Friedrich Ani - Wie Licht schmeckt (Buchtipp/Rezension/lesen)
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  Lesealter: 14 Jahre  

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Happy Birthday
Friedrich Ani - Wie Licht schmeckt

ukas wird dieses Jahr vierzehn und er hat vor, sich selbst mit einem ganz besonderen Geburtstagsgeschenk zu belohnen. »Heute war mein Geburtstag und ich war absolut frei. Und nicht nur heute. Auch morgen und übermorgen. Das war mein Wunsch gewesen, den ich mir selber erfüllte. Drei Tage rumlaufen. Wo ich will. Und abends nicht nach Hause. Es war Sommer und ewig hell.«

Es werden tatsächlich drei aufregende Tage, in denen Lukas quer durch München stromert. Am meisten beeindruckt ihn die drei Jahre ältere Sonja, die als Bedienung in einem Café arbeitet. Sie ist seit zehn Jahren blind, doch nimmt sie ihre Umgebung viel genauer wahr als die meisten ihrer Mitmenschen. »Du denkst, jemand wie ich ist von der Welt abgeschieden, ausgeschlossen, aber das stimmt nicht. Ich geh tanzen. Und ich geh ins Kino.« Lukas ist fasziniert. Er kann von diesem Mädchen, das ihm die Welt aus einer ganz anderen Warte zeigt, nicht genug bekommen. Ohne den rettenden Einsatz von Sonja wäre für Lukas wohl ein Schwimmbadbesuch sehr unglücklich verlaufen. Hat sie wirklich als Blinde diese besonderen intuitiven Eigenschaften?

Mit vielen Blessuren und schmerzhaften Schrammen lässt der Krimi- und Jugendbuchautor Friedrich Ani (»Durch die Nacht, unbeirrt«) Lukas wieder zu seinen Eltern heimkehren. Erlebt und gelernt hat Lukas in diesen drei Tagen mehr als im vergangenen letzten Jahr. Aber da war er schließlich auch erst dreizehn. Fast noch ein Baby. Friedrich Ani hat eine Menge Verständnis und Zuneigung für seine Figuren. Er kennt ihren Umgangston ziemlich genau und setzt ihn in den Dialogen zwischen Sonja und Lukas wunderbar um. Auch das Schweigen von Lukas, der sich oft nicht traut zu sagen, was er denkt, ist mehr als beredt. Genauso funktioniert die zwischenmenschliche Kommunikation - mit all ihren Missverständnissen. Dass dabei eine Menge »Chaos im Kosmos« fabriziert wird, ist völlig normal.
© manuela haselberger
    Lesealter ab 14 Jahren


Friedrich Ani - Wie Licht schmeckt

© 2002, München, Hanser Verlag, 189 S., 13.30 € (HC)





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Als Erstes kaufte ich mir einen Cheeseburger, Pommes und Leine große Cola. Es fing schon wieder an heiß zu werden und ich konnte gar nicht genug schwitzen. Ich fand, schwitzen war die absolute Art, am Leben zu sein.
Seit ich an diesem Morgen von zu Hause weggegangen war; hatte ich lauter solche Gedanken. Um halb sieben war ich aufgestanden und um halb acht schon auf der Sonnenstraße. Und als ich am Sendlinger-Tor-Platz aus der Straßenbahn stieg, dachte ich: Anfang, das ist der Anfang, es fängt an, es fängt vielleicht an. Natürlich war das eine Anspielung auf Beckett, aber wieso sollte ich nicht in Anspielungen denken? Ich konnte denken, was ich wollte, ich brauchte nur hinzuhören. Mein Kopf platzte vor Gedanken und ich ging einfach drauf los. Die Worte meiner Mutter hatte ich schon fast vergessen, und was meinen Vater betraf, so versuchte ich alles, was er zu mir sagte, in Mikrosekunden wieder zu vergessen.

