Überwindung, wieder mit Michael zu sprechen.

Doch nachdem Kits Ergebnisse in eine ganz andere Richtung weisen, - es wäre so leicht einem unangenehmen Zeitgenossen einen Mord in die Schuhe zu schieben, - sinken ihre Beliebtheitspunkte bei den ermittelnden Polizisten. Für sie ist der Fall endgültig aufgeklärt, als Michael tot in seiner Wohnung aufgefunden wird. Ein Rachemord, nichts weiter. Doch Kit ist hartnäckig. Zu viele Punkte ihrer Arbeit sind noch offen.

Es ist ein wenig langatmig, bis die Auflösung des Falls so richtig in Gang kommt. Auch die steigende Zahl der Leichen führt nicht zu einer Beschleunigung. Sehr lange stochert Kit (und mit ihr der Leser) im Nebel, doch das Ende wird dann wiederum in so überraschend rasantem Tempo präsentiert, dass der kleine Überraschungs-Schlenker am Schluss versöhnlich stimmt.

"Das rote Zimmer" gehört bestimmt nicht zu den Krimis, bei denen am Ende eine komplette Maniküre notwendig ist, weil die Fingernägel restlos dran glauben mussten, doch unter der Rubrik "solide Krimikost" hat er im Bücherregal seinen Platz verdient.
© manuela haselberger


Nicci French - Das rote Zimmer
Originaltitel: The Red Room, © 2002
Übersetzt von Birgit Moosmüller

© 2002, München, Bertelsmann, 416 S., 22.90 € (HC)





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Man hüte sich vor schönen Tagen. An schönen Tagen passieren oft schlimme Dinge. Vielleicht liegt es daran, dass man leichtsinnig wird, wenn man glücklich ist. Man hüte sich auch davor; zu viel zu planen, denn dann konzentriert man seinen Blick auf das Geplante, und genau in dem Moment beginnt dort, wo man gerade nicht hinsieht, irgendetwas schief zu laufen.

Ich habe mal meinem Professor bei einer Studie über Unfälle geholfen. Ein Team von uns sprach mit Leuten, die überfahren, in Maschinen hineingezogen oder unter Autos hervorgezerrt worden waren. Andere waren von einem Brand überrascht worden, eine Treppe hinuntergefallen oder von einer Leiter gestürzt. Seile und Kabel waren gerissen, Fußböden hatten nachgegeben, Wände waren umgekippt, Zimmerdecken heruntergekracht. Es gibt keinen Gegenstand auf der Welt, der sich nicht gegen einen wenden kann. Wenn das Ding es nicht schafft, dir auf den Kopf zu fallen, dann kann es rutschig werden oder dich schneiden, oder du kannst es verschlucken. Und wenn bestimmte Gegenstände in menschliche Hände geraten, dann ist das noch mal eine ganz andere Geschichte.

Die Studie erwies sich in mancherlei Hinsicht als problematisch. Zum einen handelte es sich um Unfallopfer; die für unsere Fragen nicht zur Verfügung standen, weil sie tot waren. Hätten sie eine andere Geschichte zu erzählen gehabt? In dem Moment, als der Korb kippte und die Fensterputzer, den Schwamm noch in der Hand, aus dem zwanzigsten Stock in die Tiefe stürzten, dachten sie da noch etwas anderes als: 0 verdammt!? Unter den Übrigen gab es Leute, die zum Zeitpunkt ihres Missgeschicks erschöpft, überglücklich, depressiv, betrunken, mit Drogen voll gepumpt oder abgelenkt waren. Andere hatten einfach nur Pech gehabt. Eins aber war ihnen allen gemeinsam:
Zum betreffenden Zeitpunkt waren sie mit den Gedanken nicht bei der Sache gewesen. Aber das ist ja wiederum die Definition eines Unfalls: Irgendetwas bricht gewaltsam in das ein, worauf man gerade seine Gedanken konzentriert, wie ein Räuber, der einen auf einer unbelebten Straße überfällt.

