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Die Weihnachtsfrau

von Bodo Kirchhoff




Schundroman
Bodo Kirchhoff - Schundroman

as Kritikerleben ist längst nicht mehr so beschaulich, wie bis vor Kurzem angenommen. Sogar Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki wird von Martin Walser in "Tod eines Kritikers" nach dem Leben getrachtet, bei Bodo Kirchhoff stirbt er tatsächlich. Na gut, es war ein Zufall, ein Missgeschick, auf jeden Fall keine böse Absicht eines gekränkten Autors - zumindest soweit es die Romanhandlung betrifft.

Mit dem Titel "Schundroman" lässt Kirchhoff gar keine Fragen nach der Absicht seines Romans aufkommen und das Titelbild, das an die frühen Pulphefte aus Amerika erinnert, unterstreicht diese Intention. Es geht um Unterhaltung, Spannung und einem Spiel mit allen wichtigen Elementen des Krimis.

Der Auftragskiller Willem Hold trifft auf seinem Flug von Manila nach Frankfurt die blonde Schönheit Lou Schulz. Lou ist in Schwierigkeiten, denn ein reicher Kunde hat ihr nach seinem Ableben einen Picasso vermacht und die Erben sind mit dieser Regelung überhaupt nicht einverstanden. Ein Detektiv, Carl Feuerbach, soll Lou bei ihrer Ankunft in Deutschland beschatten. Hold, den Lou um den Finger wickelt, schafft ihr den lästigen Verfolger vom Hals. Allerdings kostet diese Aktion den Starkritiker Freytag das Leben. "Manche nannten Freytags Todestag schon den elften September der Branche."

In Frankfurt hat gerade die Buchmesse begonnen. "Es schien als tobe in Frankfurt ein Krieg, und im Grunde war es auch einer, der Fünftagekrieg um das abnehmendste aller irdischen Güter, die Bedeutung." Hold hat die Order, den Mann der Bestsellerautorin Vanilla Campus-Busche zu liquidieren. Keine leichte Aufgabe, denn die Leser sind von ihrer neuen Sexfibel begeistert und die Journalisten umlagern und bejubeln den Star der Messe.

Wie in einem Zweikampf umkreisen sich Hold und Feuerbach, - zwei Versager, die sich bei ihren unterschiedlichen Aufgaben immer wieder über den Weg laufen und sich gegenseitig belauern. Unfähig sind sie ohne die Hilfe der Frauen allemal. "Schläft Ollenbeck mit ihrer Frau?" "Mit der schlafe nicht mal ich."

Mit diesen kurzen Dialogen, pointierten Formulierungen und dem ironischen Blick auf den eitlen Literaturbetrieb unterhält Kirchhoff seine Leser bis zum großen Show-down am Gardasee bestens. Denn auch wenn er den Titel "Schundroman" gewählt hat, an der Qualität ist nichts auszusetzen.
© manuela haselberger


Bodo Kirchhoff - Schundroman

© 2002, Frankfurt, Frankfurter Verlagsanstalt, 316 S., 19.80 € (HC)




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Willem Hold hatte sie schon während des Starts entdeckt, als sie unter dem Ärmel eines weißen Herrenhemds auftauchte, infolge der Beschleunigung oder von Nervosität, die einen beim Abheben den Arm strecken läßt, pendelnd um ein schmales Gelenk, schmal, aber weich, die Jaeger-Le Coultre Reverso mit Sekundenanzeige, eine seiner Traumuhren, seit er denken konnte, neben der Rolex Daytona Newman: von der sie sich unterschied wie das Gute vom Bösen.

