Elizabeth McGregor - Das Eiskind (Buchtipp/Rezension/lesen)
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Das Telefon klingelte.
Jo versuchte mühsam wach zu werden. »Hallo?« »Jo, ich bin's, Gina.«
»Himmel, Gina. Wie spät ist es eigentlich?« »Kurz vor eins.«
»Wo bist du?«
»In der Redaktion. Hör zu... «
Verschlafen fuhr sich Jo mit der Hand übers Gesicht. »Was zum Teufel machst du denn dort noch so spät?«
»Das ist für dich spät?«, fragte Gina. »Und du willst bei einer richtigen Zeitung arbeiten?« Jo schnitt Gina durch den Hörer eine Grimasse. »Hör zu, sie haben ihn gefunden. «
»Wen?«
»Wen wohl. Marshall natürlich. «
Plötzlich war Jo hellwach. »Doug Marshall?«
» Genau den. Tiefgefroren wie ein Fischstäbchen, aber er lebt. «
Gott sei Dank, dachte Jo und war über die Gefühlswallung, die sie dabei spürte, selbst überrascht. »Und sein Scout?«, fragte sie.
»Marshall hat sich das Bein gebrochen«, erklärte Gina. »Der Inuit hat es zurückgeschafft. Das ist genau der Stoff, aus dem große Heldengeschichten gemacht werden. Sie haben Marshall vor einer Stunde aufgelesen.«
Jo starrte durch die Lücke zwischen den Vorhängen nach draußen. Sie sah nichts als Wolken. Der Himmel war von den Lichtern der Stadt gelb erleuchtet.
»Bist du noch dran?«, fragte Gina.
»Ja.« Sie schwang die Beine aus dem Bett. »Wann soll er denn in England ankommen?« Sie konnte fast hören, wie Gina lächelte. »Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte sie. »Du musst dich schon selbst um deine Geschichte kümmern, Mädchen. S. 91


Lesezitat nach Elizabeth McGregor - Das Eiskind


Das Eiskind
Elizabeth McGregor - Das Eiskind

ie englische Journalistin Jo ist der Story ihres Lebens auf der Spur, als sie erfährt, dass der bekannte Archäologe Doug Marshall spurlos in der Arktis verschollen ist. Jo, die sich noch nie für Eis und Schnee interessiert hat, wird zunehmend von der Thematik gefangen genommen.

Marshall arbeitet an einem großen Forschungsprojekt über die Route der Franklin - Expedition im Jahre 1845. Damals waren zwei Schiffe unter der Leitung von John Franklin mit 130 Mann Besatzung in See gestochen, um die Nordwest-Passage zu suchen. Überlebt hat dieses Abenteuer keiner der Männer.

Als es gelingt, mit Marshall, der verletzt ist, Kontakt aufzunehmen, schreibt Jo ihre Heldengeschichte, die sie auf die erste Seite der Zeitungen bringt. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass sie sich bei ihrem Interview Hals über Kopf in diesen faszinierenden Mann verliebt.

Eingebettet in eine tragische Liebesgeschichte erzählt Elizabeth McGregor von der historischen Franklin - Expedition aus der Sicht des Schiffsjungen Gus. So ist "Das Eiskind" im Kern ein historischer Roman, der auf fundierten Fakten beruht, die sich auf Erkenntnisse des "Scott Polar Research Institute" in Cambridge stützen. Durch die Arbeit des Wissenschaftlers Doug Marshall kann die Autorin auch heutige Forschungsergebnisse miteinfließen lassen. Eine wirklich gelungene und spannende Kombination.

Dass ausgerechnet Jos Kind an einer schweren Krankheit leidet und Marshall einem tragischen Unglückfall erliegt, das sind eine Menge Klischees, mit denen die Autorin ihren Roman unnötigerweise überfrachtet, denn die Verknüpfung von historischen Fakten und Ereignissen der Gegenwart beherrscht sie ausgezeichnet. Leser, die von einem Roman gute Unterhaltung und interessante Informationen erwarten, kommen hier auf ihre Kosten. © manuela haselberger


Elizabeth McGregor - Das Eiskind
Originaltitel: The Ice Child , © 2001
Übersetzt von Gloria Ernst

© 2002, München, Blanvalet Verlag, 477 S., 22.90 € (HC)



Fortsetzung des Lesezitats ...

PROLOG
Sommer 2000

Die große weiße Bärin hob den Kopf und blinzelte in das arktische Schneetreiben. Sie blickte über das lose Packeis zu ihrem Jungen zurück und wartete in der endlosen weißen Landschaft darauf, dass es ihr folgte.

Um sie herum knirschte das Eis in der Victoriastraße, das sich, zusammengepresst durch den Strömungsdruck der Beaufortsee, seinen Weg durch den Melvillesund in Richtung Nordwestpassage bahnte.

