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Kaiserstraße "Judith Kuckart - Kaiserstraße"
udith Kuckart kann man für ihren Roman "Kaiserstraße" gar nicht genug loben. Sie zeichnet mit der Kleinfamilie Böwe ein großes Panorama der deutschen Nachkriegsgeschichte, das über fünf Jahrzehnte bis zum Beginn es 21. Jahrhunderts führt und die Verknüpfung der kleinen persönlichen Schicksale mit der großen Weltgeschichte ist absolut beeindruckend.
Leo Böwe arbeitet als Vertreter für Waschmaschinen in Wuppertal. Beim Verkauf macht ihm so schnell niemand etwas vor. Zuerst darf der Kunde alle "nein"-Antworten los werden und dann ist das Terrain für Leo bereitet. Jetzt kann er seine Argumente auffahren und kaum eine der Hausfrauen, die er von seinen Qualitätsmaschinen überzeugen möchte, sagt am Ende wirklich nein.
Mit knapp zwanzig hat er das Abitur sausen lassen und Liz, seine Jugendliebe, geheiratet. Doch das Ziel war immer die Hochzeit - dass es vor allem gilt die Ehe danach zu meistern, das haben sich die Beiden nicht richtig klar gemacht. Das fängt schon auf der Hochzeitsreise an. Während Leo an der Seite seiner Frau Fernweh bekommt, treibt sie das Heimweh zurück. "Denn Liz sah die Welt grundsätzlich anders als er. Sie sah gar nicht erst richtig hin. Zum ersten Mal hatte er da gedacht, dass jeder von ihnen ein so kleines Leben führte, so klein, dass ein anderer kaum Platz darin fand."
Als Leo in Frankfurt geschäftlich unterwegs ist, kommt er auch durch die Kaiserstraße. Genau an diesem Tag wird dort die Prostituierte Rosemarie Nitribit ermordet. Leo verwechselt in seiner Naivität den Namen Nitribit mit einer Schreibmaschinenmarke, doch sein ganzes Leben wird "das Mädchen Rosemarie", auch wenn er sie in Wirklichkeit gar nicht gekannt hat, immer auf irgendeine Weise gegenwärtig sein. Das beginnt schon bei seiner neuen Adresse.
"Er der kleine Böwe, kam aus der kleinen Kaiserstraße, nicht aus der großen in Frankfurt, und seine Rosemarie unterschied sich von der wahren Rosemarie wie der Finke vom Falken."
Leo engagiert sich in der CDU, kandidiert für den Stadtrat und flüchtet immer wieder in Seitensprünge. Liz, die geduldig Leo nach seinen Eskapaden im trauten Heim erwartet, bekommt nach mehreren Fehlgeburten die sehnlich erwartete Tochter Jule. Doch eine richtige Familie werden die drei nicht. Jeder lebt neben dem anderen her. Als Jule mit siebzehn schwanger wird, ist Leo maßgeblich an der Adoptionsfreigabe des Kindes beteiligt.
Eine Familiengeschichte vor historischer Kulisse ist nichts Neues in der Literatur, doch die Charaktere, das kleine Mittelstandsleben der Böwes, ist perfekt eingefangen. Mit Sätzen, die einfach Lust am Lesen bereiten. Keine abgedroschenen Formulierungen, sondern neue, wunderschöne Sprachbilder - schlicht ein Roman bei dem man ins Schwärmen gerät.
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© 15.9.2006 by Manuela Haselberger www.bookinist.de |