»Das ist nicht gut«, sagte meine Mutter immer, wenn ich ankündigte, den ganzen Nachmittag allein in der Stadt zu verbringen. Sie hatte Angst, ich würde mich verlaufen, Kinderschändern in die Hände fallen, von einem Auto überfahren werden, verhungern, erfrieren, drogensüchtig werden und was einem sonst noch alles zustieß, wenn man als Vierzehnjähriger durch eine Stadt wie diese streifte, ohne Bodyguards oder Eltern.

Ich sagte jedes Mal: »Ich pass schon auf.«
Daraufhin pflegte mein Vater etwas in der Art zu sagen:
»Deine Mutter findet das nicht gut.«
Während ich auf einem der Steine vor dem sprudelnden Stachus-Brunnen hockte und meine Pommes aß, hörte ich mich sagen: »Ich pass schon auf.«
Vielleicht gefielen mir die Stücke von Beckett deshalb so gut, weil darin gesprochen wurde wie bei uns zu Hause.
»Das ist nicht gut.«
»Ich pass schon auf.«
»Deine Mutter findet das nicht gut.«
»Ich pass schon auf«
Schweigen.

Schweigend beendete ich mein Frühstück. Um mich herum rannten Leute zur Arbeit, Touristen versammelten sich zu Gruppen, Jugendliche tauschten Zigaretten und andere Sachen. Zum Glück war keiner aus meiner Schule dabei. Ich wollte, dass mich niemand sah. Das war mein Tag, ich wollte allein sein und mein Alleinsein für mich allein haben.

»Alter; was machst du da, Alter?« Die Stimme schlug mir in den Nacken wie ein nasses Handtuch. Er hatte sich von hinten an mich rangeschlichen, ritzte sein typisches schiefes Grinsen ins Gesicht und ließ sein Zippo auf- und zuschnappen.
»Hi, Rico«, sagte ich.
»Lucky Luke!«, rief er; warf das Feuerzeug in die Luft, fing es auf und steckte es ein. Sensationell. Auf dem Schulhof machte er das andauernd, schnapp-schnapp-schnapp, werfhoch, steckein. Fünf Minuten später: Schnapp-schnappschnapp, werfhoch, steckein. Wenn er wenigstens zwischendurch geraucht hätte! Aber Rico rauchte nicht, er kaute bloß Streichhölzer, was perfekt zu seinen nach hinten gegelten Haaren passte. Natürlich gab es ungefähr hundert Schnepfen, die diesen Angeber bewunderten, sie hätten ihm sein Zippo poliert, wenn er es von ihnen verlangt hätte.

Ich sagte nichts. Ich grinste nicht. Ich saß auf dem Stein, stocherte mit dem Strohhalm im leeren Becher und dachte: Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues. Vor zwei Tagen hatte ich begonnen, einen Roman von Beckett zu lesen, nach den ersten fünf Seiten hörte ich auf, weil ich total verwirrt war. Doch als Rico vor dem Stachus-Brunnen auf mich herunter quatschte, fielen mir ein paar Sätze aus dem Buch ein, zum Beispiel dieser allererste mit der Sonne, und ich hatte plötzlich eine Ahnung, worum es in der Geschichte vielleicht ging. Um was genau, hätte ich nicht sagen können, aber ich begriff, dass es um etwas Konkretes ging, dass der Roman nicht halb so abgedreht war, wie er auf den ersten Blick wirkte.

Wahrscheinlich täuschte ich mich. Wahrscheinlich war er noch viel abgedrehter; als ich glaubte, und ich bildete mir nur etwas ein. Aus Notwehr. Um diesem Schwätzer von Rico nicht zuhören zu müssen.