Es war unendlich kalt. Viel kälter, als ein Mensch es für längere Zeit aushalten konnte. Die Bärin, durch ihre zehn Zentimeter dicke Fettschicht und ihren isolierenden Pelz wohl geschützt, spürte die Kälte jedoch nicht. Dies hier war ihre Heimat, ihr Königreich. Sie folgte nur ihren eigenen Regeln.

Die Griechen nannten dieses Gebiet Arktikos, das Land des großen Bären. Von November bis Februar hielt es des Erdballs lange Nachtwache, im Frühling aber war es mit mehr Leben erfüllt als jede andere Region. Drei Millionen Eissturmvögel, Dreizehenmöwen, Trottellummen und Gryllteisten fanden im Lancastersund während des Sommers Nahrung; außerdem tummelten sich dann hier über eine Viertelmillion Sattelrobben, Bartrobben, Ringelrobben und Seehunde. Im Mai und Juni zogen zehn Millionen Krabbentaucher, zu erkennen an ihrer untersetzten Statur und dem schwarzweißen Gefieder, über die Devon-Insel. Und über ihnen allen leuchtete Polaris, der im Winter unvergleichlich hell strahlte. Polaris, der gelbliche Stern, der sich niemals zu bewegen schien, während die kleineren Sterne von

Ursa major, dem Sternbild des Großen Bären, ihn umkreisten. Das Schönste aber waren die Lichter am Himmel - Lichter, von denen die Inuit behaupteten, dies seien die Fackeln, mit denen die Toten den Lebenden bei der Jagd leuchteten -, die Aurora borealis, deren hellgrüne und rosenfarbene Fahnen über den Himmel wanderten und wogten.

Die Eisbärin hatte sich im vergangenen Mai auf dem Treibeis im Peelsund gepaart. Selbst im Vergleich zu ihren ebenfalls weit umherstreifenden Artgenossen, war sie eine außergewöhnliche und einsame Wanderin. Während der Paarungszeit hatte sie den nördlichen Polarkreis in der Nähe von Repulse schwimmend überquert und sich dabei nur selten auf einer Eisscholle ausgeruht. Als sie im März die alten Walfangrouten gekreuzt hatte, war sie von einem Forschungsteam, das Meeressäuger beobachtete, entdeckt, aber nicht markiert worden. Meist legte sie eine Strecke von achtzig Kilometern am Tag zurück, ohne auch nur einmal auszuruhen: Mit einer Geschwindigkeit von fast zehn Stundenkilometern pflügte sie durch das mit Eisschollen übersäte Meer.

Im Dezember hatte sie in einer Höhle tief unten im Schnee ihr erstes und bisher einziges Junges geboren. Das männliche Jungtier war wimmernd auf die Welt gekommen, hatte aber schon nach wenigen Minuten begonnen, mit den Füßen gegen ihren Bauch zu treten. Bei der Geburt hatte es weniger als ein Pfund gewogen und in ihrer eingerollten Tatze Platz gefunden; im April aber hatte sein Gewicht schon zwölf Kilo betragen. Zu diesem Zeitpunkt war die Bärin aus ihrem Dämmerschlaf aufgewacht und hatte den Eingang der Höhle aufgegraben, der in die Welt nach draußen führte. S. 10


Sir John, ich kenne mich mit dem Eis aus. Und es kommt viel Eis von der Victoriastraße herein. Da ist Eis voraus, geschlossenes Eis. Auf der anderen Seite von King William ist die Durchfahrt möglicherweise noch frei.«
»Sie können doch gar nicht wissen, ob wir auf geschlossenes Eis treffen werden«, sagte Franklin.
»Das ist jedenfalls meine Meinung, Sir. «
»Und worauf stützen Sie sich? «
»Auf den Zustand der vorbeitreibenden Eisberge«, sagte Blanky.
»Wir haben Dampf an Bord, um durch Treibeis fahren zu können«, stellte Franklin fest.
»Aber wir haben nicht genügend Dampf, um durch geschlossenes Packeis zu brechen«, antwortete Blanky.
»Wir haben Eisenbahnlokomotiven unter Deck, Mann«, wies Franklin ihn zurecht.
»Nicht einmal damit werden wir es schaffen, durch das Eis zu brechen, das vor uns liegt«, erwiderte Blanky. Schweigen. Franklins Gesicht war ausdruckslos. Fitzjames stieß leise die Luft aus und nahm gegenüber von Franklin Platz. Er zog die Augenbrauen hoch.
Franklin wandte sich jetzt an James Reid. Der Eismeister der Erebus starrte unverwandt Karte 261 an. »Was ist Ihre Meinung, Mr. Reid? «, fragte Franklin.
Reid wurde rot. Er sprach nicht gern vor anderen, denn er schämte sich seines nordenglischen Akzents. Er wirkte immer unsicher, selbst jetzt, da die Expedition auf seine und Blankys Kenntnisse angewiesen war. »Es ist tatsächlich altes Eis, das an uns vorbeitreibt«, sagte er schließlich, »andererseits aber ist die Victoriastraße die kürzeste und direkteste Route. «