Als es schließlich darum ging, die Ergebnisse zusammenzufassen, war das zugleich einfach und schwer. Einfach deshalb, weil die meisten Schlussfolgerungen auf der Hand lagen. Wie schon auf dem Arzneifläschchen zu lesen steht, sollte man unter dem Einfluss von Medikamenten keine schweren Maschinen bedienen. Ebenso wenig sollte man die Schutzvorrichtung von der Kleiderpresse entfernen, selbst wenn sie einen stört, und es ist auch nicht ratsam, einen fünfzehnjährigen Lehrling mit der Bedienung des Geräts zu betrauen. Vor dem Überqueren einer Straße sollte man in beide Richtungen sehen.

Doch sogar Letzteres war problematisch. Wir versuchten, Dinge zu fassen zu bekommen, die die Leute irgendwo am Rand registriert hatten. Das Problem dabei ist, dass kein Mensch es schafft, alles, was er wahrnimmt, auch bewusst in sein Denken einzubeziehen. Sobald wir uns einer Gefahrenquelle zuwenden, bekommt etwas anderes Gelegenheit, sich von hinten an uns heranzuschleichen. Wenn wir nach links sehen, hat irgendetwas rechts von uns die Chance, uns zu kriegen.

Vielleicht ist es das, was uns die Toten erzählt hätten. Und vielleicht wollen wir manche dieser Unfälle ja auch gar nicht missen. Wenn ich mich in meinem Leben verliebt habe, dann nie in den Menschen, den ich eigentlich hätte mögen sollen, den netten Kerl, mit dem meine Freunde mich verkuppeln wollten. Was nicht heißen soll, dass es jedes Mal der Falsche war, aber in der Regel doch jemand, der in meinem Leben eigentlich gar nichts verloren gehabt hätte. Ich habe mal einen wunderschönen Sommer mit jemandem verbracht, den ich kennen lernte, weil er der Freund eines Freundes war; der meiner besten Freundin beim Umzug in ihre neue Wohnung half, weil der andere Freund, der eigentlich kommen und helfen wollte, bei einem Fußballspiel einspringen musste, weil ein anderer sich das Bein gebrochen hatte.

Das alles ist mir bekannt, aber dieses Wissen bringt nichts. Es hilft einem lediglich, das Geschehene im Nachhinein zu verstehen. Und manchmal nicht einmal das. Trotzdem ist es passiert, daran besteht kein Zweifel. Ich nehme an, das Ganze begann damit, dass ich in die andere Richtung schaute.

Es war an einem sonnigen Vormittag im Mai. An meiner Zimmertür klopfte es, und noch ehe ich etwas sagen konnte, ging sie auf, und ich sah das lächelnde Gesicht von Francis vor mir. »Dein Termin ist abgesagt worden~, erklärte er.
»Ich weiß.«
»Dann hast du ja Zeit...«
»Also...«, begann ich. In der Welbeck-Klinik war es immer gefährlich zuzugeben, dass man Zeit hatte, denn dann wurde einem sofort irgendeine Arbeit aufs Auge gedrückt. In der Regel handelte es sich dabei um die Dinge, mit denen sich die älteren Kollegen nicht herumschlagen wollten.

»Kannst du eine Beurteilung für mich übernehmen?«, fragte Francis rasch.
»Also...«
Sein Lächeln wurde breiter. »Was ich eigentlich sagen will, ist natürlich: "Übernimm eine Beurteilung für mich!", aber ich formuliere es aus Gründen der Höflichkeit auf die konventionelle, weniger direkte Art.«
Das ist einer der Nachteile, die man in Kauf nehmen muss, wenn man in einem therapeutischen Umfeld arbeitet: Man hat mit Leuten wie Francis Hersh zu tun, der erstens nicht einmal guten Morgen sagen konnte, ohne es in Anführungszeichen zu setzen und anschließend sofort zu analysieren, und zweitens ... Aber lassen wir das. Im Fall von Francis könnte ich mich über zweitens und drittens locker bis zu zehntens vorarbeiten.