»..... das Geschirr kannst du mit'm Staubsauger aufsaugen, da ist nichts mehr übrig, blöderweise ist der blöde Staubsauger kaputt, weil sie ihn beim letzten Mal gegen die Wand geknallt hat, da ist jetzt ,n Loch drin, inner Wand, da kannst du zwei Hände reinschieben, Alter...«
Nach ungefähr einer Stunde stand ich auf und sagte: »Ich muss los.«
»Warte, ich bin doch grad erst gekommen .. «
Für mich war mindestens eine Stunde vergangen. Und ich hatte keine Zeit zu verlieren.
»Was soll die Eile?«, rief er.
Ich sagte: »Hab eine Verabredung.« »Mit wem?«
» Geheim. «
»Putz dir mal die Zähne«, sagte Rico.
Ich ging in Richtung McDonalds, um meinen Müll in den Eimer zu werfen. Rico lief neben mir her. Er warf sein Zippo in die Luft und fing es mit einer Hand auf. Das Training zahlte sich aus, normalerweise brachte er das Kunststück nur; wenn er still dastand.
»Ich hab mich mit Max und Georgi verabredet, wir fahren raus zum Baden«, sagte er. »Kannst mitfahren.«
»Nein«, sagte ich, wischte mir die Hände an der Jeans ab und gab Rico einen Klaps auf die Schulter. »Ich hab was vor, sag ich doch.«
»Pass auf, Alter!«, rief er mir hinterher; »solche wie du wer'n später Singles!«
Einen Moment dachte ich, er käme mir nach. Aber es war bloß der Wind, der Ricos dämliche Stimme hinter mir herfegte.

Ein Ziel hatte ich nicht. Und ich brauchte auch keins. Heute war mein Geburtstag und ich war absolut frei. Und nicht nur heute. Auch morgen und übermorgen. Das war mein Wunsch gewesen, den ich mir jetzt selber erfüllte. Drei Tage rumlaufen. Wo ich will. Und abends nicht nach Hause. Es war Sommer und ewig hell.
Als ich vor einer Woche meiner Mutter auf der Terrasse gesagt hatte, was ich mir wünschte, wurde sie blass. Ich befürchtete schon, sie hätte einen Schock und ich müsse den Notarzt rufen. Aber dann aß sie weiter ihr Eis, ich trank meine Limo und wir sahen uns an. Mehrere Bienen und eine Hummel versuchten was vom Eis und von der Limo abzubekommen, was zur Folge hatte, dass ich zwei Bienen mit dem Endspiel todunglücklich machen musste. Die Reste, die an meinem Taschenbuch klebten, kratzte ich an der Unterkante des Tisches ab.

Mit einem Papiertaschentuch wischte sich meine Mutter über den Mund. »Was willst du denn machen drei Tage lang? Das ist doch langweilig. Und Angst hab ich auch, dass dir was passiert. «
»Ich weiß nicht, was ich machen werd, einfach nur rumlaufen. Den ganzen Tag, ich schau so rum, ich fahr mit der Tram von einem Ende zum andern. Da sind überall Leute, da passiert mir nichts.«
»Das ist ein Wunsch, der mir nicht gefällt«, sagte meine Mutter.
»Das ist ein toller Wunsch«, sagte ich, »er kostet dich und Papa keinen Pfennig. Ich hab noch hundert Mark von Großvater; die geb ich aus, wenn ich will.«
Der Vater meines Vaters arbeitete als Kellner und schenkte mir manchmal sein Trinkgeld von einer Woche. Das war die offizielle Version. In Wahrheit wettete Opa Johann auf Pferde. Er hatte oft Glück und einen kleinen Teil seines Gewinns verschenkte er gelegentlich an mich. Aber das durfte ich nicht wissen. Meine Eltern waren überzeugt, ich würde glauben, dass ein achtundsechzigjähriger hinkender Mann noch jeden Tag in einem Lokal herumlief und Gäste bediente. Seltsamerweise hatte er jedes Mal frei, wenn ich ihn besuchte. Er saß dann am Stammtisch, trank Weizenbier und ich dachte: Wenn mein Vater bayerischer Meister im Nichtreden war; dann war sein Vater mindestens Champions-League-Sieger.

