Vier
Eine Woche, eh wir heirateten, mietete Hank ein Haus jenseits der Grenze nach South Carolina. Es lag ganz hinten in einem Tal namens Gap Creek - noch nie war ich so weit weg von daheim. Hank sagte, er wollte dort leben, weil es da hübsch war und weil es billig war und weil er Arbeit hatte in Lyman, wo eine Baumwollspinnerei gebaut wurde. Er hatte schon früher als Zimmermann und Maurergehilfe gearbeitet und bereits einen Job, bei dem er Ziegel machen helfen sollte. Später dachte ich, er ist nach South Carolina gezogen, um von seiner Ma wegzukommen, denn als ich sie kennengelernt hatte, verstand ich das.
Wir heirateten an einem Sonnabend, fast einen Monat nachdem wir uns das erste Mal begegnet waren, und blieben in der Nacht in Mamas Haus. Es war mir peinlich, die erste Nacht als Ehefrau bei mir daheim zu verbringen, aber Mama wußte Rat. Weil wir kein Gästezirnmer hatten, ließ sie Hank auf der Couch im Wohnzimmer schlafen, und ich blieb im Schlafzimmer mit Lou und Rosie und Carolyn, wie früher auch. Ich schlief fast gar nicht in dieser Nacht, und Lou kicherte und neckte mich.
"Meinst du nicht, daß sich Hank drüben auf der Couch einsam fühlt?" sagte sie.
"Pssst", machte ich und tat, als sei ich schläfrig.
Am nächsten Tag gingen wir zu Fuß hinunter nach Gap Creek.
Wie jede Ehefrau dachte ich, mein Mann ist klug und wird bald reich. Und als ich das Tal von Gap Creek sah, dachte ich, es ist einer der schönsten Orte der Welt. Das Haus war nicht so besonders, aber das enge Tal mit den steilen Bergen zu beiden Seiten sah aus wie ein Bild aus einer Zeitschrift. Die Talsohle war flach, die Wege schlängelten sich friedlich die steilen Berge hinauf. Unten war noch alles grün, auf den Hängen schon Herbst.
Das schlimmste an dem Haus war, daß Mr. Pendergast, der es uns vermietete, selber drin lebte. Er bewohnte das vordere Schlafzimmer, und unsere Miete bestand darin, daß ich ihm das Essen richtete und für ihn wusch. Er war ein barscher alter Witwer, und ich sah gleich, daß ich viel Geduld brauchen würde. Ich war eine junge Braut, und Hank hatte mich dort hinuntergebracht, um in dem kleinen Anwesen den Haushalt zu führen.
Mr. Pendergast war klein von Wuchs und hatte einen riesigen Schopf graue Haare. Auch in seinen Ohren wuchsen Haare. Wenn er einen ansah, schielte er. "Kümmert euch nicht um mich", sagte er an dem Abend, an dem wir eintrafen. Ich hatte all meine Kleider in einem Pappkarton und einem Kissenbezug und war den ganzen Weg vom Mount Olivet herunter gegangen. "Ich eß fast nichts und ich bin so leise, daß ihr gar nicht merkt, daß ich da bin."
Er zeigte mir, wo die Küche lag und wo alle Töpfe und Pfannen waren. Seine Frau war ihm vor drei, vier Jahren weggestorben, und er hatte das Haus verkommen lassen wie die meisten Männer. Jeder Zoll Boden mußte gescheuert und geschrubbt werden. So was von Dreck, wie er sich rings um den Herd angehäuft hatte, kann man sich gar nicht vorstellen. Ich würde eine Woche brauchen, um das Haus soweit sauber zu kriegen, daß sich einem nicht der Magen umdrehte.
"Was möchten Sie zum Frühstück?" fragte ich.
"Mach mir nur bißchen Dörrbrot und Sauce", sagte Mr. Pendergast, "und vielleicht ein verlorenes Ei."
Von verlorenen Eiern hatte ich gehört, aber noch nie eins gemacht. Ich würde Hank fragen müssen.
"Speck kriegen wir erst, wenn wir das Schwein geschlachtet haben", sagte Mr. Pendergast. "Aber es ist ja sowieso bald Zeit zum Schlachten."
Als wir in der ersten Nacht ins Bett gingen, hatte ich fast Angst, mich in dem Mansardenzimmer zu bewegen, denn die Dielenbretter krachten und die Bettfedern krachten, und Mr. Pendergast, der direkt unter uns schlief würde auf jedes Geräusch horchen, das wir machten. Die Dielen ächzten und die Bettfedern stöhnten, als wir ins Bett stiegen. "Pssst", sagte ich zu Hank.
"Pendergast ist so taub wie ein Zaunpfahl", sagte Hank, ohne auch nur die Stimme zu senken.
"Selbst ein Zaunpfahl könnte dieses Bett knarren hören", sagte ich.
