Antonis Sourounis - Der Rosenball (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Der Bus zum Spielkasino fuhr am Frankfurter Hauptbahnhof Ostseite ab, in einer Straße, in der hauptsächlich Ausländer verkehrten. Es war eine bescheidene Straße mit nur einem Bürgersteig und kleinen Läden, in denen kleine Dinge zur Befriedigung kleiner menschlicher Wünsche verkauft wurden. Noussis nahm fast immer den ersten Bus gegen halb drei nachmittags und kam fast immer mit dem letzten um halb drei morgens zurück. Während er auf den Bus wartete, ging er die zwanzig Meter auf dem Bürgersteig hin und her und sah sich die Schaufenster an, die mit seltsamen Feuerzeugen, Messern, Schlagringen, Kofferradios, Pfeifen und Ostzigaretten gefüllt waren.

Den ersten Bus nahmen Rentner, Kranke und Schizophrene. Abgesehen von den ersteren, die nichts Besseres zu tun hatten und die Fernsehserien am Abend nicht verpassen wollten, stiegen nur die Spielbesessenen und die Idioten ein, die am Vortag gewonnen hatten und der festen Überzeugung waren, ihre Glücksfee würde dort auf sie warten, wo sie sie verlassen hatten.

Noussis ging zu Fuß zum Bus, es waren zehn Haltestellen von seiner Wohnung aus; er kam an Schaufenstern vorbei, die ihn nicht interessierten, und an Menschen, die sich nicht für ihn interessierten. S. 9


Lesezitat nach Antonis Sourounis - Der Rosenball


Rien ne va plus
Antonis Sourounis - Der Rosenball

ntonio Sourounis zählt heute zu den meistgelesenen Autoren Griechenlands, doch bis er vom Schreiben leben konnte, in seiner Heimat sind bereits neun Romane erschienen, hat er seinen Lebensunterhalt auf vielfältige Weise gesichert. So war er Bauchladenhändler in Thessaloniki, Tavernenwirt in Kalymnos, Gastarbeiter in Deutschland, Schiffsjunge in Hamburg und vor allem Berufsspieler.

Die Summe dieser Erfahrungen haben sich zweifellos in seinem ersten, auf deutsch erschienen Buch, "Der Rosenball" niedergeschlagen und darum verwundert es nur auf den ersten Blick, dass dieser griechische Autor einen Roman vorlegt, der hauptsächlich in den Spielkasinos von Wiesbaden, Bad Homburg und Baden - Baden spielt.

Die Protagonisten? Spieler sind sie alle, doch der Professor ist das Drehkreuz: Er ist ihr Berater, Geldgeber und immer auf der Suche nach der richtigen Roulette - Theorie. Um ihn geschart ist der Grieche Noussis, der mehr damit beschäftigt ist, die Zahlen in der Reihenfolge aufzuschreiben, wie sie am Roulette - Tisch gekommen sind, denn Geld zum Spiel hat er nur selten. Ebenso Rolf aus Bremen, der mit seiner Rolle als Gigolo nahezu ausgelastet ist und Otto der ehemalige Croupier. Es vergeht kein Tag, den sie nicht am Spieltisch verbringen. Ihr ganzes Leben ist danach ausgerichtet. Ob sie Glück haben werden? So viel sei verraten, am Ende steht eine Einladung zum legendären Rosenball im Fürstentum Monaco - mit der Goldcard selbstverständlich.

Antonis Sourounis legt sehr viel Wert auf die Ausarbeitung seiner Protagonisten, jeder hat seine individuelle Geschichte, die Sourounis ganz nebenbei in den Erzählfluss mit einflicht. Die Handlung ist im zweiten Drittel etwas langatmig geworden, allerdings schmälert dies das Lesevergnügen an diesem Roman, in dem sich wirklich alles um den Roulette - Tisch dreht nicht nachhaltig. Selbst eine Skizze, der angeblich sehr erfolgreichen Wahrscheinlichkeits - Theorie, die Noussis für die richtige Reihenfolge der Zahlen entdeckt haben will, ist abgebildet. Wer weiß, ob sie stimmt? Es käme auf einen Versuch an. © manuela haselberger


Antonis Sourounis - Der Rosenball
© 1994, Originaltitel   O  XOPOΣ  TΩN  POΔΩN
Übersetzt von Gesa Schröder
© 2001, München, Piper Verlag, 476 S., / 22.90 €

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Ohne zu wissen warum, verspürte Rolf eine heftige Unruhe. Er stellte sich einen alles andere als freundlichen Salvatore vor, der auf seine Kosten philosophierte, und sein Magen zog sich zu einem schmerzenden Klumpen zusammen. Unzählige Male hatte er sich von unzähligen Menschen Geld geliehen, aber zum ersten Mal fühlte er sich derartig. Normalerweise machte er sich um nichts Sorgen, auch nicht, wenn sie im Kasino seinen Personalausweis überprüften. Rolf war seit Jahren der Zutritt zu allen Kasinos in Deutschland untersagt, und er benutzte einen fremden Ausweis, den er monatsweise von einem gemietet hatte, der in Afrika arbeitete. Er hoffte, dem Italiener heute nicht zu begegnen. Er hoffte, daß er krank war, daß ein Auto ihn überfuhr oder ein anderer Italiener ihn umbrachte, was im übrigen bei ihnen tatsächlich hin und wieder vorkam.
Unten im großen Park des Hotels sah er ein älteres Ehepaar spazierengehen, das sich gegenseitig stützte, und ein junges Mädchen mit sehr kurzen Hosen und einem roten Tuch um den Kopf, das sie joggend überholte. Rolf gähnte und räkelte sich. Er selbst war von beiden gleichermaßen weit entfernt. Früher hatte er jede Frau haben können, die er wollte, heute konnte jede Frau ihn haben, die ihn wollte. So ist das Leben. Er ging zu dem großen Spiegel zurück und betrachtete seinen Körper. In der letzten Zeit war er etwas schrumpelig geworden, wie eine Sahnetorte, die man ein paar Stunden außerhalb des Kühlschranks hatte stehenlassen. Außerhalb von was war Rolf? Vielleicht war er zu anderen nie wirklich aufrichtig, aber zu sich selbst war er es. Wenn ihm nicht einmal das in seinem Leben gelungen wäre, hätte er nicht die Vierziger erreicht. Seine weiße, weiche Haut, das Beste, was seine Familie besaß, und das Markenzeichen seiner Herkunft, hing an einigen Stellen nutzlos und überflüssig herab. S. 63