»Worum geht's?«
»Eine Polizeisache. Sie haben jemanden aufgegriffen, der auf der Straße herumgebrüllt hat oder so was in der Art. Wolltest du gerade gehen?«
»Ja.«
»Das passt ja wunderbar. Du brauchst auf dem Heimweg nur schnell auf dem Revier in Stretton Green vorbeizuschauen und einen Blick auf den Typen zu werfen, damit sie ihn schnell wieder loskriegen.«
»In Ordnung.«
»Frag nach DI Furth. Er erwartet dich.« »Wann?«
»Vor ungefähr fünf Minuten.«
Ich rief Poppy an, mit der ich auf einen Drink verabredet war, und erwischte sie gerade noch rechtzeitig, um ihr zu sagen, dass ich mich ein paar Minuten verspäten würde.

Wenn jemand wegen öffentlicher Ruhestörung auffällig wird, kann es recht schwierig sein zu beurteilen, ob der oder die Betreffende bösartig, betrunken, geisteskrank, körperlich krank, verwirrt, missverstanden, grundsätzlich ein Ekel, aber harmlos oder - in Einzelfällen - eine echte Bedrohung ist. Normalerweise verfährt die Polizei mit solchen Fällen recht willkürlich. In der Regel rufen sie uns nur; wenn extreme und eindeutige Gründe vorliegen. Vor einem Jahr aber war ein bereits festgenommener; darin jedoch wieder auf freien Fuß gesetzter Mann ein paar Stunden später mit einer Axt bewaffnet in der nächsten Hauptstraße aufgetaucht und hatte zehn Personen verletzt, von denen eine alte Frau ein paar Wochen später starb. Es hatte eine Meinungsumfrage gegeben, deren Ergebnis seit einem Monat vorlag, was zur Folge hatte, dass uns die Polizei zurzeit ständig um Rat bat.

Ich war schon mehrmals auf dem Revier gewesen, mit Francis oder allein. Das Komische daran war; dass wir; indem wir nach bestem Wissen und Gewissen herauszufinden versuchten, was mit diesen meist recht traurigen, verwirrten und übel riechenden Gestalten, die uns in einem Raum in Stretton Green gegenübersaßen, los war, in erster Linie der Polizei ein Alibi verschafften. Wenn dann das nächste Mal etwas schief ging, konnten sie die Verantwortung auf uns abwälzen.

Detective Inspector Furth war ein gut aussehender Mann, nicht viel älter als ich. Er begrüßte mich mit einem amüsierten, fast unverschämten Gesichtsausdruck, der mich veranlasste, nervös an meinen Kleidern hinunterzusehen, ob alles richtig saß. Aber schon einen Moment später wurde mir klar, dass das sein ganz normaler Gesichtsausdruck war, sein Schutzschild gegen die Welt. Er trug sein blondes Haar streng nach hinten gekämmt, und sein Kinn war kantig wie mit dem Lineal nachgezogen. Seine Haut wirkte leicht narbig. Vielleicht hatte er als Kind unter Akne gelitten.

»Dr. Quinn«, sagte er mit einem Lächeln und streckte mir die Hand entgegen. »Nennen Sie mich Guy. Ich bin neu hier.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Er drückte meine Hand so fest, dass ich das Gesicht verzog.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie noch so... jung sind.«
»Tut mir Leid«, begann ich, brach aber gleich wieder ab. »Wie alt sollte ich denn Ihrer Meinung nach sein?«
»Treffer!«, antwortete er; noch immer lächelnd. »Und Sie heißen Katherine - Kit abgekürzt. Das weiß ich von Dr. Hersh.«
Früher sagten nur meine Freunde Kit zu mir. Die Kontrolle darüber war mir schon vor Jahren entglitten, aber ich zuckte immer noch leicht zusammen, wenn ein Fremder mich so nannte.
»Wo ist er?«
»Diese Richtung. Möchten Sie eine Tasse Tee oder Kaffee?«
»Danke, aber ich bin ein wenig in Eile.«
Er führte mich durch das Großraumbüro. An einem der Schreibtische blieb er kurz stehen und griff nach einer wie ein Rugbyball geformten Tasse, bei der der Deckel gekappt war wie bei einem Frühstücksei.
»Meine Glückstasse«, erklärte er, während ich ihm … S. 7-11

Lesezitate nach Nicci French - Das rote Zimmer


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Quelle: http://www.bookinist.de