Als Hank die Lampe ausgeblasen hatte, lagen wir in dem höckrigen Bett in dem Zimmer, das nach altem Holz und Rauch roch. Hank drehte sich zu mir, und die Federn knallten auf den Bettrahmen. Ich kicherte, weil ich ein bißchen nervös war. Aber ich war weder ängstlich noch besorgt, wie so viele Bräute es sein sollen. Ich hatte mein Leben lang an diese erste Nacht in unserm Haus gedacht, und jetzt, wo sie da war, fürchtete ich nur, daß wir Mr. Pendergast wecken würden, sonst nichts.
*Pssst!" sagte ich wieder.
Als Hank die Lippen an mein Ohr legte, fühlte sich das so sonderbar an, daß ich schauderte. Und als er mit dem Finger meine Brustwarzen berührte, war mir, als bestünde ich überall aus Musikantenknochen. Als er mir mit der Hand über die Schulter in die Achselhöhle und auf den Bauch hinunterstrich, meinte ich, meine Haut müßte im Dunkeln Funken sprühen.
Etwas zog mir das Nachthemd über die Knie und die Oberschenkel herauf Ich kicherte, und das Bett knarrte. Dann fühlte ich etwas Heißes und Nasses in meinem Nabel und begriff, daß es Hanks Zunge war, die hier herumfuhr. Ich hoffte nur, daß keine Fusseln im Nabelloch waren.
Alles war sonderbar und so ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich wußte nicht, wie mir geschah. Die Welt war irgendwie umgekippt, und die Zeit stand still oder war verlangsamt. Die Zeit war auf die Seite gedreht worden und ging in einer Kurve weiter. Als Hank sich auf mich legte und das Bett ins Wanken brachte, wurde ich unter seinem Gewicht starr. Ich hörte das Kopfende des Betts an die Wand klopfen. Ich glaubte, daß Mr. Pendergast unten zuhörte. Ich fragte mich, ob das nun sei, wovon alle so viel redeten und woran sie dachten.
Hör auf wollte ich sagen. Hör damit auf. Aber ich konnte nicht. Laß das, wollte ich sagen, aber ich tat es nicht. Und als Hank stärker schaukelte, rutschten die Bettpfosten auf den Dielen. Was er tat, tat ein bißchen weh, aber es tat auch wohl. Ein süßes Weh, eine heiße Süße.
"Oh", sagte ich. Und ich dachte, du mußt aufhören. So können wir nicht weitermachen, denn ich geriet außer Atem. Und Hank auch. Hör auf damit, dachte ich. Vielleicht dachte ich auch: Hör nicht auf Hörjetzt nicht auf
Alle Farben fingen an, mir im Dunkeln durch den Kopf zu ziehn: Rot und Grün und Gelb und Schwarz. Sie gingen ineinander über und ergossen sich übereinander. Und die Farben schwollen und wurden mächtiger, als ich je gedacht hatte, daß sie werden könnten. Und sie waren wie Musik.
Laß es jetzt, dachte ich. Wir müssen aufhören oder wir wecken den alten Pendergast. Wir wecken die Hühner im Hühnerstall und wir wecken das Pferd und das Schwein im Koben. Wir wecken die Sterne über den Bergen und die Vögel, die auf dem Dachbalken der Scheune nisten. Aber noch immer flossen
die Farben hinter meinen Augen, das Purpurrot und das Blau und die salzigen Farben wie Orange und Gelb. Gelb ist so salzig wie Butter auf Maiskolben. Das Gelb war hoch aufgeschwollen und butterig. Und ein Goldbraun war am allersalzigsten.
Und weiter unten spürte ich ein Niesen kommen. Es war das beste Niesen und kam aus meiner Mitte und flilir durch mich und wollte, daß ich alles loslasse, was ich zurückhalte. Und ich nieste rasch und dann noch mal. Es war das süßeste Niesen, so tief und voll, daß es weh tat.
Hank schob und stieß und trat mit den Füßen gegen das Fußende des Bettes, als ob er im Liegen rannte oder im Liegen tanzte. Dann hörte man in den Brettern einen Ruck und das Quietschen sich lockernder Nägel. Wir krachten auf den Fußboden. Es hörte sich an, als ob das Haus einstürzte, aber ich wußte, was passiert war, obwohl ich in der Dunkelheit nichts sah. Das alte Bett war auseinandergebrochen, und das Fußende war abgefallen. Federn und Matratze waren auf den Boden gerutscht.
Ich lag auf der Diele und wußte, daß Mr. Pendergast unter uns aufgewacht sein mußte. Aber ich kicherte ein bißchen, und Hank legte seinen Kopf auf meinen Hals und kicherte auch. Wir waren beide völlig erschöpft, und es war schön, einfach nur still dazuliegen. Ich horchte, ob sich Mr. Pendergast unten rührte. Aber ich hörte nur meinen eignen Atem und Hanks Atem. Und dann knallte es wieder, und ich wußte, daß das Kopfende abgefallen war.
"Du lieber Himmel", sagte ich im Dunkeln. Ich glaubte, jemand im unteren Stock lachen zu hören, aber ich war nicht sicher. Es hätte auch eine Schleiereule im fernen Wald oder der Wind im Gebälk sein können.
S. 58-62
Lesezitate nach Robert Morgan - Gap Creek