Lange hatte er nur auf die Hand und das Gependel gesehen, erst nachdem die Schlafbrillen verteilt waren, riskierte er auch einen Blick auf Lippen und Nase der Frau. Die paßten zu einer Reverso, fand er, zu ihrer schlichten Form mit den feinen arabischen Zahlen, und die Augen unter der Brille, die stellte er sich grün bis braun vor, jedenfalls alarmierend. Willem Hold - seinem Gefühl nach Anfang Zwanzig, in Wahrheit längst über Dreißig - konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so ruhig neben einer Frau gelegen hatte, noch dazu umgeben von hilfsbereiten anderen weiblichen Personen, aber er war auch noch nie erster Klasse geflogen. Höchst angenehm war das, eine kleine entgegenkommende Welt, mit persönlicher Stewardeß, die einen beim Namen nannte, auch nach Verlöschen aller Lichter, "Möchten Sie geweckt werden, Herr Pallas?" Wie selbstverständlich kam das aus ihrem Mund, dem einer Vorstadtschönheit, und seine Antwort war ein sachtes Hin- und Herbewegen des Zeigefingers. An Schlaf war für ihn gar nicht zu denken; wenn es etwas gab, dem Willem Hold traute, waren das seine Wachheit und die Fähigkeiten eines philippinischen Paßfälschers.

Er hatte das Dokument erst gestern mittag bekommen, aus der Hand des berüchtigten Homobono Narciso, früher in Sonderkommandos tätig, seinen Opfern, soweit sie noch lebten, als Major Bony unvergeßlich, der linken Hand, muß man sagen, denn die rechte fehlte dem Exmajor, der sich seit dem Sturz von Estrada, dem Schmieren-Präsidenten, als einhändiger Detektiv in Manila durchschlug, meist im Dienst von Anwälten, die beim Prozeßgegner nach Schmutz suchten, wenn es sein mußte, den Schmutz auch bestellten. Irgendwer hatte Narciso beauftragt, ihn zu engagieren, vermutlich ein Deutscher, denn es ging ja nach Deutschland, und der Exmajor hatte den Paß bestellt, bei Leuten mit Zugang zur Staatsdruckerei, versteht sich. Wer hinter alldem steckte, mußte Geld haben, viel Geld, und wer für ihn tätig wurde, flog eben erster Klasse - aber offenbar immer noch nicht genug Geld, dachte Hold, sonst hätte man ihn kaum engagiert.

In der First, hieß es immer, könnte man schlafen, doch Willem konnte nirgends schlafen, es half auch nicht, wenn eine Frau neben ihm lag, er meinte dann, ihren Schlaf bewachen zu müssen, und sah sie an, wie er seine Sitznachbarin mit der Reverso ansah, obwohl er mehr als eine Armlänge von ihr getrennt war: Technisch betrachtet, befand sie sich neben ihm. Einen Fuß auf dem anderen, die Hände auf den Schenkeln - sie trug eine Jeans von der Zweihundert-Dollar-Sorte -, lag sie entspannt auf dem Rücken, Brust und Bauch mit Teilen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bedeckt, hübsch um einen freiliegenden Nabel gruppiert, und was für einen, das perfekte Oval, ohne Knorpel, ein gestreckter Trichter, und nicht etwa mit falscher Perle darin, sondern einem echten Tattoo am Rand - jetzt erst zu sehen, nach kurzer Turbulenz, die den Kulturteil der Zeitung Richtung Sitz rutschen ließ -, einem Symbol, kaum größer als eine Neun-Millimeter-Patrone, aus seiner Sicht das Sinnbild der Männlichkeit, wie man es auf Klowänden findet (in Wahrheit der winzige Umriß eines oberitalienischen Sees, doch wer vermutet im Nabelbereich schon einen geographischen Hinweis).