Alex war vielen Frauen begegnet, die bei ihrem ersten Besuch im Casino jung, schön und reich waren und in kürzester Zeit alles verloren, sogar ihre Jugend. Nichts verschlingt schneller Vermögen und Reize einer Frau als das Roulette. Die Drehungen des Roulettes könnten mit den Erdumdrehungen verglichen werden, und in einer Nacht dreht es sich oft wie die Erde in einem ganzen Jahr Auch Irinas Mutters hatte er in solch einem Hotel kennengelernt. Alex würde sich bis an sein Lebensende an jenen Tag erinnern, an dem er sie zum erstenmal sah. Er hatte eine katastrophale Nacht im Kasino von Baden-Baden verbracht, wo er alles oder fast alles verloren hatte aufgrund einer schlechten Verfassung, die gar nichts mit dem Spiel zu tun hatte. Als es Tag wurde und er sich draußen auf dem kühlen Rasen wiederfand, fühlte er sich, als käme er in dem Moment zur Welt und wäre schon beladen mit Schuld und Schulden. Er verspürte den Wunsch, sie sofort wieder zu verlassen, und in dem Moment konnte er seinen Vater verstehen. Dieses Verständnis hielt ihn schließlich am Leben, da es ihn dazu brachte, zu weinen, mit dem Gesicht auf dem taubenetzten Rasen, dort, wo er sein Grab schaufeln wollte. Er schlief den ganzen Tag und die ganze Nacht, und auch den ganzen nächsten Tag verkroch er sich unter den Decken, um nichts von dieser Welt zu sehen, von der etwas verschwunden war, was ihm gehört hatte, und von der nun nichts und niemand mehr ihm gehörte. Er war selbst wie tot, er hatte weder Hunger noch Durst noch Hoffnungen, je wieder auf die Beine zu kommen. Selbst der kleinste Wunsch, der die lebenden Menschen auszeichnet, war in ihm verschwunden, und er fühlte sich wie ein leeres Gerippe. Solange er unter seinen leeren Hüllen lag, hatte er keine Angst, plötzlich in einem Spiegel von Angesicht zu Angesicht seinen eigenen Mörder zu erblicken. Nur hin und wieder hörte er das Telefon klingeln wie eine Sirene als Warnung vor weiteren Katastrophen, und dann kroch er nur noch tiefer unter die Decke und rollte sich noch mehr zusammen. S. 160

... wenn die Kugel über sie läuft. Es ist, als ob sie kreischen. Diese Roulettes sind noch nicht eingearbeitet und deshalb katastrophal, vor allein für Profis. Überlaßt sie den Amateuren, damit sie sich ihre Hörner abstoßen, während sie gebändigt werden, und danach taucht ihr auf. Es gibt keinen schöneren Anblick als ein Roulette, das Tausende von Menschenleben ruiniert hat, ganze Vermögen verschlungen und Familien zerbrochen hat, wenn man es so vor sich sieht, wie es sich würdevoll, sanft und ruhig dreht, wie eine Hure in reifen Jahren, die beschlossen hat, ihre sündige Vergangenheit aufzugeben und nun mit einem einzigen Menschen zu leben, nämlich mit dir."
Mehr oder weniger kannten sowohl Noussis als auch der Professor die Unterschiede zwischen alten und neuen Maschinen, sie wußten aber nicht, daß man sie mit solchen Worten beschreiben konnte. Vielleicht konnte das auch außer Alex sonst kein Spieler auf der Welt.

"Wenn du keinen Respekt vor dem Roulette hast, wird auch das Roulette keinen Respekt vor dir haben", fuhr er fort. "Du mußt wie ein Bräutigam zu dem Rendezvous mit der Maschine gehen, sauber, rasiert und frisch gebadet. Und vor allem ruhig. Du darfst nicht über die erstbeste herfallen, sondern du mußt die auswählen, die zu dir paßt und bei der du spürst, daß sie deine Liebenswürdigkeit erwidert. Nach und nach könnt ihr alles von ihr bekommen, mehr noch, als sie selbst besitzt. Voraussetzung ist aber, daß ihr euch nicht als Räuber benehmt. Alle haben Sympathie mit den Bescheidenen und erleichtern ihnen alles, die Habgierigen werden von allen verflucht und verachtet." Alex sagte all dies, während er die Kugel warf und das Chronometer beobachtete. Er zeigte nicht das geringste unteresse dafür, ob die anderen ihm zuhörten, er schien nicht einmal selbst zuzuhören. S. 267

Lesezitate nach Antonis Sourounis - Der Rosenball



© 18.10.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de