»Das ist nicht gut«, hatte meine Mutter vor einer Woche gesagt. Und dasselbe sagte sie einen Tag vor meinem Geburtstag noch einmal. Und fügte hinzu: »Nein!«

Sie machte einen total niedergeschlagenen Eindruck und ich war nahe dran, ihr den Wunsch zu erfüllen, mir meinen Wunsch nicht zu erfüllen.
Doch ich konnte nicht. Ich konnte nicht. Konnte einfach nicht.
Also haute ich am nächsten Morgen ab. Zettellos.

S. 5-9 Stattdessen kamen Leute, die aussahen, als wäre ihre Lieblingsbeschäftigung das zu Tode Erschrecken von Omas. Zuerst dachte ich, ich träum noch, als ich die Gruppe vor mir stehen sah. Sie trugen Ledermäntel und drunter nichts außer schweren Ketten und sonstigem Gehänge, massive Stiefel und Ringe, mit denen man alles Mögliche anstellen konnte, Augen ausstechen, Hunde abschlachten, Haut vom Leib ziehen zum Beispiel. Und die meisten hatten eine Glatze und die Ohren voller Ringe und Sterne. Irgendjemand hatte zwei Kästen Bier mitgebracht und sie tranken extrem zügig. Was verständlich war bei der Hitze.

Als ich aufwachte, war die Sonne schon ziemlich weit unten. Das bedeutete, ich hatte zwanzig Stunden geschlafen. Ich schaute auf meine Uhr. Sie war nicht da. An meinem Handgelenk war ein weißer Streifen. Die Schweine hatten sie mir geklaut! Sofort griff ich in meine Taschen. Mein Geld war noch da. Wieso klauten die eine Swatch und nicht das Geld? Total unlogisch.

Erst mal musste ich aufstehen. Und was trinken. Ich verdurstete. Ich schwitzte. Wie spät war es?

Jemand rief: »Er lebt noch!«
Immerhin kippte ich nicht gleich wieder um, als ich endlich aufrecht dastand.

Um mich herum fand ein Volksfest statt. Ohne Buden und Autoscooter und Riesenrad. Aber mit tausend Leuten, die aßen und tranken und super drauf waren. Im Gegensatz zu mir. Während ich geschlafen hatte, hatte man mir einen Laster Kies in den Schädel gefüllt und ein Gewächshaus Kakteen in den Magen gepflanzt. Wenn ich bloß schnaufte, knirschte und stach es überall in mir.

Plötzlich stand einer der Ledermäntel vor mir.
»Hu!«, machte er.
Seine Glatze glänzte. Irgendwie sah er aus wie aus einem Italo-Western entlaufen.
»Hä?«, machte ich.
»Wer bist du?« Vielleicht hatte er einen Keller verschluckt, seine Stimme hörte sich jedenfalls so an.
»Lukas«, sagte ich.
»Ringo sagt, du hast Probleme«, sagte der Glatzenmantel.
Ich schüttelte den Kopf. Es rasselte und ich dachte, gleich rauschen Kiesel aus meinen Ohren.
»Cool bleiben«, sagte der Typ.
Ich nickte. Außer Kies gab es anscheinend in meinem Kopf noch einen Haufen anderes Zeug, Eisenteile, verrostete Eisenteile, die mir jeden Moment aus den Ohren rausstehen würden.
»Du siehst erledigt aus, Alter!«, sagte der Mantel. »Trink mal was zur Stärkung!«
Ich nahm seine Bierflasche. Nach dem ersten Schluck hätte ich direkt in die Flasche kotzen können.
»Danke«, sagte ich und gab sie ihm zurück. »Wir ziehen ab«, sagte er. »Kommst mit?« Nein, dachte ich. »Okay«, sagte ich.
Wo war meine verdammte Uhr?
»Komm mit!«, rief mir Ringo zu. Er schulterte seinen Rucksack und drückte eine der Plastiktüten seiner Freundin in die Hände. S. 158-159


Lesezitat nach Friedrich Ani - Wie Licht schmeckt



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Quelle: http://www.bookinist.de