Er schätzte sie auf Ende Zwanzig, höchstens, und weder ihr weißes Hemd noch die unschuldig hellen Nägel, maßvoll spitz, und schon gar nicht die traumhafte Uhr - gelbes Lederband - konnten ihn darüber hinwegtäuschen, daß sie in diesem Liegesitz fehl am Platz war, so fehl wie er. Willem Hold sah sich neben einer jener Frauen sitzen, die im Dienste gewisser Männer mit Geld für eine Nacht um die halbe Welt fliegen, käuflich, aber auf hohem Niveau, sonst würde sie kaum diese Zeitung lesen, die sogar in den deutschen Bars von Manila manchmal herumlag, vermengt mit der Bild-Zeitung zu einem Müll aus Klatsch und Wirtschaft, und er warf einen Blick in den aufgeklappten Kulturteil. Morgen ?ng die weltgrößte Buchmesse an, Rekord an Neuerscheinungen, hieß eine Überschrift, also reisten auch etliche Männer mit Geld nach Frankfurt, verständlich, daß eine Frau wie sie auf dem Heimweg war. Er besaß nur eine vage Vorstellung von dieser Messe, die es schon gab, als er in Frankfurt zur Schule ging, die vage Vorstellung von bärtigen Typen mit Brillen, umgeben von Zigarettendunst, und dünnen Weibern in Schwarz, die aus noch dünneren Büchern lasen, allerdings besaß er auch keine rechte Vorstellung mehr von der Stadt Frankfurt, ja nicht einmal von Deutschland, das er vor einem Jahrzehnt eiligst verlassen hatte.

Hold überflog noch die Notizen über Shootingstars der Messe, allen voran ein gewisser Ollenbeck, Vertreter eines neuen Männerwunders, wie dort zitiert war, angeblich publikumsscheu, mit einem ersten, sogenannten Skandalroman, sowie eine Frau, von der er schon gehört hatte, Vanilla Campus, Verfasserin einer Sexfibel, Bodymotion. Von ihr gab es sogar ein Foto, als Diva mit wallendem Haar und leicht offenem Kußmund, dazu Augen fast so dunkel wie seine, aber etwas verengt, um sie gefährlich erscheinen zu lassen, ein Gesicht, das an den Rändern zerfloß, nur von Haar und Augen in Form gebracht, irgendwie alterslos, sie konnte dreißig sein, aber auch fünfzig, als sei dazwischen alles eins, eine einzige Crème caramel, und je länger er hinsah, desto mehr fiel ihm dabei ein anderes Gesicht ein, ebenfalls mit großem Mund, immerzu feucht und ganz ähnlich zerfließend, geradezu brüderlich, nur gehalten von zwei harten Augen, erschreckend hart für die eines Fünfzehnjährigen.

Er dachte an seine Jahre im Heim, nach frühem Tod der Eltern, er dachte an Zidona, der sein Leben verändert hatte. Eines Abends - sie hatten Modellflieger im Turnraum gebastelt - kam er mit zwei anderen und drängte ihn in die Toilette, die Helfer bogen seine Arme auf den Rücken und rissen ihm die Hose herunter, während Zidona schon die Flasche mit dem Spannlack bereithielt - Lack für die mit Wachspapier verkleideten Tragflächen der Flieger, damit sie sich spannten wie dünnes Glas -, ihm noch eins in den Magen gab und sein Ringen nach Luft dazu nutzte, den kompletten Inhalt der Flasche einem Zweck zuzuführen, den er immer noch ausbaden mußte.
"Wie spät ist es?"
Ohne die Schlafbrille abzunehmen, hatte sie das in seine Richtung geflüstert, die Frau mit dem kleinen Tattoo am Nabel, und Willem Hold sah auf ihre Uhr. "Gleich zwei", sagte er.
"Was zwei?"
"Zwei Uhr morgens, Manila-Zeit."
"Wieviel Stunden sind wir geflogen?"
"Fünf vielleicht."
"Also noch acht", sagte sie.
"Das kommt hin."
"Und wie spät ist es in Frankfurt?"

Hold überlegte kurz; er war so lange nicht mehr nach Westen geflogen, immer nur nach Norden oder Süden, zur Erholung nach Bali, zum Shopping nach Hongkong. "Zehn Uhr abends."
"Dann leuchten noch alle Banken. Kennen Sie Frankfurt?"
"Nein", sagte er, "sowenig wie Ihre Augen."
"Aber Ihre Stimme klingt ein bißchen nach Frankfurt."
"Meine Mutter kam aus Offenbach."
"Meine nicht", sie hob die Schlafbrille etwas an und blinzelte unter den Rändern hervor, "ich heiße Lou."
"Willem. Heißen Sie wirklich so?"
"Ja."