Jetzt lächelte Franklin zum ersten Mal. »Ganz richtig«, sagte er. »Genau dieser Ansicht bin ich auch. Wir werden uns unserenl Weg bahnen, noch bevor sich die Eisdecke schließt. «
Crozier wurde bleich. Blanky wandte den Blick ab.
»Wir haben in unseren Schiffen die Mittel, selbst durch dichtestes Treibeis zu brechen. «S. 170

Elliott lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er zögerte eine Sekunde, so als müsste er zuerst überlegen, wie er seinen nächsten Satz formulieren sollte. »Wir müssen noch ein paar Tests durchführen«, sagte er. »Ich würde morgen gern eine Knochenmarkbiopsie machen.«
»Hat Sam Leukämie? «
»Nein«, sagte Elliott. »Ich glaube nicht, dass Sam Leukämie hat.« Sie starrte ihn eine Sekunde lang an, dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Bis zu diesem Augenblick war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass sie die Luft angehalten hatte. »Gott Dank«, sagte sie. »Gott sei Dank.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. Dann spürte sie Elliotts Hand auf ihrem Knie. Er bot ihr ein Taschentuch an. Sie trocknete sich damit die Augen. »Sie wissen ja gar nicht, wie erleichtert ich bin«, sagte sie. »Ach... den ganzen Tag habe ich gedacht... Danke. «

»Ich glaube, dass Sam an aplastischer Anämie leidet«, sagte Elliott. Sie schnäuzte sich. Fast hätte sie laut gelacht. »Anämie« sagte sie. »Nur Anämie. Das ist doch nicht so schlimm, oder? Dafür gibt es doch sicher Medikamente? «
Über Bill Elliotts Gesicht lief ein Zucken: ein Reflex Schmerzes. Jo erstarrte, während sie das Taschentuch an Mund presste. Dann ließ sie die Hand langsam in den Schoß sinken. »Dagegen kann man doch etwas machen?«, fragte sie.
»Mrs. Harper ... «
»Jo«, sagte sie.
»Jo. Hören Sie, wir müssen uns morgen noch einmal unterhalten. Vielleicht auch erst übermorgen. Wir müssen die Tests mehrmals wiederholen. Wir brauchen absolute Gewissheit.« »Aber Sie haben doch eben gesagt, Sie seien sich sicher, dass er keine Leukämie hat«, machte sie ihn aufmerksam.
Müde rieb Elliott sich mit der Hand über das Gesicht. Heute war ein langer Tag«, sagte er, »für Sie noch viel länger als für mich, und glauben Sie mir, mein Tag war schon sehr lang. Also« - er stand auf, »ich denke, Sie sollten jetzt mit Sam nach Hause fahren und sich ein wenig ausruhen. Wir brauchen Sie morgen Früh hier in alter Frische.«
Sie blieb auf ihrem Stuhl sitzen und starrte ihn an. »Aplastische Anämie«, sagte sie.
»Ich will keine voreilige Diagnose stellen«, sagte er. »Wir müssen die Untersuchungsergebnisse abwarten.«
»Was ist aplastische Anämie?«, beharrte sie. »Was veranlasst Sie zu dieser Vermutung?«
Er sah sie einen Moment lang an und erkannte, dass sie sich nicht vom Fleck rühren würde. »Im Blutausstrich zeigt die aplastische Anämie ein sehr charakteristisches Bild«, sagte er.
»Und deshalb glauben Sie . . . « »Ich glaube gar nichts, ich möchte hundertprozentige Sicherheit haben, Jo«, erklärte er ihr. Endlich stand sie auf. Sie merkte, wie ihre Stimme bebte, als ihren Satz begann. Sie atmete tief durch, dann versuchte sie es noch einmal. »Angenommen... Also, das ist nur eine Hypothese, richtig?«, sagte sie. »Im Augenblick... ist es eine Hypothese.«
»Ja.«
»Okay«, sagte sie. »Da ist diese Hypothese, die sagt: aplastische Anämie. Was heißt aplastische Anämie? Es ist keine Anämie. Es ist nicht das, was ich zuerst gedacht habe, nicht wahr? Es ist keine harmlose Sache.«
»Ich weiß nicht ........... S. 278-279

Lesezitate nach Elizabeth McGregor - Das Eiskind










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© 5.3.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de