Er versuchte, ihre Augen zu sehen, vergebens.
"Nicht Jennifer oder Tanja oder Chantal? "
"Nein, wofür halten Sie mich?" Sie ließ die Schlafbrille wieder zuschnappen und lächelte, als wären ihre Augen beteiligt. "Was ist das für ein Name, Willem?"
"Das ist Wilhelm ohne H."
"Dann will ich Ihnen jetzt etwas sagen, Wilhelm ohne H", sie flüsterte wieder, "mein Name ist in Wahrheit etwas länger, beruflich heiße ich allerdings Lou. Und ich bin auch nicht so weit von dem entfernt, wofür Sie mich halten."
"Ich halte Sie für gar nichts."
"Warum lügen Sie, Willem?"
Ihre Hand mit der Reverso kam, sie suchte seine Hand, und er kam ihr entgegen, während sie flüsterte wie in der Schule, als wollte sie bei ihm abschreiben. "Sie halten mich für eine Nutte. Keine billige, aber eine Nutte. Ist mir egal. Ich hätt es nur gern, daß Sie etwas auf mich aufpassen, wenn ich schlafe."
"Das tue ich sowieso schon."
"Um so besser. Dann gute Nacht."
Und damit drehte sie sich auf die Seite, ihm vertrauensvoll zugewandt, und Willem Hold - der seinem Vornamen schon in der Schule mehr Schwung verliehen hatte - war wieder allein mit sich und der Welt, während die große Maschine irgendwo über Indien hinwegzog, mit Kurs auf Frankfurt, wo er schon am nächsten Abend für fünfzigtausend € einen Mann töten sollte.
S. 9-14

„Es war die Wand mit den Bestsellern, den Romanen von Showmastern und Nachrichtensprechern, und ihre Rückseite bot einen gewissen Schutz vor Blicken; der Eulenaugen-Herr wollte offenbar ungestört in eine Zeitung schauen. Er hatte feuchte, irgendwie erschöpfte Lippen, dazu die Nase eines Kirchenfürsten, und Willem dachte an Zidona, obwohl Zidona viel jünger war, aber er stellte sich einfach ein, dieser Gedanke, und gab wohl den letzten Anstoß zu einer Aktion, die vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre, um Lou einen Vorsprung zu verschaffen. Aber für Hold zählte nur noch der Augenblick, als er neben den lesenden Herren trat und ein Blick in dessen Zeitung warf, auf einen Artikel mit großem Foto, das ihn für einen Moment aus dem Konzept brachte, denn es zeigte genau den Mann, der die Zeitung hielt, als schaute er in einen Spiegel, und der Eulenblick gälte ihm selbst, ein Moment des Staunens, der die Aktion noch mehr aus dem Ruder laufen ließ, weil Hold nämlich mit seinem Ellenbogen – etwa in Nasenhöhe des eher gedrungenen Opfers – viel weiter ausholte als vorgesehen, um ihn dann gezielt auf diesem Organ landen zu lassen, mit einem Geräusch wie beim Zertreten eines Tischtennisballs, absolut unschön, ehe Blut aus der Nase quoll und ein heiserer Schrei alles Kommen und Gehen vor dem Zeitungsstand stoppte.“

Lesezitate nach Bodo Kirchhoff - Schundroman










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Titel von
Bodo Kirchhoff
 Taschenbuch



TITEL

© JAHR



Infanta.

© 2000



Legenden um den eigenen Körper.
Frankfurter Vorlesungen.


© 1995



Dame und Schwein. Geschichten.

© 1988



Katastrophen mit Seeblick.

© 2000



Mexikanische Novelle.

© 1998



Der Sandmann.

© 1994



Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf.

© 1994

 Hardcover



Parlando.

© 2001



Katastrophen mit Seeblick.

© 1998


© 5.10.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de